s_innzeit - der Wissenschaftspodcast zur Sozialen Arbeit

s_innzeit - der Wissenschaftspodcast zur Sozialen Arbeit

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00:00:00: Music.

00:00:13: Hallo an alle an den Endgeräten. Willkommen zu unserer neuen Podcast Folge von s_innzeit, der Wissenschaftspodcast vom Transfernetzwerk Soziale Innovation. Ich heiße Marina und ich sitze hier digital mit meinem Mitmoderator Jens. Hallo, lieber Jens.

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00:00:29: Jens (J): Hallo, liebe Marina. Ich sende dir liebe Grüße aus Bochum.

00:00:35: M: Und ich dir zurück aus Köln. Heute haben wir ein sehr spannendes Thema und zwar lautet der Titel der heutigen Folge: "Flucht und Vorurteil". Lieber Jens, warum macht es s_inn, dass wir gerade heute darüber sprechen?

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00:00:46: J: Ja, heute möchten wir uns in die Perspektive Geflüchteter begeben und uns einmal damit beschäftigen was diese Menschen hier in Deutschland antreffen, wenn sie ankommen. Also welche Möglichkeiten haben sie, sich selbst zu äußern, ihre Bedürfnisse darzustellen oder wird gar ihre Haltung und ihre Äußerung von uns als Gesellschaft beeinflusst?  Und das wollen wir aus mehreren Perspektiven beleuchten: Zum einen wollen wir uns damit beschäftigen, wie die Forschung mit solchen Themen umgeht, aber auch wie institutionelle Lösungsansätze zu dieser Thematik sind. Da wollen wir unter anderem auf Themen zu sprechen kommen wie Diskriminierung. und wir wollen darauf zur. Wie man möglicherweise Menschen, die in einer solchen Position sind eben eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen herstellen kann. Zusätzlich wollen wir dann auch schauen, warum uns das alle betrifft, wenn Menschen diskriminiert werden, die aus anderen Ländern nach Deutschland kommen, weil es ihre Situation so verlangt.

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00:01:50: M: Danke Jens für diese kurze Einleitung. Unser Gast ist heute Monique Kaulertz, die sich als Wissenschaftlerin aber auch im Rahmen ehrenamtlichen und politischen Engagementsseit längerem mit diesen verschiedenen Themen auseinandergesetzt hat: Sie ist Mitarbeiterin des Pilotprojekts innerhalb unseres Transfernetzwerks UBIF, heißt hier unabhängige "Beschwerde und Informationsstelle Flucht". Zudem ist Monique auch als Promovierende und Lehrbeauftragte an der Ruhr-Universität in Bochum und ich finde den Titel ihres Dissertationsprojekt ganz interessant, und zwar handelt es sich um "Erzählen und Schweigen in der Institution Asyl - Grenzen und Möglichkeiten der Selbstartikulation in einer Kultur des Misstrauens." Liebe Monique, wir wollen mit dir zunächst über dein Promotionsprojekt sprechen und bevor wir da jetzt inhaltlich einsteigen würde uns vorab interessieren, wie du zu diesem Thema gekommen bist. Was war deine persönliche Motivation dahinter? Hast du eigene Erfahrung gemacht, die dich dazu getrieben haben sich dafür zu entscheiden?

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00:02:49: Monique (MK): Ja, vielen Dank erstmal Marina für die Einladung hier zu dem Podcast. Als erstes zu der Frage, wie ich zum Thema und zu UBIF gekommen bin und welche Motivation und Erfahrung es da gab, um diese Dissertation anzugehen: Vielleicht erste Anlässe, Erfahrungen schon in der Schulzeit, denn in der Zeit in der ich zur Schule gegangen bin gab es sehr viele Kriege, also Jugoslawien hat sich aufgelöst, die Kriege im Iran und Irak, und somit hatte ich da auch schon viel mit geflüchteten Menschen in meiner Schulklasse zu tun. Dann habe ich mich im Studium mit verschiedenen Themen befasst, die da andocken, also z.B. mit Gewalt, Diaspora, Trauma und auch intersubjektivem Verstehen. Das waren für mich wichtige Themen und da habe ich auch damals schon angefangen mich politisch zu engagieren im Kontext von Friedensbewegung oder antirassistischer Arbeit. Ja und nach dem Studium bin ich über meinen Job als Sozialarbeiterin, als Beratung für geflüchtete Menschen in einem Wohnheim auch noch mal näher mit geflüchtete Menschen in Kontakt gekommen und habe etwas über ihre Lebenssituation erfahren, was mich teilweise auch sehr erschüttert hat. Also ich habe hauptsächlich mit Menschen mit Roma Hintergrund zusammengearbeitet und fand es schon krass, dass die Menschen über Jahrzehnte teilweise in unsicheren Lebenssituationen in Deutschland leben und irgendwie so gar keine richtigen Zukunftsperspektiven zu haben. Und habe ich angefangen mich zu engagieren, auch speziell für geflüchtete Menschen, beim Treffpunkt Asyl war das damals, und wir haben das Café Luisa gegründet. Das war so eine Art Begegnungscafé. Und in meiner Diss ist das eben auch wieder Thema geworden. Also der Kontakt mit geflüchteten Menschen: Wo begegnet man sich eigentlich? Was kommt da zu Sprache?

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00:04:41: J: Diese Theamtik hat dich dein ganzes Leben fast begleitet und jetzt eben auch in deiner Dissertation. Da hätte ich jetzt die Frage zu: Vielleicht kannst du uns mal erläutern, was genau in dem Titel steckt. Also was hast du versucht zu untersuchen und wie bist du das Ganze angegangen?

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00:04:58: MK: Ja, also was das Thema meiner Dissertation angeht und die Forschungsfrage: Mich haben dann eben diese Möglichkeiten interessiert sich zu begegnen. Und mich hat interessiert, was da eigentlich passiert, wenn Menschen hier hin kommen. Mit was kommen sie eigentlich an Gedanken, Vorstellungen, Ideen im Gepäck? Also was sie sozusagen auch hier, wenn sie neu in dieses Land kommenm, eigentlich zur Sprache bringen wollen. Was ist ihnen eigentlich wichtig, dass das Gehör findet? Was sie zu sagen haben, inwiefern wollen sie gesehen werden? Und was passiert da eigentlich auch vor dem Hintergrund, dass man in eine Gesellschaft kommt in der ja schon bestimmte Diskurse auch über Geflüchtete vorhanden sind und auf ihren Einfluss natürlich auf die neu kommenden haben und diese wiederum auchmit Diskursen  oder verschiedenen Themen hier hin kommen, die hier vielleicht auch nicht verstanden werden, was z.B. die Situation in den Herkunftsländern angeht. Und ja das hat mich irgendwie interessiert, auch vor dem Hintergrund, dass ich mich für Gewaltforschung interessiert habe und auch für das Verstehen von Fremdheit sag ich jetzt mal, auch wenn das so ein bisschen klischeehaft ist, dass das Thema da wieder reinkommt. Ja und dann noch mal zurück auf die Forschungsfrage: Es ging eben darum inwiefern Diskurse, die es hier gibt über Geflüchtete, bestimmte Themen diese Menschen auch in ihrer Selbstartikulation beeinflussen. Also, wenn hier z.B. eine Stimmung herrscht in der die Leute gar nicht wirklich erwünscht sind, wie reagieren die eigentlich darauf? Wird das irgendwie für die Thema, weil sie da mit bestimmten Dingen konfrontiert sind? Und auf der anderen Seite habe ich mich dann aber auch gefragt, wie kommen Leute auch aus einer Opferposition z.B. raus? Oder kommen daraus nur zu reagieren auf bestimmte Dinge , die sich hier erleben? Welche Räume nutzen sie für sich, entwickeln sie für sich? Wie gestalten sie diese Räume? Was artikulieren sie da in diesen Räumen? Und eine Grundidee dabei ist eben, dass Menschen auch den Wunsch haben sich in irgendeiner Weise zu artikulieren und, dass es auch für jeden Menschen bestimmte Themen gibt, wo es ein Bedürfnis gibt, das irgendwie sinnhaft eine kommunizierbare Struktur zubringen. Und dafür habe ich mir verschiedene Räume angeguckt. Und Räume ist hier sowohl metaphorisch als auch physisch, materiell gemeint: Diese Räume waren erstmal Asylanhörungen, die habe ich jetzt so als Raum einfach mal genommen, weil ich da sehr krass bestimmte  Anforderungen an die Menschen auch erlebt habe, auf die sie reagieren müssen. Also was ihre Erzählungen angeht, ihre Argumentation dazu hier in Deutschland bleiben zu können. Die Antwort auf die Frage: Warum bist du hier?

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00:07:25: J: Wer hat diese Anforderung formuliert? Waren das jetzt wirklich Behörden, die gesagt haben: "Das und das müsst ihr tun" oder geht's da eher um so eine gesellschaftliche Figur, die entworfen wird?

00:07:34: MK: Ich möchte darauf die Narrative zu sprechen kommen, weil die ja in der Asylanhörung eine ganz besondere Bedeutung haben. Also: Was erzählen die Menschen? Wie erzählen die das? Diese Erzählung, die sie dort leisten müssen - sage ich jetzt mal - die dient ja dann dazu, darüber zu entscheiden, ob deren Wunsch oder Anliegen in in Deutschland zu bleiben und Asyl zu bekommen, ob das gerechtfertigt ist. Und da gibt es bestimmte Anforderungen an die Erzählung. Ich hatte das Gefühl, dass in der Zeit, wo so viele Menschen in die Asylanhörung gegangen sind, das gar nicht mal so klar ist von den Kriterien her, was macht eigentlich eine Erzählung. Würde ich was macht eine Person glaubhaft was muss da eigentlich geleistet werden Und ja, ich habe immer versucht das herauszufinden, es war so ein bisschen intransparent, welche Kriterien da angelegt werden an die Erzählungen der Leute. Ich hatte aber den Eindruck, dass ich das schon ein Anforderungen an kohärente Erzählung und dir vor Gericht benutzt werden z.b. orientiert. Und das ist natürlich eine ganz besondere Leistung, die die Leute da bringen müssen, so eine Erzählung zu liefern. Da gibt es auch kulturelle Aspekte, die dabei eine Rolle spielen, ob ich das kann. Da kommen soziale Aspekte mit rein, aus was für einer Gesellschaftsschicht komme ich, wurde ich überhaupt mal in meinem Leben nach meiner Erfahrung gefragt. Und auch Fragen zu den Erlebnissen kommen mit rein, also was Menschen erlebt haben in Bezug auf Traumatisierung z.B., also das macht es ja auch schwer für Menschen, bestimmte Dinge zu erzählen oder vor irgend möglich dazu. Und das alles hat da in den Asylanhörungen natürlich immer mit rein gespielt und das war nicht, um die krass das war dann so ein Ausgangspunkt für mich zu sagen, darüber nachzudenken, welche Räume könnte ich hier noch untersuchen.

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00:09:02: M: Monique, du hast ja noch mal angesprochen, wie wichtig einerseits der Punkt des Erzählens ist, was im Schweigen auch mit drin ist, durch die Institutionen auferlegt oder auch kulturell auferlegt oder durch Unsicherheiten.

00:09:15: Welche Möglichkeiten der Artikulation werden denn den Geflüchteten gegeben durch diese verschiedenen Ansätze, die du in deiner Doktorarbeit verfolgt hast, zum Beispiel? Also hast du da irgendwie konkrete Beispiele, wo du gesagt hast: "Ok, wenn man in diese Richtung geht, kann dadurch dieses Schweigen aufgebrochen werden, diese Möglichkeiten des Redens gegeben werden?"

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00:09:36: MK: Ja, das war so eine Frage, die ich mir schon gestellt habe und da spielte dann natürlich noch mal mit rein, welche Rolle man als Forscherin hat. Inwiefern bin ich da überhaupt zu befugt oder befähigt irgendwas zu geben in diesem Kontext? Vielleicht noch mal zu den Methoden: Also meine ursprüngliche Idee war mich mit ihm Feldforschungen und Interviews diesen Räumen anzunähern, mich dem irgendwie zu widmen und da auch an verschiedene Orte zu gehen und mit zum Beispiel auch politischen Gruppen, von selbstorganisierten Gruppen von Geflüchteten zu forschen und bin da mit einer großen Offenheit hingegangen und habe auch einfach mal geschaut was passiert. Und inwiefern sich diese Frage, die du gestellt hast, Marina, also wie kommen eigentlich so Artikulationsmöglichkeiten zustande und welche Machtverhältnisse spielen da auch noch eine Rolle? Also bin ich da als Forscherin dazu in der Lage da irgendwas zu eröffnen? Das hat sich eben dann in der Forschung auch durch diese Offenheit gezeigt und ich glaube eines der wichtigsten Aspekte war, die Möglichkeit zu geben zu widersprechen und in den Dialog zu kommen. Also nicht zu sagen: "Ich mache jetzt ein Interview und sammle die Daten von den Leuten mit denen ich spreche und geh damit weg.", sondern immer wieder ins Gespräch zu kommen mit den Leuten und da auch wirklich zu zeigen, dass Widerspruch möglich ist oder, dass ich auch offen dafür bin, dass sie meine Forschung in Frage stellen. Ich hab mit der "Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und Migrant_innen" geforscht und das wurde da auch gemacht. Das wurde sehr kritisch in den Blick genommen, was Forschung eigentlich bringt. Was bringt uns das als Bewegung? Oder was bringt uns das für das Thema Selbstermächtigung, für unsere Anliegen, für die Verbesserung unserer Situation? Und da muss ich auch sagen: Ich glaube da manchmal, dass ich da mehr gelernt habe, als als die Leute jetzt irgendwie von mir, also was das Eröffnen von irgendwelchen Räumen angeht.

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00:11:18: J: Im Titel deiner Dissertation steckt ja auch die Formulierung "Kultur des Misstrauens". Ist dieser Begriff in der Recherche, in dem Prozess der Dissertation entstanden, weil du festgestellt hast, dass diese Räume geprägt sind von Misstrauen oder gab es da einen anderen Beweggrund diesen Titel zu wählen?

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00:11:38: Mk: Also die Kultur des Misstrauens ist etwas, was ich aus einem englischsprachigen Buch übernommen habe, "The culture of disbelief" wo das auch Thema ist. Also inwiefern so eine Art von jemanden nicht zu glauben auch gesellschaftlich verankert ist. Und ich habe gestern erst gelesen, dass es da auch Studien zu gibt z.B. zu Kriminalität von Migrant_innen, was ja so ein großes gesellschaftliches Thema ist und inwiefern z.B. - das hat jetzt nicht direkt was mit dem Erzählen zu tun, aber schon mit einer anderen Einstellung gegenüber Leuten - inwiefern Kriminalität eher zur Anzeige gebracht werden, wenn das von Menschen begangen wird, die nicht als typisch deutsch gesehen werden und die vielleicht Migrationshintergrund haben. Und dass da viel öfter eine Anzeige zustande kommt, weil die als fremd empfunden werden. Also da so eine große Aufmerksamkeit für da ist, wenn Menschen, die eine Migrationsgeschichte haben und vielleicht auch ein bisschen andere phenotypische Merkmale haben, dass das da schneller passiert. Und mit diesem culture of disbelief auch noch mal zum Thema Asylanhörung, dass da vielleicht eine Art von Misstrauen mitspielt, wenn es darum geht, welche Arten von Artikulationen oder Erzählungen auch geglaubt werden. Und da kann man auch Judith Butler anknüpfen, die die Frage gestellt hat: Welche Erzählungen sind glaubhaft? Welche Erzählungen machen mich als Menschen überhaupt möglich, kann man fast sagen. Ja, also welche Erählungen finden irgendwelche Anknüpfungen?

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00:12:55: M: Monique, wir haben eingangs schon erwähnt, dass du Geflüchteten eben nicht nur im Rahmen deiner Doktorarbeit begegnest, du hast es ja auch erzählt, dass zumindestens das Thema Flucht und Krieg dich schon sehr früh begleitet hat, was mich jetzt selbst auch sehr beeindruckt hat, dass du auch schon sehr früh dir einfach so viele Gedanken gemacht hast. Und wir würden gerne mit dir über diese Begegnungsräume sprechen. Was sind das für Begegnungsräume, mit dem du mit Geflüchteten zusammen arbeitest? Also wir haben UBIF gehört, deine Lehrtätigkeiten, auch dein politisches Engagement und du hast von einem Begegnungscafé gesprochen. Was sind das für Räume? Und was ermöglichen diese Räume? Kannst du das ganz kurz für unsere Zuhörer_innen zusammenfassen?

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00:13:36: MK: Also im Prinzip finden Begegnungen ja an allen möglichen Orten statt. Also es kann virtuell sein, das kann irgendwie auf der Straße sein im Alltag und öffentlichen Verkehrsmitteln, also es ist schon  eine sehr spezielle Auswahl, sage ich jetzt mal, dass man das jetzt Räume nennt, überhaupt erstmal und was da passiert. Also bei der UBIF, das ist eine Beschwerde- und Informationsstelle für geflüchtete Menschen, da sollen Themen die die Leute haben, mit denen sie woanders nicht weiterkommen, angesprochen werden können und auch bei den Problemen, die sie da mitbringen, Abhilfe geschafft werden. Und hier in Bochum da ist es z.B. so, dass es keine Antidiskriminierungsstelle gibt und viele Menschen auch mit dem Thema Diskriminierung zu uns kommen und da eben die Frage stellen: Ja was kann man eigentlich machen? Da ist es auch wichtig die Leute einfach anzuhören, auch erstmal zu sagen: "Du kannst mir das erzählen und ich glaube dir das auch und ich weiß, dass es Diskriminierung gibt und, dass das ist jetzt nicht an den Haaren herbeigezogen ist. Und wir schauen jetzt, was es da für Möglichkeiten gibt, da auch zu handeln." Also es ist so eine anwaltliche Positionierung, die ich da auch habe sozusagen.

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00:14:30: M: Darf ich da ganz kurz was fragen, noch mal zusätzlich? Mich hat schon immer interessiert dieser Zusatz mit "Unabhängig". Wie seid ihr da drauf gekommen, dass ihr euch als unabhängig bezeichnet?

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00:14:45: MK: Ja, uns war das wichtig irgendwie auch im Namen darzustellen, dass wir jetzt nicht Akteure von der Stadt sind oder irgendwie von anderen Organisationen beeinflusst sind in unserem Handeln sondern, dass wir da offen sind. Also, wenn die Menschen zu uns kommen, eher die Parteilichkeit wichtig ist für die Personen mit ihren Anliegen als die Anliegen, die vielleicht irgendeine Organisation an uns heranträgt, weil wir da angedockt sind. Das war glaube ich das, was dabei wichtig war.

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00:15:10: J: Es gab da jetzt noch zwei andere Räume, wenn man die jetzt so beschreiben würde, einmal deine Lehrtätigkeiten und - ich nenne es jetzt mal zusammenfassend - dein politisches Engagement. Vielleicht auch noch mal eine ganz kurze Zusammenfassung dieser Räume für dich: Was tust du da? Was können sich unsere Zuhörer_innen darunter vorstellen?

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00:15:32: MK: Ja, ich könnte vielleicht das politische Engagement in Kontrast setzten zu der Rolle, die ich an der UBIF habe. Weil bei der UBIF ist das ja so, dass es schon klar ist, dass die Menschen, die kommen mit einem bestimmten Wunsch hierhin kommen, mit einer Vorstellungen, vielleicht auch manchmal nicht ganz klar, mit dem Anliegen zu erzählen was ihnen passiert ist oder was ihr Problem ist und wünschen sich Unterstützung. Also da habe ich schon so eine Rolle als Unterstützerin und ich empfinde das eigentlich gar nicht so als eine angenehme Rolle. Ich finde: Das ist eine Rolle, die nur notwendig ist, weil unsere Gesellschaft eben nicht so ist, dass da die Macht gerecht verteilt ist sondern, dass diese Menschen in einer Machtposition sind, in einer marginalisierten Position oft, die es ihnen verunmöglicht für ihre eigenen Rechte so gut einzutreten und damit gehört zu werden. Und da gerate ich dann sozusagen in diese Helferposition, das ist dann nun mal meine Rolle, das ist sozusagen eine Krücke in dieser Gesellschaft, dass diese Menschen das benötigen. Und, dass wir dabei natürlich zwar versuchen uns auf Augenhöhe zu begegnen, das aber eigentlich nicht so richtig passieren kann, weil diese Menschen schon als Helfer in die Organisation kommen, sage ich jetzt mal und damit leben müssen. Aber bei dem politischen Engagement ist es ein bisschen was anderes, finde ich, denn da, also bei den selbstorganisierten Protesten von Geflüchteten ist es ja gerade das Anliegen der Leute oft zu sagen: "Ich will das nicht. Ich will nicht, dass jemand für mich jetzt hier Partei ergreift." Also natürlich wünscht man sich Solidarität, aber ich sage selber, was ich sagen will, ich fordere etwas ein, ich bin kein Bittsteller. Und da sich eben diese Räume auch zu erobern, aber dafür braucht es natürlich auch schon gewisse Ressourcen zu sagen: "Ich gehe so nach vorne was die eigene Situation angeht." Ja und in diesen Räumen, sage ich mal, oder bei den politischen Protesten, geht es auch viel um Power-Sharing, also eigene Privilegien zu erkennen und da auch zu sehen: Wie kann ich mich da einbringen ohne die Agenda der Leute jetzt unbedingt zu bestimmen. Wie kann ich da aus dem Hintergrund heraus, mit dem was ich an Ressourcen habe, diese Prozesse unterstützen. Und ja, das ist noch mal eine ganz andere Sache, da begegnet man sich noch mal anders, glaube ich.

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00:17:23: J: Man muss seine eigene Rolle auch, glaube ich, dann immer wieder hinterfragen und in Frage stellen, eben sich kritisch hinterfragen und sagen: "Ja, inwieweit bestimme ich jetzt eigentlich hier diese Bewegung, diesen Diskurs" und sich eben davor auch schützen, um eben seine Mitstreiter_innen da auch zu schützen und sie zu empowern, ihre eigene Agenda durchzusetzen. Und vielleicht zusätzlich noch deine Lehrtätigkeiten, da geht es ja auch um Flucht. Wie stellt sich das dort da, weil da wirst du ja wahrscheinlich viel mit Studierenden zu tun haben, die sicherlich auch hier und da eine Fluchterfahrung haben, aber im Großteil wahrscheinlich nicht, oder? Wie sieht das aus?

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00:17:57: MK: Ja, das ist bei mir so: Ich arbeite für das International Office, also ich gebe die Seminare als freiberufliche Lehrkraft sozusagen für das International Office an der RUB und habe da eigentlich nur mit Menschen mit Migrationshintergrund zu tun tatsächlich. Und die meisten von den Menschen, für die ich die Seminare oder die Workshops mache, haben einen Fluchthintergrund. Und was da, glaube ich, nochmal interessant ist: Also ich verstehe das expilzit so, dass ich da einen Raum eröffne für Diskussionen und Begegnungen, auch der Menschen untereinander. Gleichzeitig weiß ich, dass viele noch nicht so lange in Deutschland sind und noch nicht so viele Kontakte zu Deutschen haben und die Möglichkeit da mit Menschen zu sprechen, somit bin ich, obwohl ich Dozentin bin, auch immer so ein bisschen so eine Art Repräsentantin der deutschen Gesellschaft. Also, das kann man natürlich nicht sein. Da kommen dann so Identitätsvorstellungen, die ploppen dann so auf, dass die Leute das Gefühl haben, sie haben jetzt die Möglichkeit mit einer Deutschen, also die, die die Gesellschaft hier kennt. Das ist natürlich so eine Illusion, aber die ist dann normal da in dem Moment. Und da taucht auch das Thema wieder auf, was ich ja auch in meiner Dissertation frage: Also, inwiefern beeinflussen Diskurse auch die Aussagen von den Leuten und was sie einem mitteilen wollen. Und diesen Raum für solche Diskussionen, den gibt es da in den Seminaren. Ich kann vielleicht auch mal ein Beispiel sagen, das hatte ich jetzt erst gestern. Es ging um das Thema Emanzipation von Frauen aus den arabischen Ländern und eine Person, die stammte selber aus Marokko. Und sie sagte dann: "Ja, die Frauen in Marokko oder in den arabischen Ländern, die haben halt nicht die Möglichkeit selber Entscheidungen zu treffen für ihren Berufsweg und das Studium und sind da viel von der Familie abhängig und es wird erwartet, sich halt um die Kinder zu kümmern." Und dann wiedersprachen sofort ganz vehement einige andere Frauen, auch muslimische Frauen, die auch Kopftuch tragen und sagten: "Nee, Moment mal. Also wir haben unsere Entscheidung selber getroffen, was für studieren wollen und wir gehen unseren Weg selber!" Und, naja, was passiert dann in dem Moment? Also ich hatte schon das Gefühl und hab die auch gefragt, sie haben das auch erwidert - das ist natürlich ein bisschen schwierig, das so nachzufragen - ich hatte das Gefühl, dass ist doch eine Antwort auf etwas, was sie hier in Deutschland mitbekommen. Nämlich, dass Frauen aus den arabischen Ländern oder muslimische Frauen unterdrückte Personen sind, die irgendwie unter der Fuchtel Ihrer Familie stehen und selber keine Entscheidung treffen können. Und natürlich gibt es diese Realität, dieses Thema Gleichberechtigung in den arabischen Ländern, das ist ein Riesenthema und auf der anderen Seite wollen sie nicht in diese Schublade gesteckt werden, da nur Opfer zu sein. Und daraus ist, glaube ich, diese Diskussion entstanden und das irgendwie mal so dann zu thematisieren und auf den Punkt zu bringen, das ist dieses Dialogische, was dann da das Wichtigste dabei ist.

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00:20:36: M: Monique, du hast jetzt hier so verschiedene Räume dargestellt und auch Beispiele genannt, die finde ich, das auch noch mal sehr schön verdeutlichen. Welche Erfolge siehst du bei der Begehung solcher verschiedenen Räume? Und wo waren hier auch die Herausforderungen für dich, wo du gesagt hast: "Das hätte ich anders erwartet" oder "Es hat sich anders entwickelt als gedacht"?

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00:20:55: MK: Also für mich verbindet sich da Erfolge und Herausforderungen ein bisschen,  weil ich glaube: Wir sind doch schon in so einem Prozess drin und der Weg ist ziemlich lang und da irgendwie die gesellschaftlichen Veränderungen anzuerkennen und diese produktiv gemeinsam zu gestalten. Und die UBIF ist da ja so ein Teil von, sage ich mal, überhaupt so eine Stelle zu haben, wo geflüchtete Leute hingehen können mit ihren Anliegen. Und das ernst zu nehmen, dass sie so eine Stelle auch brauchen, wo sich den Beschwerden , die sie haben, auch angenommen wird. Und ja, das auch gedacht mit ein bisschen Blick auf Antidiskriminierungsarbeit, dass das gesellschaftlich besser verankert wird. Und ich glaube, da ist die UBIF ein Schritt in die richtige Richtung, darauf aufmerksam zu machen, dass so etwas notwendig ist und es eine gesellschaftliche Anerkennung dessen geben muss, das es nun mal so etwas wie strukturellen Rassismus, interpersoneller, struktureller und institutioneller Diskriminierung gibt und, dass Menschen da nicht mehr so große Hemmungen haben, das auch einzugestehen und sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen. Also, weil wir erleben das immer wieder, dass in Behörden dann gesagt wird: "Ja, aber wir machen doch unsere Arbeit gut und wir sind doch keine Rassisten". Natürlich, das will keiner sein, aber es ist nun mal eine Realität, dass Rassismus ein Teil unserer Gesellschaft ist und dann kommt man da einfach nicht drum rum, das auch mal auszuhalten und das anzunehmen und sich dann damit produktiv auseinanderzusetzen und das gilt überall. Also, ich sage ja nicht, dass es nur in Behörden so ist, das ist wahrscheinlich auch bei uns in der UBIF. Wir sind drei Leute, die ich glaube keine Migrationsgeschichte in Deutschland haben und hier so ein Selbstverständnis auch irgendwie mitbringen, auch wenn wir uns das selber immer reflektieren, aber das ist ja auch nicht selbstverständlich, da hört man nie mit auf. Dieser Prozess hin zu einer postmigrantischen Gesellschaft, das ist jetzt so ein Schlagwort das kommt von Naika Foroutan, einer Professorin, die hat das irgendwie versucht so ein bisschen zu etablieren. Das ist glaube ich der Prozess, wo wir so ein Teil von sind und wo ich meine Forschung ein Teil von ist. So, wo ich das auch einordnen würde, zu sagen: Es gibt die Anerkennung, das wir eine diverse Gesellschaft sind, eine Einwanderungsgesellschaft, die von Migration geprägt ist, was auch immer so bleiben wird und was ich auch nicht ändern wird, aber wir sind in dem, wie wir handeln, wie wir denken noch nicht darauf eingestellt. Jetzt benutze ich auch so einen Wir-Begriff, das ist ja auch immer schwierig, da sind wir wieder bei dem Raumthema: Was ist eigentlich diese Einheit, die man da immer denkt? Und da vielleicht auch ein bisschen utopischer zu sein und offener zu denken und mehr Gedankenexperimente zuzulassen, dahingehend: Wie gestalten wir eigentlich die Gesellschaft? Und da gehört es eben zu, zu sehen, dass Rassismus, Diskriminierung, Benachteiligung von Menschen, die eine Migrationsgeschichte haben, einfach was ist, was allen schadet, was einer Gesellschaft insgesamt schadet. Und da damit umzugehen als etwas, das uns alle angeht und jeden betrifft, auch wenn man keinen Migrationshintergrund hat. Also es wäre so ein Teil davon.

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00:23:46: J: Ja, ein sehr interessanter Gedanke, dass das letztendlich auch mich betrifft, der ja vielleicht von diesen Herausforderungen, die geflüchteten Menschen jeden Tag begegnen, selbst nicht betroffen ist, aber mir trotzdem indirekt schadet, weil es irgendwie eine Kultur des Misstrauens fördert. Du hast ja auch eingangs mal erwähnt, dass eine Beschwerdestelle in einem Staat keine Besonderheit sein sollte und wir auf dem Weg möglicherweise dorthin sind, dass das vielleicht auch nicht mehr nötig ist. Das hat ja mit so einem gewissen Selbstverständnis zu tun, also wie eine Gesellschaft sich sieht. Also, wie sehe für dich jetzt so ein Selbstverständnis einer solchen Gesellschaft aus?

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00:24:19: MK: Ja, da würde ich auch wieder gerne andocken an postmigrantische Gesellschaft. Das ist zum Beispiel dieses Schlagwort "Integration", das ist etwas ist, was man nicht mehr nur bezogen auf Migranten oder Menschen mit Migrationsgeschichte - welches Wort man da auch immer benutzen würde - dass es keinen Sinn macht, dass nur darauf bezogen zu denken. Sondern was bedeutet das dann in einer Gesellschaft iregndwie angekommen zu sein? Was sind da überhaupt Punkte, die dabei eine Rolle spielen? Und wen betrifft das, wer ist eigentlich ausgeschlossen? Also da gibt's ja ganz viele verschiedene Menschen, die sich in irgendeiner Art und Weise aus verschiedenen Gründenausgeschlossen fühlen können. Und dann würde man sagen: Integration ist erstens keine Einbahnstraße. Es gibt keine defizitären Leute, die hier hinkommen und die dann irgendwie bearbeitet werden müssen, damit sie dazu geeignet sind hier in dieser Gesellschaft zu leben. Und das andere ist eben: Integration betrifft nicht nur Migrant_innen, sondern das ist etwas, was alle möglichen Leute betrifft und was eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe für alle möglichen Gruppen sein kann. Und eben auch die Anerkennung, dass Rassismus und Diskriminierung dann auch ein Thema für alle sind, was überall irgendwie auch ein bisschen hingehört, so wie das auch z.B. bei Inklusion ein Thema ist, so wie das da Gleichstellung ein Thema ist. Es gibt diese gesellschaftlichen Probleme, die müssen anerkannt werden und dann muss sich das auch in dem Handeln überall wiederspiegeln, dass es irgendwie erkannt wird. Ja und ich glaube, was auch dazu kommt, was jetzt vielleicht auch nicht ganz zu dem Schlagwort postmigrantische Gesellschaft dazu gehört, sondern allgemein auch ein Punkt ist, den ich wichtig finde und der mir auch immer wieder begegnet ist in der Arbeit mit geflüchteten Menschen: Diese Verantwortung auch einer Gesellschaft in Bezug auf Fluchtursachen. Also inwiefern bin ich da beteiligt Flucht mit zu verursachen durch Waffenlieferungen oder meine Außenpolitik oder wirtschaftliche Regelungen und da auch globaler zu denken, um nicht mehr nur in diesen nationalstaatlichen Kategorien auf den eigenen Staat bezogen, sondern da globaler zu denken und utopischer zu denken und das mit anzuerkennen. Und dazu gehört eben auch eine Geschichtsschreibung, eine Narrativierung von Gesellschaft, die die Menschen, die hier sind, wo es eine Selbstverständlichkeit ist, dass es mitadressiert wird, was die Hintergründe dieser Menschen sind. Da gehört für mich z.B. zu, viel mehr über die Herunftsländer zu wissen, auch darüber, warum die Menschen hier sind, das prägt die ja heute noch. Das ist ja auch normal, wir sind ja nicht so eintönig, jeder hat irgendwie einen Hintergrund, der ihn oder sie irgendwie prägt und das muss dann, glaube ich, eben auch mitgedacht werden.

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00:26:38: M: Du hast ja auch über Diskurse immer wieder gesprochen, wie wichtig die sind. Du hast ja erwähnt vielleicht auch mal in die Selbstverantwortung zu gehen und auch zu reflektieren, dass man als Teil von Fluchtursachen auch betrachten muss, also weiter denken muss. Ich frage mich, wie könnte man das noch mehr vorantreiben?

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00:26:56: MK: Also das, was mir dazu einfällt zu deiner Frage, das ist die Arbeit der "Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und Migrant_innen", die waren nämlich bteiligten an diesem Oury Jalloh Prozess, an das Gedenken und auch das Aufmerksammachen auf diesen Mord an Oury Jalloh. Und ich sage das jetzt auch mal mit dem Mord, weil da haben sich schon so Debatten dran entzündet, wo mir die Leute von der Karawane auch mal gesagt haben: Es ist immer versucht worden uns da zu korrigieren und zu sagen:  Sag nicht, dass das Mord war. Aas ist doch überhaupt gar nicht gerichtlich aufgeklärt und das könnt ihr doch nicht einfach so sagen." Und was die gemacht haben ist, halt nie damit aufzuhören. Das ist jetzt schon seit vielen, vielen, vielen Jahren, dass sie das Thema immer wieder in die Öffentlichkeit bringen: Was ist mit Oury Jalloh passiert? Das muss aufgearbeitet werden. Und die sind ja auch mit ihrer Hartnäckigkeit immer an den Thema dranzubleiben, nie da aufzuhören, auch damit in die Medien zu gehen, haben sie ja auch ein Stück weit Erfolg gehabt, würde ich schon sagen. Das ist jetzt irgendwie im Spiegel, das ist bei der Zeit, da wird in den großen Mädchen drüber berichtet, das ist jetzt auch natürlich noch mal viel krasser Thema. Und ich glaube da verändert sich was, aber das sind dicke Bretter und da spielen natürlich diese Selbstorganisationen eine große Rolle dabei und, dass diese Themen, die sie haben auch aufgegriffen werden und ernst genommen werden. Man kann da Kritik üben und sagen: "Ihr dürft nicht Mord sagen, weil das noch nicht geklärt ist", aber es geht ja auch darum: Was wollen die eigentlich? Also welche Lehrstellen einer Gesellschaft, welche Narrationen oder welche Verletzungen auch, wollen die sichtbar machen, wo sie das Gefühl haben, dass da nicht hingeguckt wird.

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00:28:25: J: Vielleicht mit einem Satz kurz erklärt: Wer war Oury Jalloh?

00:28:32: MK: Oury Jalloh ist jemand, der ist Sierra Leone geboren und 2005 unter mysteriösen Umständen in einer Polizeizelle in Dessau verbrannt. Und die Angehörigen und Freunde der Person haben sich gewundert, also sie haben von Anfang an nicht geglaubt, dass das ein Unfall gewesen ist und haben da eben genauer nachgehakt und daraus ist eben auch eine ganz lange Geschichte entstanden der Öffentlichkeitsarbeit, der Versuche das aufzuklären. Und ja, da findet man auch ganz viel, sogar im Internet.

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00:28:58: J: Wir kommen langsam zum Ende unserer Folge, aber eine Frage haben wir noch an dich. Wir stellen unseren Gästen hier immer die Frage: Welchen Menschen würdest du unseren Zuhörer_innen ans Herz legen, mit dem sie sich einmal beschäftigen sollten?

00:29:12: MK: Ja, die Antwort ist leicht für mich jetzt im Kontext des Themas unseres Gesprächs heute und zwar ist das Gayatri Chakravorty Spivak, das ist eine Vertreterin der postkolonialen Theorie oder man sagt Mitbegründerin der postkolonialen Theorie. Und die postkoloniale Theorie hat sozusagen starken Einfluss auf meine eigene Arbeit. Bei der postkolonialen Theorie geht es darum, koloniale Vergangenheit zu reflektieren und auch wie die bis heute fort wirkt und da auch Selbstreflektion zu betreiben und Gayatri Spivak zeigt das in ihrer Arbeit, finde ich, auf eine beeindruckende Weise, weil sie Ambivalenzen manchmal nicht auflöst. Also sie lässt Widersprüche bestehen und das zeigt sich sogar in ihrer Person, also z.B. versucht sie sich für Subalterne, nennt sie das, also marginalisierte Menschen, einzusetzen mit ihrer Arbeit und setzt sich dafür ein, dass diese eine Stimme haben und gehört werden. Auf der anderen Seite schreibt sie so kompliziert, dass sie dafür kritisiert wurde: "Ja. wenn man so kompliziert schreibt, wie sollen denn die Subalternen davon profitieren, das geht doch nicht." Und sie hat die Kritik angenommen und hat gesagt: "Ja, aber manche Dinge sind so kompliziert, die kann ich einfach nicht sagen" und in anderen Momenten ist sie selbst zurückgetreten und hat gar nichts gesagt und hat den Raum, bei einem Vortrag jetzt z.B., subalternen Menschen gegeben, die dann da gebrochen haben. Und ich finde diese Widersprüche nicht aufzulösen und bestehen zu lassen ist was, was hier gerade in Zeiten, wo Verschwörungstheorien wieder voll im Kommen sind, was wir da irgendwie brauchen. Und da kann man mit Gayarti Spivak ganz gute Denkanstöße bekommen, auch wenn ich zugeben muss, dass es jetzt auch nicht ganz einfach zu lesen ist.

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00:30:56: J: Ja, Name und Infos dazu findet ihr wie immer in der Podcast Beschreibung.

00:31:06: M: Genau und ich glaube unsere Zeit ist jetzt auch leider um. Ich habe so ein bisschen das Gefühl wir hättenauch noch länger reden können. Auf jeden Fall vielen lieben Dank Monique für dieses tolle Gespräch. Wenn ihr liebe Zuhörer_innen weitere Informationen zur Arbeit von Monique Kaulertz haben wollt, auch über ihre Tätigkeiten von UBIF, dann findet ihr diese in der Beschreibung der Folge. Und solltet ihr Fragen zu unserem Podcast haben oder uns Anregung schreiben wollen, dann könnt ihr das tun, unter sinnzeit@katho-nrw.de. Und da freuen wir uns auch sehr auf eure Nachrichten. Und übrigens sind wir seit neuesten jetzt auch bei Instagram unterwegs, also falls ihr da auch Interesse habt reinzuschauen oder Beiträge zu kommentieren, unseren Podcast zu kommentieren, dann unter transfernetzwerk.s_inn. Und ganz wichtig: Unsere neue Folge erscheint am 30. November, die handelt von VR-Brillen in der Senior_innenarbeit oder wenn man das bildlich gesprochen betrachtet: Oma Alice im Wunderland. Und zwar mit Milena Feldmann, die sich im Zuge ihrer Thesisarbeit an der KatHO NRW Abteilung Köln eingehend damit beschäftigt hat. Jens, ich weiß nicht, ob du dich darin auskennst. Ich bin da sehr gespannt, was wir darüber hören werden.

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00:32:26: J: Ja, ich bin auch sehr gespannt. Ich habe ich auch ein sehr persönliches Interesse daran, da mal ins Gespräch zu kommen. So, ja dann auch noch mal von mir, liebe Monique: Vielen Dank für das Gespräch. Und bis dahin: Nutzt eure Zeit s_innvoll!

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Über diesen Podcast

Soziale Ungerechtigkeit, spannende Konzepte aus der Wissenschaft und innovative Lösungsansätze für soziale Herausforderungen – all das behandelt s_innzeit, der Wissenschaftspodcast von s_inn!

https://www.s-inn.net
sinnzeit@katho-nrw.de

von und mit Marina-Rafaela Buch, Jens Koller, Sinem Malgac, Stephan Post, Ariadne Sondermann, Lisa Koopmann

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