s_innzeit - der Wissenschaftspodcast zur Sozialen Arbeit

s_innzeit - der Wissenschaftspodcast zur Sozialen Arbeit

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00:00:13:  Hallo an Alle an den Endgeräten da draußen! Willkommen zu einer neuen Folge s_innzeit - der Podcast vom Transfernetzwerk soziale Innovation.Mein Name ist Jens Koller und ich bin heute über eine App mit meiner Mit-moderatorin Marina Buch verbunden. Hallo Marina!

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00:00:30: M: Hallo Jens! J: Wir hoffen ihr hattet trotz aller Einschränkungen ein paar schöne Tage und konntet die Weihnachtszeit trotz Allem genießen. Das Jahr neigt sich dem Ende zu und wir wollen uns in der letzten Folge in diesem Jahr noch einmal einem Thema widmen, dass alle etwas angeht und gleichzeitig inspirieren kann.

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00:00:48: Unser heutiges Thema lautet: "Inspiration inklusiv(e)".

00:00:52: Liebe Marina, warum macht diese Folge s_inn? M: In der heutigen Folge werden wir uns vor allem, wie du gesagt hast, dem Thema der Inspiration widmen und zwar

00:01:01: ganz bewusst mit diesem Wortspiel zwischen inklusiv und inklusive. Wir möchten aber heute eben nicht in eine Richtung des sogenannten "inspiration porn" gehen. Das ist ein Begriff der von der 2014 verstorbene Aktivistin und Komikerin Stella Jang geprägt wurde und inspiration porn meint hier zum Beispiel die Darstellung von Sportler_innen oder Kindern mit Beeinträchtigung, deren Motive z.B. als Hintergrund für inspirierende, motivierende Sprüche genommen werden. Nein, heute möchten wir Behinderung ganz konkret als sogenannter Treiber für Innovation in der Modebranche betrachten. Und auch über die verschiedenen Möglichkeiten einer Neuinterpretation von Behinderung in der Unternehmenskultur sprechen. Gleichzeitig wollen wir unterschiedliche Methoden der Krisenbewältigung von Menschen mit Behinderung betrachten und auch darüber diskutieren.

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00:01:56: Je: Vielen dank Marina, für die Hinführung zum Thema. Wie immer wollen wir das natürlich nicht allein besprechen. Wir haben uns einen Gast eingeladen und diesmal dürfen wir bei uns hier begrüßen: Doktor Janina Urrssova. Janina rustova bringt Unternehmen, Kreativwirtschaft, Medien und Kunden mit Behinderung zusammen und realisiert Projekte, die einen profunden Perspektivwechsel auf Behinderung bewirken.Sie ist demnach Expertin für die Inklusion von Menschen mit Behinderung und Sozialunternehmen. Nach ihrer Promotion in empirischer Kulturwissenschaft ging sie direkt in die Wirtschaft und arbeitete unter anderem für Großunternehmen wie z.B. Siemens oder Aufträge zur Expo 2000. Seit 2008 beschäftigt sie sich mit dem Thema "Behinderung aus der Perspektive von Wirtschaft" und gründete dabei unter anderem ein social startup, das sich mit Inklusion von Behinderung in der Gesellschaft und Wirtschaft befasst. Dabei entstehen neue Sichtweisen und Sinngebungen, die sich mit dem Begriff "rebranding of disability" auffassen lassen. Das ist das, was du gerade auch erwähnt hattest, Marina. Und demnach gehört sie zu den weltweit wenigen Expert_innen für Inklusion in der FashionIndustrie: Menschen mit Behinderung sind stets ihre Partner und Expert_innen ihren Projekten, nach dem Motto: "Nichts über uns ohne uns!" Hallo Janina, schön, dass du bei uns bis!

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00:03:11: Ja: Hallo Jens, hallo Marina! Vielen Dank für die Einladung.

00:03:19: Je: Wir möchten zu Beginn mit einer allgemeinen Frage starten und zwar: "Was ist Inspiration für dich?"

00:03:27: Ja: Eine sehr gute Frage. Also für mich ist Inspiration ein Bindeglied in der Kette Inspiration - Intuition - Kreativität - Innovation. Und Inspiration ist eine Art plötzliche Erkenntnis, die einen überkommt. Das kennt jeder aus seinem Leben. Wie entsteht aber aus der Intuition und einem Bauchgefühl, das wiederum auf einer profunden Erfahrung basiert. Also man kann nicht jetzt zu irgendeiner plötzlichen Erkenntnis kommen, einfach aus dem Off.Aus meiner Erfahrung muss man sich schon damit lange auseinandergesetzt haben und dann kann man erst sehr verschiedene Dinge auf eine Art verbinden, wo man es plötzlich sieht. Und das nennt Steve Jobs - den ich sehr liebe - nennt das Kreativität. Und ich will ein Zitat nicht vorenthalten wo er sagt, dass Kreativität ist nur eine Verbindung von Dingen. Wenn man kreative Menschen fragt, wie sie etwas gemacht haben fühlen sie sich irgendwie schuldig, weil sie eigentlich nichts gemacht habe. Sie haben nur etwas gesehen, was für sie offensichtlich wurde. Und das habe ich öfters erlebt und ich glaube viele Wissenschaftler, die jetzt gerade uns zuhören haben das auch oft erlebt, wo sie plötzlich zu einer Erkenntnis kommen, wo sie an einer Doktorarbeit sitzen oder an einer Diplomarbeit und sich ganz tief in die Materie begeben haben und plötzlich kommt das. 

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00:05:19: Je: Ja,okay. Spannender Ansatz, dass jetzt auch Inspiration auf Erfahrung beruht. Bielleicht ganz kurze Nachfrage: Würdest du sagen, dass Menschen , die über mehr Erfahrung verfügen auch gleichzeitig inspirierter sind als andere?

00:05:27: Ja: Nein, das würde ich nicht sagen. Ich glaube dazu gehört einfach ein ganz großes Maß an Kreativität und Kreativität ist ja so etwas womit man geboren wird oder das kann auch anerzogen werden, aber nicht jeder wird ja ein Künstler. Und ich glaube das ist dann eine künstlerische Qualität, die dann manchen Leuten mehr und manche Leuten weniger immanent ist.

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00:05:44: M: Liebe Janina; du hast diese vier Schlagworte genannt; die ich auch sehr interessant fand. Ich greife sie wieder auf: Inspiration, Intuition, Kreativität, Innovation. Und du hast den Begriff der Kette oder das Verbindungsglied. was du in dem Steve Jobs Zitat jetzt auch noch mal klarer dargestellt hast. Jetzt frage ich dich, um auf dieser Kette zu bleiben: "Wie bist du dazu gekommen , dich gerade mit dem Themenfeld Behinderung auseinanderzusetzen?"

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00:06:09: Ja: Ja, das ist eine sehr spannende Frage. Und zwar ich hatte mit dem Thema Behinderung in meinem Leben nichts zu tun gehabt, als vor 14 Jahren mein Kollege Tobias Reisner mich darauf angesprochen hat. Er selbst kam zum Thema aus dem Web accessibility Bereich, weil er ein Unternehmen zu Logistik und Monitoring hatte und er hat für sich diese Zielgruppe entdeckt, die auf barrierefreie Lösungen im Internet angewiesen ist. Und für mich war das absolut fremd, wie ich bereits sagte, und es hat eine Zeit gedauert bis ich mich zum Computer gesetzt habe und überhaupt recherchiert habe - so wissenschaftlich recherchiert habe, was denn eigentlich weltweit zu dem Thema gibt. Und ich muss euch sagen, dass in der Zeit von 2006/2007 da war noch sehr wenig im Internet, sowohl gutes Design als auch gute Webseiten, als irgendwelche Diskussionen auf dem heutigen Niveau damals gabs überhaupt nicht.Und das dauerte drei Tage und dann ist es über mich gekommen. Das war der kreative Geistesblitz, diese plötzliche Erkenntnis, die mich weiter führte und ich habe plötzlich sowohl die wirtschaftliche als auch die soziale Komponente dieses Thema entdeckt und eigentlich später haben wir erfahren, dass es Social Entrepreneurship heißt. Ja und da hat es für mich angefangen.

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00:07:39: Andererseits, ich muss schon sagen, dass dieses Thema für mich überhaupt nicht fremd ist, aber nicht als Behinderung sondern als ein Bruch im Leben. Weil eine Behinderung, egal ob sie jetzt in einem Alter passiert, wo man durch Unfall oder Krankheit dazu kommt oder ein behindertes Kind in die Familie kommt oder ein Familienmitglied behindert wird, ist es ein Bruch im Leben. Und in meinem Leben gab es sehr viele Brüche mit denen ich umgehen musste, z.B. Ich bin im Jahr 1992 nach Deutschland gegangen, dann nach neun Jahren zurück nach Russland, dann nach 16 Jahren zurück nach Deutschland und immer wieder war das diese Erfahrung Migration, auch wenn es in behüteten Rahmen erfolgte. Ich hatte Stipendium oder ich hatte einen tollen Job oder jetzt bin ich zurück, da ich wieder geheiratet habe, Meinen Ex-Mann. Ja also, ich wandere aus einem Land ins andere in sehr behüteten Zusammenhängen, aber trotzdem ist es ein sehr schmerzhaftes ausfügeln, sich dann wieder zusammen puzzeln und neu aufstellen. Dann war ein weiterer Bruch aus dem akademischen Leben was ich hatte, in ein globales Unternehmen mit allen Plussen- und Schattenseiten dessen und dann aus dem globalen Unternehmen zum Social Entrepreneurship im sozialen Bereich mit einem nicht populären, damals Thema Behinderung und das war ein sehr starker finanziellen Einschnitt. Und aber auch im Immage nach außen. Man muss wissen, wenn man dieses behütete Wirtschaftsumfeld verlässt, merkt man plötzlich, dass man nicht Frau Urrsava war, sondern Frau Siemens gewesen ist. Und wenn dieses Siemens als Heiligenschein dann von einem abfällt, ist es plötzlich das Leben ganz anders und das erfahren auch viele Leute die Behinderung bekommen, dass plötzlich die Behinderung im Vordergrund steht und nicht deren Qualifikation und Erfahrung. Wo sie plötzlich ganz neu anfangen müssen. Dann wiederum hatte ich wirklich eine Erfahrung der temporären Behinderung und zwar in Form einer Depression und Nina Wortmann in dem Gespräch, was ich mit ihr in meinem neuenProjekt führte, ich habe gesagt: "Ach Nina, weißt du. ich habe irgendwie jetzt plötzlich das Problem, dass ich als nicht-behinderter Mensch mich mit dem Thema beschäftige." Und das nach zehn Jahren erfolgreicher Arbeit in dem Bereich. Diese ganze Unsicherheit des Landes- und Lebenswechsels hat auch darauf abgefärbt und sie sagte: "Moment mal, du hattest doch eine klinische Depression, aus der du rausgekommen bist du:  Welcome in the club! Das ist die Behinderung gewesen, also du hast diese Erfahrung

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00:10:30: und sozusagen diese - nicht notwendige - aber trotzdem Legitimation. Also ich finde, man braucht keine Legitimation um sich mit einem oder anderen Thema zu befassen.

00:10:41: Es geht einfach nur um die Qualität des Produktes, was dann rauskommt.  Ja, aber das war auch in meinem Leben und ich muss auch sagen, dass ich als Frau in der Führungsetage eines globalen Konzerns ganz interessante Erfahrungen gemacht habe.

00:10:57: Wo ich als russische Frau in Russland in der Führungsposition als Leiterin "corporate communications" von vielen Leuten.

00:11:06: vor allem von deutschen Kollegen, die mich erst kennenlernten, als Assistentin oder Sekretärin wahrgenommen wurde oder von Ehefrauen, die dann mit am Tisch saßen und ich war dabei und sie fragten mich: "Ja und wessen Assistentin sind sie denn jetzt?"

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00:11:24: Und als ich dann sagte: "Moment mal, ich bin ja Direktorin "Corporate Communications Siemens Russland", da waren sie schon sehr verlegen

00:11:30: M: Ja, das kann ich mir vorstellen. Je: Ja, das glaube ich. Ich glaube, dass geht ja auch vielen Frauen noch aktuell so. Ja, spannende Ansätze und auch Einsichten. Vielen Dank auf jeden Fall, dass du ja auch so offen darüber sprichst, denn gerade ja die psychischen Behinderung, wie z.B. Depression sind ja die, die nicht auch immer sofort sichtbar sind. Und auch, wenn es darum geht "Wie können wir Barrierefreiheit gestalten?" sind es oft die Leute, die dann auch so unten durchrutschen, weil man eben nicht genau sagen kann: "Ja, okay,  ich mache hier die Stufe gerade und dann ist die Barrierefreiheit da", sondern das ist eine deutlich schwieriger zu erreichende Zielgruppe im Bereich der Behinderung. Ich habe eine kleine Nachfrage auf so einen einen kleinen Satz, den du gerade gesagt hast und zwar: "als Behinderung noch unpopulär war oder das Thema Behinderung".

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00:12:15: Würdest du sagen, dass das Thema jetzt populär ist? Ja: Ich kann jetzt aus meiner russischen Erfahrung sprechen und ich muss sagen, dass 2009, als wir mit unserem Bezgranizportal gelauncht sind, dass es so eine Art, also unser bezgraniz.com das ist analog zu myhandicap von Joachim Schoß. Wir starteten auch ein Jahr früher als er und das war ein ähnliches Konzept.Und damals war in Russland das erste Jahr in Moskau, das Jahr, das Menschen mit Behinderung gewidmet worden ist, weil Russland damals die UN-Konvention für Behindertenrechte unterschrieben hatte. Also ich wollte einfach nur sagen, dass in Russland dieses Thema innerhalb von zehn Jahren ja auf allen Ebenen, sowohl in NGO-Umfeld als auch in dem staatlichen Umfeld, eine ganz große Wichtigkeit hat und jetzt als auch wirtschaftliches Phänomen gesehen wird. Und auch es geht um die Arbeit für Menschen mit Behinderung ganz massiv und jetzt auch über die Produkte und Services, die für Menschen mit Behinderung mit Menschen mit Behinderung gemacht werden. Also das ist jetzt ein sehr populäres Thema.

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00:13:23:  M: Janina, du hast das jetzt schon teilweise erwähnt, aber auch noch mal um das zusammenzufassen, du gehörst weltweit zu einen der wenigen Expert_innen der Fashionindustrie. Das heisst, Menschen mit Behinderungen sind auch deine, ich sag jetzt, aktive Partner_innen au dem Weg zu einer disability buisness inclusion und gleichzeitig auch deine Expert_innen in deinen Projekten, nach dem Motto, das Jens auch vorhin vorgestellt hat: "Nichts über uns.ohne uns".

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00:14:01: In deiner Arbeit geht es also, wie du auch jetzt hier auch noch mal deutlich gemacht hast, um das so genannte "rebranding of disability", also sozusagen einer Neuinterpretation von Behinderung im Kontext von Unternehmenskultur. Was ist damit gemeint?

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00:14:17: Ja: Rebranding of disability, das ist ein Modell, dass ich formuliert habe als Reflexion zu meinem Projekt "Akropolis - wie ich meinen Körper fand". Und dieses Projekt das war so ein holistisches Projekt, es entstand um ein Bild, wo zehn junge Menschen mit Amputationen als griechische Götter dargestellt worden sind - als ein Pergamonaltar, so kann man sich das vorstellen. Und die Prinzipien von Rebranding of disability, sie spüren schon, dass es eine Begrifflichkeit aus dem Marketing ist, wie Rebranding, Repositionierung, Reframing - etwas mit einem neuen Sinn zu belegen." Und die Prinzipien von Rebranding das ist ein Aha-Effekt, was dadurch entsteht, dass Behinderung als Produkt gesehen wird und nicht als ein soziales Phänomen, was bedeutet das? Behinderung ist ein Produkt, das ist weder gut noch schlecht, nur man möchte es nicht kaufen, weil es schlecht beschrieben worden ist. Es ist schlecht beworben, es ist nicht schön eingepackt und es geht jetzt darum das neu zu positionieren, neu einzupacken, mit einem neuen Sinn zu belegen, neue Bilder und neue Sinngebilde dazu zu erfinden. Und das ist genau das, was jetzt gemacht werden soll. Der zweite Grundsatz ist: "Rebranding of disability ist nicht kämpferisch!", und gerade dieser subversive Effekt, was durch Rebranding von Behinderung stattfindet , das erzeugt dieses "Oh, das kann man auch anders sehen? Warum habe ich das noch nie gesehen?". du eine Erkenntnis bekommst, die aber einer Freude hervorruft.

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00:16:05: Na, wir lieben doch Erkenntnisse, die aus uns selbst hervorkommen. Ja und deswegen ist es nachhaltig. 

00:16:13: Und das dritte Prinzip ist: "Es muss ästhetisch sein!". Man kann darüber streiten und in Deutschland gibt so eine ganz gute kritische Tradition, aber ästhetisch und ethisch, die liegen für mich doch auf einer Ebene. Und wenn man für gutes Werk unterwegs ist, ohne Gewalt anzuwenden, ist es ein sehr wirksames Instrument.

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00:16:34: M: Entschuldigung, kurze Nachfrage, weil du sprichst eben von Perspektivwechsel, das Thema Ästhetik, Schönheit, Diskurs gewaltfreier Diskurs, spielt eine große Rolle: Wie reagiert die sogenannte Zielgruppe auf deine Bestrebung das zu tun?

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00:16:51: Ja: Das wird sehr positiv wahrgenommen und es ist egal auf welchem Kontinent. Also ich muss sagen, dass in Russland Projekte, die ich gemacht habe, einen Paradigmenwechsel bewirkt haben. Und das ist jetzt nicht meine Meinung, sondern das ist die Meinung der professionellen Marketing- und PA-community, die die höchste Preise und Nominierungen für die Projekte ausgelobt hat , die ich gemacht habe. Das ist die Meinung von den Medien , Wirtschaftsmedien. Das ist die Meinung vom Buisness, denn ich bin auch ausgezeichnet worden z.B. von Ernst & Young buisness woman awards, etc. Das ist die Meinung aber von Menschen mit Behinderung selbst.

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00:17:34: Ich habe solche Äußerungen wie: "Wir sind alle aus deinem Akropolis hervorgegangen"

00:17:40: oder "Wir sind alle jetzt von deinem Podium von Bezgraniz hervorgegangen". Und es geht hier darum, dass man gesehen hat, wie man dieses Thema anfassen kann: ruhig, professionell, ästhetisch, mit sehr viel Pietät und ohne zu bemitleiden. Und eigentlich sehr viele junge Menschen mit Behinderung, die an meinen Projekten teilgenommen haben, haben jetzt gute Jobs, Familien, Kinder und haben selbst NGOs gegründet, gehen weiter in dieser Veränderung der Wahrnehmung von Menschen mit Behinderung durch ihr eigenes Leben, aber auch durch ihre Tätigkeit. Also das funktioniert einwandfrei, das funktioniert ja auch in Los Angeles.

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00:18:25: Wir haben das Projekt Akropolis, dieses Video dort gezeigt indrea fondatioun von den größten amerikanischen Schauspielern

00:18:35: Wohltätigkeit Foundation, die das verwaltet was sie da alles so schönes machen.

00:18:41: Und die Direktorin im von der Fondation sie haben das Video angeguckt, sie haben geweint und haben gesagt: "Wir haben sowas noch nie gesehen." Und dieses Video war

00:18:50: für uns dann, als wir das verstanden haben, das war dann für uns der Öffner zu jedem Gespräch, ob es bei Wirtschaft oder bei Medion oder irgendwo: wir haben erstmal dieses Video gezeigt und dann konnte man das Gespräch anfangen, dann lief es einwandfrei.

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00:19:05: Je: Du hast ja gerade gesagt, dass es ja dass die Leute, die in deinen Projekten mitgemacht haben ja dann auch gute Jobs bekommen haben und das liegt ja dann so auf der Einzelebene dieser Erfolg. Also ein Rebranding habe ich jetzt so verstanden, dass es ja auch auf der systemischen Ebene sozusagen sich vollziehen muss, also ja Paradigmenwechsel, diese Änderung der Haltung in den Köpfen der Menschen. Siehst du diesen Schritt auch schon gegangen oder - vielleicht anders gefragt - was könnte eben die Motivation für die Unternehmen sein, sich eben mit dem Thema disability oder Behinderung auseinanderzusetzen und auf die Zielgruppe zuzugehen über eben solche - ja, Leuchtturmprojekte nenne ich das jetzt mal, hinaus?

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00:19:43:  Ja: Nun, wenn ich vom Paradigmenwechsel spreche, spreche ich in der ersten Linie gerade von der (Medien-) Wirtschaft und dem Staat. Ja und nicht über die konkrete Schicksale, das ist auch wichtig.

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00:20:01: Ja, in dieser Geschichte aber, es ist so, dass in Russland z.B. die Vox bereits 2012 über die Mode für Menschen mit Behinderung geschrieben hat.

00:20:11: Also, dass heißt als wir 2011 angefangen haben dieses Thema zu beleuchten, wollte keiner, aber wirklich keiner aus den sozialen Medien - ich meine sozialen Medien, die über soziale Themen berichten - haben über uns berichten und 2016 waren wir schon bei Harper's Bazaar auf vier Seiten. Das muss man sich einfach vorstellen: L'OFFICIEL und und Marie Claire und alle diese internationale Fashionportaleund Zeitschriften haben auch über unsere Themen geschrieben. Und was wichtig ist, in Russland ist es viel früher passiert als - jetzt würde ich sagen - weltweit, weil diese Welle in den englischsprachigen Auflagen von denselben Zeitschriften kommt erst jetzt in diesem Jahr und wir haben das schon vor fünf oder acht Jahren gemacht. Also das ist passiert und natürlich die Leute lesen das, es verändert die Wahrnehmung weiter, wenn wir jetzt sagen auf der staatlichen Ebene unsere Shows bei Mercedes Benz Fashion Week seit 2014 , die haben dazu geführt, deren Erfolg dazu geführt, dass bereits 2016 auf der staatlichen Ebene ein Programm aufgerufen worden ist, wo die Fashion Industrie und NGOs, die sich mit dem Thema Mode mit Behinderung befasst haben, Subventionen bekommen haben. In allen impact hubs und Socialenterpreneurship Wettbewerben von SAP z.B. im russischsprachigen Gebiet, gibt jetzt unbedingt einige Projekte, die sich mit Mode für Menschen mit Behinderung befassen. Ja, wenn wir jetzt darüber reden, was für ein impact es für Modeindustrie gemacht hat, dann schauen wir doch auf unsere erste Fashionshow: Die Mercedes-Benz Fashion Week in 2014, das war das Jahr der Paralympics in Sotschi und Mercedes war damals Sponsor von  den Olympischen und Paralympischen Spielen. Die Spiele fanden im März statt und im April war die.Modewoche - also standardmäßig im März/April - und da ist Mercedes auf uns zugegangen und haben gesagt: "Also wir wollen jetzt eine inklusive Fashionshow haben." Nach dieser Fashionshow, nach dem Erfolg der Fashionshow, was keiner erwartet hat, von denen, haben sie gesagt, dass alle Mercedes-Benz Fashionshows weltweit müssen Menschen mit Behinderung auf dem Podium haben.

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00:22:42: Und so ging's los: 2015 war sie in New York, das war die letzte Mercedes Fashionshow in New York und so weiter. Also das war dann praktisch angestoßen

00:22:49: es war verordnet und das war durch den Erfolg. Und das ist eben dieser Paradigmenwechsel auf allen Gebieten, was da stattfindet und mir ständig als Ribbeck geliefert wird.

00:23:08: M: Du hast jetzt hier teilweise von vergangenen, sehr erfolgreichen Projekten gesprochen. In deinem neusten Projekt

00:23:11: "In your Mokassins" beschäftigst du dich mit Menschen mit Behinderungen als sogenannte Expert_innen der Krisenbewältigung.

00:23:18: Janina, was ist das genau für ein Projekt und was ist die Zielsetzung davon?

00:23:34: Ja: also dieses Projekt ist entstanden im April dieses Jahres, als mein berufliches Leben, genauso wie das Leben von Millionen von Menschen in Deutschland und weltweit durch Lockdown und die Maßnahmen zur

00:23:37: Covid Bekämpfung gestoppt worden ist. Und dabei ist mir eingefallen, dass dieses abrupte Anhalten dem sehr ähnlich ist, was Menschen mit Behinderung erleben, wenn sie behindert werden.

00:23:49: Ja, das ist es ja auch: Man wird behindert.

00:23:53: Und dadurch haben wir plötzlich eine Chance gehabt, in die Schuhen von diesen Menschen zu treten und von ihnen aus am eigenen Leibe sozusagen zu erfahren

00:24:05: ,wie es ist behindert zu sein. Und dann auch, was die Idee angestoßen hat, es wurde über Menschen mit Behinderung als eine Risikogruppe gesprochen.

00:24:17: als eine Gruppe von Menschen, denen geholfen werden muss und das ist auch absolut richtig,

00:24:22: aber ich habe mir gedacht: "Das ist aber nur die eine Seite von dem Mond sozusagen und die andere ist die Expertise von diesen Menschen, die gerade in den Krisenzeiten uns unterstützen können, weil sie diese Krisenzeiten schon durchgestanden haben und die, die es erfolgreich gemeistert haben, können uns gerade unterstützen." Also ich wollte den Spieß umdrehen und die Expertise von meinen Freunden und Bekannten zeigen, zumal ich ja in meinem Leben sehr oft die Hilfe geschöpft habe von meinen Freunden, die behindert sind.

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00:24:57: Und als Geschichten kann ich vielleicht erzählen: Viele von uns, aber auch ich, tendieren dazu Sachen auf morgen zu verschieben, auf bessere Zeiten, auf Urlaub, auf Pension. Je: Das kennen wir alle, glaube ich, das "Auf-Morgen-verschieben". Ja:  Das kennen wir alle. Und es war so, dass eine der jungen Frauen. die in meinem Projekt Akropolis abgebildet ist,

00:25:21: Anastasia, sie hatte Krebs, sie war 23 und 3 Jahre lang zu diesem Zeitpunkt wurde sie nach und nach amputiert.

00:25:29: Also ihr Bein wurde amputiert und die Metastasen sind aus ihrem Körper ausgeschnitten worden

00:25:35: und wir haben unser Projekt bei Weltbank vorgestellt.

00:25:39: Meine Mitarbeiter waren beim Gespräch und sie sagte: "Naja, wisst ihr was, ich habe nicht unendlich Zeit. Ich habe immer drei Monate bis zur nächsten Therapie

00:25:50: und ich weiß, dass in diesen drei Monaten ich leben muss, ich meinem Freund, meiner Familie und meinen Eltern.

00:25:57: Freude schenken muss und dann geht's vielleicht weiter. Und das war 2013, das war für mich irgendwie eine sehr schwere Zeit.

00:26:06: Auch Sponsoren blieben aus und ich war ausgelaugt, weil, wenn lange Zeit kein Erfolg eintritt, ist es sehr schwierig

00:26:13: Und dann habe ich an einer Vorlesungsreihe gearbeitet und das war sehr intensiv und sehr schwer für mich und ich habe gedacht: "Mein Gott ist das alles ätzend. Aber in zwei Wochen bin ich im Urlaub in Indien."

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00:26:26: Und ich habe diese Gedanken nur bis zur Hälfte gedacht; weil ich mich an die Worte von Anastasia erinnert habe und ab dem Moment habe ich es kapiert:

00:26:36: Es gibt kein Morgen, es gibt kein Urlaub, ich bin hier und jetzt.

00:26:41: Und hier und jetzt, egal wie schwer es ist, es ist so wie es ist und es ist gut so wie es ist.

00:26:47: Und ich denke, dass gerade die Kraft der Menschen mit Behinderung, die sie uns geben können, ist,

00:26:55: das noch mal aus einer anderen Perspektive noch mal zu erzählen, was es ist im Hier und Jetzt zu sein. Was ist es sich selbst zu akzeptieren, wie man ist. Was ist es hier und jetzt das Leben zu formen.

00:27:09: Je: Ja ich finde, das ist ein sehr wichtiger Ansatz, eben Menschen mit Behinderung nicht als die hilfebedürftigen Person darzustellen, die sie ja vielleicht im Einzelfall sind, aber auch trotzalledem sie als Menschen mit eben Fähigkeiten und Expertise auch anzuerkennen.

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00:27:28: Da gibt es auch verschiedene Ansätze, um hier noch mal vielleicht das Pixellabor zu benennen. Für die, die es interessiert: Auch die haben einen solchen Ansatz Menschen mit Behinderung in Arbeitsverhältnisse zu bringen wo eben ja ihre Expertise,.

00:27:40: wenn es um so Sachen geht wie Usability, also wie kann ich Dinge einfach benutzbarer und greifbarer machen für alle Menschen, vielleicht auch insbesondere für ältere Menschen. Da liegt da eine ja großes Potenzial, sage ich mal, in diesem Bereich.

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00:27:53: M: Janina, du hast am Anfang gesagt, dass dich Steve Jobs z.B. sehr inspiriert hat, als er auf diese vier Begrifflichkeiten gekommen ist.

00:28:03: Deiner Meinung nach, mit welchen Menschen sollten sich unsere Zuhörer_innen von s_innzeit beschäftigen?

00:28:09: Wer hat dich neben Steve Jobs, den du genannt hattest, dann noch inspiriert und in deinem Leben begleitet? 

00:28:19: Ja: Also, wenn ich drüber nachdenke, ich würde sagen, das ist eine Frau, die in Deutschland vielleicht nicht so bekannt ist, die in Russland auch lange Zeit nicht bekannt geworden ist, obwohl sie eine Russin ist. Das ist Nina Berberova.

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00:28:33: Nina Berberova ist 1901 geboren worden und mit 23 Jahren heiratete sie einen berühmten russischen Dichter mischkowski und ging mit ihm in das Exil aus Sowjetrussland nach

00:28:46: Paris. Sie arbeitete als Journalistin, als Schriftstellerin und durch ihren Ehemann hatte sie dann Glück gehabt

00:28:55: die ganze künstlerische und literarische Elite Russlands

00:28:59: kennenzulernen, angefangen von Maxim Gorki, Marina zwetajewa, Andre Bilitis, Marie Pasternak, Vladimir mayakovsky, um einige zu nennen.

00:29:08: Sie hat faszinierende Geschichten hinterlassen über diese Menschen, aber das was mich meiner Zeit besonders inspiriert hat, das war ihr Buch "Italix arm 1"

00:29:20: Es gibt das nur leider auf Russisch und Englisch, nicht auf Deutsch - wo sie über ihr Leben schreibt. Sie ist mit 50 Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg

00:29:30: aus Paris nach Amerika gegangen, ohne die Sprache zu kennen, mit einem Koffer.

00:29:35: Sie ist gestorben mit 93 Jahren in Pennsylvania als Professoren von vielen Universitäten, wo sie eben russische Literatur und Kultur.

00:29:46: gelehrt hat,

00:29:46: dessen Teil sie ja auch war. Und ich habe diese Frau live erlebt, als sie zum ersten Mal im Jahr zwar 1992 nach der Perestroika nach Russland kam nah fast 70 Jahren.

00:29:58: Und die Erkenntnisse, die ich gewonnen habe: 1. Mit 50 Jahren kann das Leben anfangen und von Null auf angefangen werden und für mich ist es zu einem Leitmotiv geworden jetzt bin ich über 50 und das Leben fängt

00:30:12: immer wieder neu an und es ist immer wieder spannend

00:30:15: und immer spannender. Und ich weiß noch, wenn ich auf diese Frau zurück schaue, sie hatte noch 40 Jahren gelebt beim gesunden Menschenverstand. sie hat ein zweites Leben sozusagen gelebt und das ist vielleicht auch eine sehr gute Erkenntnis für alle junge Leute, die uns jetzt hören.

00:30:35: Überlegt einfach mal, jetzt habt ihr alle die Möglichkeit bis hundert zu leben, wie viele Leben ihr noch von euch habt.

00:30:43: Hat einfach keine Angst immer wieder von neu auf anzufangen, denn es ist super spannend.

00:30:51: M: Vielen Dank, ich finde das auch gerade zum Abschluss eines doch schwierigen Jahres auch eine schöne Geschichte bzw. Inspiration, die du uns hier auch mitgibst.

00:30:58: Und nehmt das auch jetzt mit im Herzen, diesen oder ne kein Spruch sondern diese Erkenntnis, dass das Leben in verschiedenen Stationen auch weitergehen kann und vielen Dank dafür.

00:31:09: Je: Ja, danke Marina. Also du sprichst mir aus der Seele. Ich habe das auch so aufgenommen.

00:31:13: Ja, eine schöne Erkenntnis oder ein schönes Leitmotiv sage ich jetzt mal. Es kann immer wieder neu beginnen das Leben, lassen wir uns davon nicht unterkriegen, erst recht nicht von diesem Jahr 2020. Liebe Janina, vielen Dank für deine Einblicke, für deine Ausführungen. Wir sind jetzt leider schon wieder am Ende unserer s_innzeit und somit auch am Ende der s_innzeit im Jahre 2020 tatsächlich. Wir wünschen euch einen guten Rutsch in das hoffentlich gnädigere Jahr 2021:

00:31:38:

00:31:47: Auf dass es sich bessert in vielen Bereichen. Wenn ihr Interesse habt noch mal mit Janina, vielleicht auch direkt, in's Gespräch zu kommen, dann kann ich euch empfehlen zu unserer Veranstaltung zu kommen am 26.01.2021.  Von 18 bis 20

00:32:01: Uhr werden wir sie im Gespräch haben und anmelden könnt ihr euch ganz bald unter s-inn.net/vernstaltungen..

00:32:10: Dort werdet ihr die Veranstaltung mit Janina finden und habt dort auch die Möglichkeit mit ihr direkt zu diskutieren

00:32:19: Unsere nächste Folge s_innzeit erscheint am 11.01.2021 mit dem Titel "#hatespeach -  Holen wir uns das Netz zurück !" und dort haben wir

00:32:29: mit Siad Rezeck, einen Politikwissenschaftler, Blogger und Journalisten eingeladen, der uns etwas zu diesem Thema erzählen wird. Ansonsten bleibt uns noch übrig: Besucht uns gerne bei

00:32:40: Instagram unter transfernetzwerk.s_inn und wir wünschen euch - M: - ein frohes neues Jahr.

00:32:48: Je:Deshalb gilt wie immer: M: Nutzt eure Zeit s_innvoll! Tschüss! Je:Tschüss! Ja: Tschüss.

00:32:54: Music.

Über diesen Podcast

Soziale Ungerechtigkeit, spannende Konzepte aus der Wissenschaft und innovative Lösungsansätze für soziale Herausforderungen – all das behandelt s_innzeit, der Wissenschaftspodcast von s_inn!

https://www.s-inn.net
sinnzeit@katho-nrw.de

von und mit Marina-Rafaela Buch, Jens Koller, Sinem Malgac, Stephan Post, Ariadne Sondermann, Lisa Koopmann

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