s_innzeit - der Wissenschaftspodcast zur Sozialen Arbeit

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00:00:00: Music.

00:00:13: Jens (J): Hallo an alle an den Endgeräten da draußen. Willkommen zu s_innzeit, der Wissenschaftspodcast vom Transfernetzwerk s_inn. Mein Name ist Jens Koller und ich sitze hier über eine App verbunden mit meiner Mitmoderatorin Marina. Hallo Marina!

00:00:19: Marina (M): Hallo Jens.

00:00:26: J: Unser heutiges Thema lautet: "Ethische Politikberatung - fünfte Rat am Wagen?" Marina, warum sprechen wir heute über dieses Thema? Warum macht diese Folge s_inn?

00:00:33: M: Ja, Jens. Wir sprechen heute darüber vor allen Dingen, um zu wissen was der Ethikrat eigentlich so macht, wie Stellungnahmen entstehen und was dann im Anschluss damit passiert. Denn der Ethikrat ist aktuell und auch pandemiebedingt häufiger mit seinen Empfehlungen in den Medien präsent. Dies betrifft etwa die Priorisierung bei den Impfungen, wo sich der Ethikrat für den Vorrang sogenannter vulnerabler Gruppen ausgesprochen hat. Und vielleicht hat ein Teil unserer Hörer_innen auch das verfilmte und vieldiskutierte Theaterstück "Gott" von Ferdinand Schirach gesehen, in dem es um das Thema ärztlicher Suizidhilfe geht und in dem die konträren Positionen, die hierzu auch im Ethikrat vertreten werden, nachempfunden werden sollten. Und unabhängig davon wie realistisch oder unrealistisch oder gelungen dies tatsächlich war, wurde hier sehr deutlich, dass die Fragestellungen mit denen sich der Ethikrat auseinandersetzt häufig sehr komplex sind und in der Praxis auch schwierige Entscheidungen, Situationen und Prozesse nach sich ziehen können. Kontrovers und auch emotional geführte Themen mit denen sich der Ethikrat auch beschäftigt sind z.B. Organtransplantation oder auch die Frage der anonymen Kindesabgabe. Und auf einige andere sehr aktuelle und wichtige Themen, die im Ethikrat diskutiert werden, wollen wir im weiteren Verlauf der heutigen Folge auch noch mal eingehen.

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00:02:02: J: Ja, Marina vielen Dank. Der Ethikrat ist ja auch gerade in letzter Zeit immer mal wieder in den Medien gewesen und deswegen haben wir beschlossen, wir wollen das ganze mal etwas näher beleuchten. Und das machen wir wie immer nicht alleine, wir haben uns einen Gast eingeladen. Unser heutiger Gast ist Sigrid Graumann, Rektorin der evangelischen Hochschule in Bochum und auch eine der Projektleitung unseres Transfernetzwerkes. Sie ist bereits in der zweiten Amtszeit im Ethikrat, eine Amtszeit geht vier Jahre, und hat sowohl in Humangenetik als auch in Philosophie promoviert und deswegen kann sie eine interdisziplinäre Expertise in den Ethikrat mit einbringen. Sie ist dort vor allem für die Themen Biomedizin, Bioethik und Behinderung, sowie sozialethische Fragen biomedizinischer Forschung und Praxis zuständig. Hallo Sigrid, schön, dass du da bist.

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00:02:52: Sigrid (S): Hallo Jens, hallo Marina!

00:02:54: M: Hallo!

00:03:02: J: Sigrid, uns würde zu Beginn interessieren: Wer sitzt denn eigentlich alles im Ethikrat? Also,wie viele Menschen sind dort und was zeichnet diese aus?

00:03:10: S: Ja, normalerweise sitzten 26 Mitglieder im Ethikrat, im Moment fehlen zwei. Die Hälfte von den Mitgliedern im Ethikrat werden von der Regierung und die andere Hälfte werden von den Fraktionen im Bundestag vorgeschlagen. Bei den Fraktionen im Bundestag ist es so, dass die einzelnen Fraktionen entsprechend ihres Sitzanteils im Bundestag praktisch ein Vorschlagsrecht haben für eins, zwei oder drei Mitglieder. Die Regierung, die achtet immer sehr stark da darauf, dass z.B. die Kirchen vertreten sind oder auch andere Religionsgemeinschaften vertreten sind. Bei den Fraktionen geht es stärker darum, einfach Personen zu finden, die die Grundhaltung zu Forschungs- oder biopolitischen Fragen der einzelnen Fraktionen ungefähr abbilden. Was nicht ganz einfach ist, weil die Ethikfragen in dem Bereich sich nicht so verteilen, wie das üblicherweise so bei den klassischen gesellschaftlichen Fragen, wie eher konservativ, eher Fortschritt. Dann ist der Ethikrat interdisziplinär zusammengesetzt, das heißt es sind Medizinerinnen drin, Naturwissenschaftlerinnen Sozialwissenschaftlerinnen, Theologinnen, Philosophinnen, Juristinnen. Außerdem wird darauf geachtet, dass, wie gesagt verschiedene Weltanschauungen und Religionen vertreten sind. Also es ist eine, würde ich mal sagen, sehr bunte Truppe, die da versammelt ist und wir bilden eigentlich das ganze Meinungsspektrum ab, was es im wissenschaftlichen Diskurs und auch in der Gesellschaft so gibt.

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00:04:32: M: Und Sigrid, wie wurdest du genau in den Ethikrat berufen?

00:04:41: S: Ja, bei mir ist es so, dass ich von einer Fraktion vorgeschlagen worden bin, von den Grünen. Die haben mich gefragt, ich hatte mit denen einfach schon häufiger zu tun zu verschiedenen ethischen Themen, dann haben sie mich gefragt, ob sie mich vorschlagen dürfen. Ja, ich habe dann "ja" gesagt, dann wurde ich zusammen mit den Vorschlägen der anderen Fraktionen vom Bundestag gewählt, also der Bundestag wählt dann so eine Liste von den vorgeschlagenen Personen und der Bundestagspräsident hat uns dann - das ist im Moment gerade Schäuble, vorher war das Lammert - hat uns dann berufen.

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00:05:08: J: Okay, jetzt haben wir eine ungefähre Vorstellung davon, wie sich dieser Ethikrat zusammensetzt und wie man dorthin kommt. Und ja, was machst du da? Also wie kann ich mir so ein Engagement da vorstellen? Und wie aufwendig ist das?

00:05:15: S: Was wir tun im Ethikrat ist, wir machen ethische Politikberatung, also wir beraten primär Bundesregierung und Bundestag. Das tun wir nicht immer gefragt, also wir suchen uns unsere Themen meistens selbst, ab und an mal, das ist jetzt in der Pandemiesituation häufiger passiert, bekommen wir auch Anfragen. Also vom Bundestag haben wir bisher nie einen Auftrag bekommen, die konnten sich bisher nicht auf Aufträge verständigen, aber von Regierungsseite haben wir schon Aufträge bekommen. Aber wie gesagt: Meistens suchen wir uns die Themen selbst, einfach das, was gerade aktuell diskutiert wird. Das Engagement oder der Aufwand hängt natürlich ganz stark vom eigenen Engagement ab, es ist eine ehrenamtliche Tätigkeit, das heißt: Ich werde dafür nicht von meiner Arbeit freigestellt, sondern ich muss es zusätzlich zur Hochschulleitung machen. Das sind normalerweise zwei bis drei reguläre Sitzungen im Monat, Plenumssitzungen, Arbeitsgruppensitzungen, dazu kommt Vor- und Nachbereitung und die eine oder andere Veranstaltung, die der Ethikrat macht. Also wir machen z.B. jetzt diesen Monat eine Veranstaltung zu Triage auf Intensivstationen, da werde ich die Moderation übernehmen und das ist für mich dann noch mal praktisch ein Abend, der dann zu den üblichen Dingen dazu kommt. Ja, ich leite im Moment gerade eine AG, die sich mit den ethischen Fragen der Pandemie beschäftigt. So eine AG-Leitung ist immer besonders arbeitsaufwendig, wenn man so als einzelnes Mitglied tätig ist, dann ist es ein bisschen weniger. Aber insgesamt kann ich schon sagen: Ohne Einsatz am Feierabend oder auch am Wochenende ist es nicht zu stemmen.

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00:06:51: M: Du hast es jetzt auch ein bisschen dargestellt, das ist eine ehrenamtliche Tätigkeit. Nun bist du vor Kurzen erneut in den Ethikrat gewählt worden, das heißt du wirst vier Jahre weiterhin da arbeiten. Was ist denn für dich genau das Spannende oder das Interessante an dieser Arbeit?

00:07:04: S: Ja, also mich interessieren viele Themen, die im Ethikrat behandelt werden. Also der Ethikrat beschäftigt sich eigentlich vor allem einfach mit bioethischen Themen, aber auch medizinisch-sozialen Themen, forschungspolitischen Themen, die mich einfach auch in meiner Arbeit interessieren. Also von daher einfach Interesse und dann natürlich schon auch die Überlegung, mal an der Stelle ein bisschen Einfluss nehmen zu können, spielt natürlich auch eine Rolle. Jetzt nicht nur im Elfenbeinturm Wissenschaft zu betreiben, sondern praktisch auch das, was man sich irgendwie über viele Jahre an gelesen und andiskutiert hat vielleicht doch auch mal irgendwie gesellschaftlich nutzbar zu machen, auch wenn das oft begrenzt ist. Also die Wirkung ist oft nicht so einfach oder so leicht sichtbar - das ist im Moment in der Pandemie vielleicht ein bisschen anders - normalerweise aber nicht. Wenn wir dann den Eindruck haben: Okay, wir können Diskussionen anregen, es wird in den Medien oder auch im Bundestag sogar aufgegriffen, dann hat man schon das Gefühl, dass sich der Einsatz ein bisschen lohnt.

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00:08:07: J: Wir haben ja schon angedeutet, dass die Fragestellung oder die Themen, mit denen ihr euch beschäftigt, sehr komplex sind, dass es da viele Seiten gibt, die da auch aus ihrer Sicht alle gut argumentieren. Und ja, vor diesem Hintergrund entstehen auch immer gewisse Dilemmata, die es nicht einfach machen eine Stellungnahme für die eine oder die andere Richtung eben zu verfassen. Vielleicht kannst du noch mal so ganz kurz den Begriff Dilemma umreißen, hier in diesem Kontext, dass wir auch eine Vorstellung davon haben, mit was für Problemen oder Herausforderungen ihr euch da beschäftigt.

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00:08:39: S: Dilemma heißt vielleicht erstmal so ganz einfach: Es ist ein Konflikt, der nicht einfach zu lösen ist oder vielleicht auch ein tragischer Konflikt. Also man hat zwei Güter, die wichtig sind, die man beschützen will, also jetzt z.B. bei der Frage Suizid, das Leben von Menschen auf der einen Seite und die Selbstbestimmung auf der anderen Seite. Und wenn ich das eine schütze, kann ich das andere nicht schützen, das ist eine tragische Entscheidung. Vielleicht kann man das an der Debatte Beihilfe zum Suizid, die Marina ja anfangs schon angesprochen hat auch ganz gut erklären. Also wenn Ärzte tödliche Medikamente ausgeben dürfen, darum geht's ja in der Debatte, das ist bisher in Deutschland so nicht möglich, kann dem Recht von Patienten auf Selbstbestimmung, Patienten die schwer krank sind, die Suizid begehen wollen, weil sie praktisch ihr Leid nicht mehr erträglich finden, weil sie meinen, dass sie keine Lebensqualität mehr haben, deren Recht auf Selbstbestimmung kann dann entsprochen werden. Es kann aber natürlich auch passieren und das ist jetzt eher mein Anliegen in der Debatte gewesen, dass durch so eine Regelung, also wenn der der ärztlich assistierte Suizid freigegeben wird, dass es auch einen Druckk auf Menschen macht. Also, dass Menschen dann das Gefühl haben, sie fallen anderen zu Last und fühlen dann vielleicht einen sozialen Druck, dass sie sich vielleicht doch besser aus dem Leben verabschieden sollten. Und gerade, wenn man viel mit Menschen mit Behinderungen und chronischen Krankheiten zu tun hat, dann weiß ich schon, dass es Menschen sind, die immer mal wieder die Erfahrung machen, dass die Umgebung eigentlich nicht wirklich versteht, was denn deren Lebensqualität eigentlich ausmacht. Dass da doch dann vielleicht eher die Erwartung entsteht oder solchen Menschen dann sowas eher angeboten wird und dadurch eben ein subtiler Druck entsteht. Das ist, finde ich, gefährlich und es ist auch gefährlich, wenn wir wissen, dass es in dem Prozess von der infausten Prognose - also wenn jemand eine Krebserkrankungen, hat die nicht heilbar ist - dass da im im Laufe der Auseinandersetzung mit der Krankheit Depressionen entstehen können, die aber auch überwunden werden können, wo Menschen auch noch mal gute Lebensaussichten entwickeln können. Und wenn dann in so einer Situation vielleicht auch vorschnell aufgrund einer Fehleinschätzung, dann ein tödliches Medikament verschrieben wird, dann haben die Menschen vielleicht eine gute Zeit, die sie noch vor sich gehabt hätten, auch verloren. Und das sind einfach Dinge, die man da, denke ich, mitberücksichtigen muss. Das Recht auf Selbstbestimmung ist wichtig, aber es ist nicht das einzige.

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00:11:11: M: Also du hast jetzt hier auch ein Beispiel genannt, wo eben sehr kontrovers auch diskutiert wurde, auch mit "das Recht auf Selbstbestimmung ist ein Recht, aber nicht das einzige" und auch welche Auswirkungen das letztendlich hat, wenn man diese Schritte dann gehen würde. Man sieht hier eben auf dem Hintergrund was Jens auch noch mal gesagt hat, dass der Ethikrat und die Entscheidungen, die getroffen werden, teilweise sehr unterschiedliche Bewertungsmaßstäbe haben und man kann eben nicht sagen, dass das eine falsch oder richtig ist, sondern, dass auch die Betrachtungsweise eben all dieser facettenreichen Perspektiven auf die Thematik. Mich würde jetzt hier mal interessieren, ob du einen Falll oder ein Thema erlebt hast, wo die Entscheidung im Ethikrat relativ eindeutig oder zügig ausgefallen ist?

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00:11:52: S: Da fallen mir ganz spontan zwei Stellungnahmen ein. Die beide Themen betreffen die gesellschaftlich hochumstrittend sind. Das eine ist die Stellungnahme zu "Tierschutz als Schutz von Nutztieren" und das andere ist die Stellungnahme "Hilfe durch Zwang". Also wir waren uns vollkommen einig im Ethikrat, das unsere industrielle Tierhaltung, die wir heute sehen und dieses Leiden von Tieren dafür, dass wir günstige Fleischprodukte im Supermarkt kaufen können, dass es so ethisch nicht vertretbar ist. Das hätte ich am Anfang nicht gedacht, aber da waren wir uns absolut einig und wenn die Politik dieser Stellungnahme folgen würde, dann müsste es im Grunde wirklich eine ganz, ganz grundlegende Landwirtschaftsreform geben, die eben mit dieser Form von Tiernutzung aufhört und die Tierschutzgesetze, die wir alle haben konsequent auch anwendet und umsetzt. Und die andere Stellungnahme, die einheitlich war - auch da hätte ich das anfangs nicht erwartet - war die Hilfe durch Zwang. Damals habe ich selbst auch die Arbeitsgruppe geleitet und da haben wir lange, lange sehr, sehr kontrovers zum Teil auch diskutiert. Also da geht's darum, ob Zwangsmaßnahmen in der Psychiatrie, Zwangsbehandlung, Zwangsunterbringung in der Psychiatrie, Zwangsmaßnahmen in der Kinder- und Jugendhilfe, also Herausnahme von Kindern gegen ihren Willen aus der Familie oder auch Zurückführung von der Pflegefamilie gegen ihren Willen oder auch repressive pädagogische Maßnahmen, so á la Bootcamps, die gerade irgendwie auch von manchen  sehr propagiert werden. Und es ging auch um Zwangsmaßnahmen in der Pflege, also Fixierung oder solche Dinge. Da waren wir uns nach langem Diskutieren, das war wirklich ein echt langer und intensiver Prozess waren, wir uns völlig einig, dass Zwangsmaßnahmen bei Personen, die dazu in der Lage sind freiverantwortlich zu entscheiden, grundsätzlich nicht zu rechtfertigen sind. Und da gehören viele Zwangsmaßnahmen dazu, die bei uns eigentlich selbstverständlich sind, also die nach wie vor angewendet werden. Also gerade bei Kindern und Jugendlichen waren wir uns z.B. völlig einig, dass es nicht vom Alter abhängen kann, ob die jetzt 18 sind oder nicht, sondern dass es wirklich ganz entscheidend davon abhängt, wie viel die Kinder eigentlich schon selbst verantworten können und es ist viel mehr als Erwachsenene manchmal denken. Und da haben wir gesagt: Okay, das geht überhaupt nicht. Also da muss irgendwie einfach strikt auf die Selbstbestimmung von den Kindern geachtet werden.

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00:14:12: J: Ich würde jetzt gerne mal einen Schritt weiter gehen, also da seid ihr relativ schnell auf eine gemeinsame Stellungnahme gekommen. Wie geht das weiter? Also die Stellungnahme ist raus und was passiert dann danach damit? Haben diese Stellungnahmen einen Einfluss, haben die eine bindende Wirkung überhaupt? Also wie ist so das Standing des Ethikrats, was die Verbindlichkeit angeht?

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00:14:38: S: Also verbindlich sind die Stellungnahmen natürlich überhaupt nicht. Also was passiert, vielleicht zunächst zu der Frage: Also die Stellungnahmen werden publiziert, sie werden in der Pressekonferenz oder im Idealfall bei der Bundespressekonferenz  vorgestellt, werden dann in der Presse aufgegriffen und dann - also Berichterstattung gibt's eigentlich erstmal immer - und dann ist die Frage: Zündet das und wird damit eine Diskussion angestoßen, oder nicht? Also bei der Tierethikstellungnahme z.B., die ist eher ein bisschen untergegangen,  das hing, glaube ich, einfach auch damit zusammen, dass dann Corona kam und das schon am Anfang von Corona war und einfach die Presse gerade nicht offen war für bestimmte Themen. Da hatten wir, glaube ich, einfach Pech. Ein halbes Jahr vorher wäre sie wahrscheinlich besser aufgegriffen worden. Ja, bei anderen Stellungnahmen gibt es dann intensive Debatten, das ist irgendwie unterschiedlich. Verbindlich sind die Stellungnahmen natürlich nicht, das wäre auch rein demokratietheoretisch gar nicht möglich. Es ist nach unseren demokratischen Spielregeln klar, dass Parlamente politische Entscheidung treffen und Expertengremien wie der Ethikrat können dabei nur beratend tätig sein. Also wir können und dürfen - und das ist auch meine eigene Überzeugung - Politikern Entscheidungen nicht abnehmen, also sie tragen weiterhin die Verantwortung für ihre Entscheidungen. Das, was wir beisteuern können, ist eine Aufklärung mit Argumenten. Wir können sagen: "Die Argumente sprechen dafür und diese Argumente sprechen dafür" oder "Das sind Aspekte, Gesichtspunkte, die man dringend berücksichtigen muss", also können vor vereinfachten Antworten, wann, wie, was weiß ich, bei Tierwohl z.B. da heißt ja auch oft: Die Konsumenten wollen das so. dass die Konsumenten gar nicht gefragt werden, ob sie das so wollen oder nicht,  sondern von bestimmten Fleischkonzern irgendwie mit irreführender Werbung - lächelnde Kühe und Schweine auf der Weide, wir wissen, um welche Firma es da geht - gelockt werden oder auch, dass wir eben Kantinenessen oder Fertigprodukte zu uns nehem, wo wir gar nicht entscheiden können, was da drin ist. Also das wird dann eben häufig nicht gesagt und dann sagen wir halt, also an der Stelle haben wir gesagt: Da muss die Politik Regeln setzen, das kann nicht demMarkt überlassen werden an der Stelle.

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00:16:47: M: So, du hast ja gewisse Themen auch angesprochen, wo wir viele kontroverse Diskussionen  auch untereinander wahrscheinlich führen könnten. Ich fände es dahingehend jetzt auch noch mal spannend ein Beispiel aufzugreifen, wo sich der Ethikrat eben nicht auf eine gemeinsame Position einigen konnte. Du hast vorhin das Thema auch Suizid angesprochen, aber mich würde es interessieren, ob es ein Thema gab, wo eben das Dilemma aufgrund eben dieser unterschiedlichen Bewertungsmaßstäbe nicht, ich sage jetzt mal, aufgelöst wurde. Ich nenne das Beispiel des Einsatzes der genscheren Crispr, das ist ein recht bekanntes Beispiel. Welche Positionen haben hier miteinander konfligiert?

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00:17:26: S: Vielleicht ist so das, was diese Genschere eigentlich machen kann, das ist ja eigentlich erstmal nur ein gentechnisches Werkzeug, was genetische Veränderung grundsätzlich vereinfacht hat und, dass es an vielen Punkten angewandt ist, ist auch vollkommen unproblematisch, da wird es einfach das Arsenal an Werkzeugen, was die Gentechnologie hat, bereichern. Aber man kann diese Methode und das ist die Idee, die auch diskutiert wird - oder es gab auch sogar schon einen Versuch in China,wie wir wissen - das ist die Anwendung praktisch an der menschlichen Keimbahn,  das heißt, eine menschliche Keimbahn heißt, das Keimzellen des Menschen oder eben frühe menschliche Embryonen genetisch verändert werden und damit dann die genetische Veränderung an die Kinder und Kindeskinder von dem Lebewesen, was praktisch da drauß entsteht und damit eben auch an den Menschen, der da drauß entsteht weitergegeben wird. Also was wir wissen ist, Genschere ist irgendwie viel effektiver und sie ist auch genauer als alte Methoden der Gentechnik, aber perfekt ist sie eben nicht.Deshalb war eine Position  - und das war auch meine persönliche Position - dass der Einsatz dieser Methode am Menschen absolut nicht vertretbar ist, weil es zu Schädigung bei Kindern und Kindeskindern führen kann, die wir überhaupt nicht überblicken. Ja und ich habe die Position vertreten, das ist ein grundsätzliches Problem, das sich auch nicht einfach auflösen lässt: Biologische Methoden, also Methoden, die jetzt in so komplexe Lebensvorgänge eingreifen, sind nie hundertprozentig. Das war meine Position, es gab andere, die haben das Ganze auch abgelehnt, aber aus einem anderen Grund, also eine ganze Gruppe, die Lebensschutzposition vertritt. Also die einfach gesagt hat: Wenn wir diese Methode anwenden und auch vor allem, wenn wir sie erforschen, werden ganz viele Embryonen verbraucht, getötet und das ist mit dem Lebensschutz nicht vereinbar. Das hat eine Gruppe vertreten. Es gab aber andere im Ethikrat, die gesagt haben: "Ne, wir gehen jetzt einmal von der fiktiven Vorstellung aus, die Methode würde irgendwann mal nahezu sicher funktionieren, dann könnten wir es uns aber vorstellen. Das ist eine Methode, die mit der Fortpflanzungsmedizin verbunden wird, also wenn Eltern sich ein Kind wünschen, was z.B. resistent gegen eine bestimmte Krankheit ist oder dass es eine bestimmte Erbkrankheit nicht hat, die in der Familie vorkommt, dann muss man den Eltern das doch zur Verfügung stellen." Dann haben wieder andere gesagt: "Das ist gar nicht nötig, dazu haben wir Alternativen. Wir haben Präimplantationsdiagnostik, dieser Fall kommt eigentlich so gut wie nicht vor."  Das war irgendwie so eine Kontroverse, da haben aber einige gesagt: "Nee aber wir wollen das jetzt nicht grundsätzlich ausschließen" und dann gab Es schließlich sogar noch, streng genommen, eigentlich nur eine Person im Ethikrat, die auch der Meinung war: "Ne, diese Methode sollte angewendet werden und sollte auch angewendet werden, wenn Eltern ihr Kind verbessern wollen, also wenn sie z.B. ein besonders musikalisches oder intelligentes oder besonders sportliches Kind haben wollen.

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00:20:13: M: Stichwort Designerbabys.

00:20:21:  S: Ja, Designer Babys. Also das gesamte Spektrum ist hier vertreten worden und was wir dann gemacht haben, weil wir uns eben nicht einigen konnten, ist, dass dann so ein Entscheidungsbaum entwickelt worden ist. Und da ist praktisch an jeder Kreuzung von diesem Entscheidungsbaum Ja jetzt "erforschen" oder "nicht erforschen", "anwenden" oder "nicht anwenden", haben wir dann im Grunde eine so zumindest Probeabstimmung - das ist dann nicht mit Stimmenzahl - aber wir haben dann so ein Stimmungsbild erhoben und das ist dann auch entsprechend kenntlich gemacht worden. Also was wir damit der Politik geliefert haben, ist eben ein Spektrum an Positionen, die man vertreten kann.

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00:20:57: J: Wie kann ich mir so eine Diskussion vorstellen, gerade zu solch einem besonders kontroversen Thema? Geht das eher ruhig zu, wie beim literarischen Quartett, sage ich jetzt mal, oder er ist da richtig Stimmung?

00:21:08: S: Ja, da kann auch mal richtig Stimmung in der Bude sein, also vor allem, wenn es um die Leib- und Magenthemen einzelner Leute geht, aber grundsätzlich würde ich schon sagen: Also grundsätzlich bemühen wir uns erstmal  wirklich um sachliche Debatten und ein argumentativen Austausch. Also grundsätzlich geht es schon sehr gesittet zu, aber man merkt schon auch und das sind oft finde ich auch die spannenden Debatten, also, dass Menschen das berührt und dass sie auch an bestimmten Punkten ein besonderes Engagement mitbringen.

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00:21:37: M: Sigrid, gab es auch einen Fall oder ein Beispiel zu deiner Arbeit im Ethikrat, wo du sagen würdest: "Da lag der Ethikrat falsch?" Oder wurde ein Thema unterschätzt und  die mediale Reaktion war sehr viel größer, als man gedacht hätte?

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00:21:55: S: Ja, also mir ging es tatsächlich mit einer Stellungnahme so, aber das war auch eine ad hoc Stellungnahme - ad hoc Stellungnahmen sind Stellungnahmen, die sehr schnell erarbeitet werden.

00:21:56: J: Entschuldigung, was heißt "sehr schnell" dann in diesem Kontext?

00:22:07: S: Also sehr schnell heißt, es waren damals in wenigen Wochen, also ich glaube drei bis vier Wochen haben wir dazu gebraucht, ein bisschen mehr vielleicht, aber so ungefähr. Und zwar, die erste Stellungnahme, die wir zu der Pandemie rausgegeben haben und der Grund warum wir das so schnell gemacht haben, war, weil es einen Wechsel in der personellen Besetzung gab, also ein Großteil der Mitglieder wurde neu berufen und dadurch hatte die alte Zusammensetzung zu Beginn der Pandemie nur sehr wenig Zeit, eine Stellungnahme zu erarbeiten.Wie gesagt, das war unter den erschwerten Bedingungen irgendwie, dass man sich nur digital treffen konnte am Anfang des Lockdowns. Ich war nicht in der Arbeitsgruppe beteiligt, die die Stellungnahme erarbeitet hat, aber ich habe mich sehr stark dann eingebracht und die Stellungnahme heißt "Solidarität und Verantwortung" und hier werden ganz verschiedene ethische Fragen der Pandemie abgedeckt, aber unter anderem eben auch zur Triage. Triage heißt, zu der Frage, wenn wir eine große Anzahl bei einem exponentiellen Wachstum der Infektionszahlen, eine große Anzahl von Patienten haben, die alle intensivmedizinisch betreut werden müssen, vielleicht sogar auf ein Beatmungsgerät angewiesen sind und wir haben eine begrenzte Zeit Intensivbetten und Beatmungsgeräte, wie entscheiden jetzt Ärzte, wer praktisch behandelt wird und wer eben nicht behandelt oder nur palliativ behandelt wird. Ich hatte damals den Eindruck während der Diskussion, wir haben das Problem ganz gut gelöst, also wir haben es beschrieben, wir konnten uns auch da nicht einigen, aber wir haben damals dann gesagt, dass es Leitlinien geben muss, die Ärzten bei der Entscheidung helfen und das ist sehr stark auf Kritik gestoßen. Wie gesagt,ich hatte den Eindruck, wir haben den Konflikt gut beschrieben, wir haben auch klar gemacht, dass da natürlich immer auch die Rechte von den einzelnen Patienten im Blick sein müssen, dass es um tragische Entscheidungen geht und, und, und. Ja, aber wir haben eben gesagt, dass es diese Richtlinien geben darf, die lagen damals noch nicht vor, aber  kurz darauf sind dann diese DIWI-Richtlinien dann auch veröffentlicht worden, nach der eher ein utilitaristisches Kalkül zugrunde liegt, nämlich die Entscheidung müssen so getroffen werden, dass möglichst viele Menschen überleben und das heißt dann faktisch,dass diejenigen, die eine schlechte Prognose haben - also das Kriterium der Gebrechlichkeit ist da vor allem kritisch diskutiert worden - dass die dann keinen Zuschlag erhalten. Und davon haben sich viele Menschen mit chronischen Krankheiten und Behinderungen haben sich davon, also haben befürchtet, dass sie dann diskriminiert werden, vor allem Menschen, die wissen, das Ärzte sie angucken und dann schon denken irgendwie: Der ist gebrechlich, der hat z.B. vielleicht eine spastische Lähmung und spricht nicht ganz klar." Das sind Menschen, die haben schon häufiger die Erfahrung gemacht von Medizinern eben auch diskriminiert zu werden oder für kränker gehalten werden, allein aufgrund ihrer Behinderung und ihrer chronischen Krankheit, als sie sich selbst fühlen. Und das waren dann einfach Menschen, die sagen: " Okay, diese Leitlinien zusammen mit dem Bild von Krankheit und Behinderung, was in der Medizin nach wie vor herrscht, das wird dazu führen, dass wir diskriminiert werden und es geht auf keinen Fall, dass hier Fachgesellschaften Leitlinien entwickeln, sondern das müsste der Bundestag machen. Der Bundestag müsste praktisch die Rahmenbedingungen schaffen, weil hier geht's irgendwie einfach um unser Leben." Das finde ich im Nachhinein - ich weiß noch nicht, ob der Bundestag da ein wirklich gutes Gesetz zu machen kann, das ist auch nicht der Punkt - aber mich hat es damals sehr getroffen; dass ich diese Debatte anfangs so unterschätzt hatte, muss ich einfach sagen. Also da würde ich sagen: "Hätte ich da mehr Zeit gehabt und wär da schon mehr diskutiert worden bis wir die Stellungnahme verabschiedet hätten, hätte ich mich wahrscheinlich anders verhalten."

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00:25:44: J: Ja, wir wollen jetzt auch vielleicht einen Blick in die Zukunft wagen noch mal und dafür vielleicht vorab noch mal die Frage: Man kann ja schon aktuell diagnostizieren, die Wissenschaft gewinnt immer mehr an Bedeutung, jetzt gerade im Zuge der Coronadiskussion: Sind wir Team Streek? Sind wir Team Dorsten? Also die Virologen rücken in den Mittelpunkt der medialen Präsenz. Glaubst du, dass auch der Ethikrat von dieser Präsenz profitieren kann?

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00:26:15: S: Ich weiß nicht, ob man das wirklich profitieren nennen kann. Ich meine, wir haben jetzt vier Papiere, also Stellungnahmen, Kurzstellungnahmen, Mitwirkung an Stellungnahmen, innerhalb der letzten knapp sieben Monate, verabschiedet. Das ist wahnsinnig viel und das ist nicht immer nur gut.Also es ist so, wir sind gerade gefragt, weil die ethischen Fragen der Pandemiebekämpfung oder des Umgangs mit der Pandemie eben gerade auch wenig berücksichtigt werden, es geht gerade viel mehr um die naturwissenschaftlichen Fragen. Von daher sind wir da auch in der Öffentlichkeit gefragt. Das finde ich auch wichtig und richtig und ich denke: Es ist auch unsere Verantwortung, da auch jetzt zur öffentlichen Debatte beizutragen auf der einen Seite. Auf der anderen Seite ist es natürlich auch wahnsinnig schwierig, weil es geht um komplexe Fragen, es geht um begrenztes Wissen, man kann heute was sagen, wo morgen schon wieder die naturwissenschaftliche Basis überholt ist. Also das ist wirklich, wirklich nicht einfach. Also von daher würde ich sagen: Wir können uns da gerade nicht entziehen. Das ist wichtig, dass wir es tun, aber ob der Ethikrat davon als Ethikrat an sich profitiert, das weiß ich nicht. Es ist glaube ich eher umgekehrt, dass gerade eher die Öffentlichkeit davon profitiert, dass es noch eine andere Stimme gibt außer der Dominanz der naturwissenschaftlichen Stimmen - die natürlich total wichtig sind, das will ich gar nicht in Frage stellen - aber die eben auf bestimmte moralische Dilemma jetzt zwischen dem Recht auf Bildung oder Bildungsgerechtigkeit und Infektionsschutz lässt sich einfach nicht nur mit den Inzidenzzahlen beantworten, da gehören auch noch andere Abwägungen dazu.

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00:27:48: M: ich würde jetzt noch eine kleine Frage stellen, bevor wir zu unserer Abschlussfrage kommen. Mich hat jetzt auch deine Schilderung zur ad-hoc Stellungnahme auch sehr nachdenklich gestimmt, weil man hier auch noch mal gesehen hat, wie komplex eigentlich die Arbeit im Ethikrat ist und auch welche Auswirkungen das doch letztendlich haben kann. Und du ja auch dargelegt hast, dass man, wenn man mehr Zeit gehabt hätte, andere Prozesse dann noch mit einbezogen hätte. Und danke auch noch mal für diesen Einblick. Mit Blick auf die Zukunft, wie es Jens gesagt hat, welche Themen würdest du denn gerne noch im Ethikrat einbringen? Oder was fändest du gut, wenn der Ethikrat sich intensiver mit welchen Themen auseinandersetzt?

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00:28:31: S: Also, das sind so ein paar verschiedene Fragen. Also ich glaube, dass wir uns über die Zukunft unseres Gesundheitswesens Gedanken machen müssen, ich habe den Eindruck, dass wir gerade in der Pandemie sehen, dass wir mit unserem sehr individualisierten Gesundheitswesen nicht besonders gut dastehen. Und ich will jetzt auch nicht unbedingt sagen, dass der Ethikrat eine Systemreform fordern soll, aber ich glaube eine Diskussion, wie das öffentliche Gesundheitswesen gestärkt werden kann und wie wir eine bessere Grundlage haben, um mit solchen Gefahren, also mit Risikosituationen umzugehen, wäre wichtig. In dem Zusammenhang spielt auch die Digitalisierung eine Rolle, also wir haben eine Stellungnahme zu Big Data gemacht. Wir beschäftigen uns im Moment gerade mit dem Verhältnis von Mensch und Maschine in einer Arbeitsgruppe im Ethikrat. Aber ich glaube, dass auch grundsätzlich die Frage der digitalen Infrastruktur und wer stellt die bereit, wie kann ich auf Funktionalität auf der einen Seite und Datenschutz und Schutz von Persönlichkeitsrechten auf der anderen Seite, zusammen kommen. Das finde ich ein ganz wichtiges Thema, also weil wir mehr Digitalisierung brauchen, das ist offensichtlich. Von den Schulen angefangen, über die Behörden - also Zettelwirtschaft auf den Gesundheitsämtern, um ein Stichwort zu nennen - ist irgendwie nicht verständlich. Oder eine Corona App,die - ja, wir wissen das alle, selbst wenn sie irgendwie gut bedient werden würde - ich meine: Wer will die vielen Leute, die dann irgendwie Risikomeldungen kriegen, denn eigentlich testen?Oder wie werden die Daten dann weitergespielt? Es hakt irgendwie an ganz vielen Stellen. Und dann denke ich aber auch noch, dass wir grundsätzlich - also das zeigt uns die Pandemie, das zeigt uns auch schon die Debatte über Nutztiere und viele andere Zukunftsfragen - also wir müssen uns als Gesellschaft mit dem sozial-ökologischen Wandel auseinandersetzen. Da fände ich es gut, wenn bei diesen Fragen, weil die Notwendigkeit eines sozial-ökologischen Wandels einfach auch genuin ethische Fragen nicht mitberücksichtigt, dass es eben nicht nur als naturwissenschaftliche Fragen und wirtschaftliche Erwägungen behandelt wird, sondern, dass es auch um gutes Leben geht, um Rechte von Menschen geht, um Rechte zukünftiger Generationen, aber auch um internationale Gerechtigkeit, bei diesem sozial-ökologischen Umbau. Das wär so ein großer Themenkomplex, wo ich irgendwie denke: Da wäre es gut, wenn der Ethikrat sich engagieren würde.

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00:30:51: J: Ja und wenn du da weitere vier Jahre jetzt engagiert bist, glaube ich, dass diese Themen da auch irgendwann mal auf die Tagesordnung wandern.

00:31:00: S: Ich hoffe, dass ihr mich da nicht überschätzt.

00:31:12: J: Liebe Sigrid, wir kommen langsam zum Abschluss unserer Podcastfolge und würden gerne noch eine abschließende Frage stellen und zwar: Mit welchem Menschen sollten sich unsere Hörer_innen einmal ein bisschen auseinandersetzen, Zeit verbringen? Wen würdest du ihnen ans Herz legen?

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00:31:28:  S: Ja, ich wusste ja, dass die Frage kommen kann bzw. oder kommen wird. Ehrlich gesagt, ich habe keinen konkreten Menschen im Blick, es fällt mir nicht so leicht, aber ich denke, dass es sich immer lohnt Menschen kennenzulernen, die eine ganz andere Perspektive auf das Leben haben oder die auch ganz andere Erfahrungen gemacht haben als wir selbst. Und ja, das geht mir z.B. auch im Ethikrat so, ich habe im Ethikrat mit Kolleginnen und Kollegen zu tun, mit denen hätte ich normalerweise nichts zu tun, die eben völlig andere Perspektiven haben oder auch ganz andere Erfahrungen haben. Ich finde sehr wohl, dass es sich lohnt sich da drauf einzulassen und auch über so einen fachlichen Austausch hinaus, sich einfach auch mal auf andere Lebensgeschichten einzulassen. Ja und das meine ich, dass sich das generell lohnt. Es muss sich nicht nur in seiner eigenen Bubble bewegt werden sondern, dass man sich auch auf was anderes einlässt.

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00:32:20: M: Ja, mir bleibt leider jetzt nur zu sagen, dass es das jetzt schon wieder mit unserer s_innzeit war. Vielen Dank, liebe Sigrid für diesen facettenreichen und auch selbstkritischen Blick auf deine Arbeit im Ethikrat. Ich selbst habe sehr viel gelernt und ich denke unsere Hörer_innen auch. Alle weiteren Informationen zum Ethikrat und zur Arbeit von Sigrid Graumann findet ihr in unserer Podcastbeschreibung. Folgt uns auch auf Instagram unter transfernetzwerk.s_inn, lasst uns ein Like da und natürlich abonniert uns, wenn ihr es nicht schon getan habt. Unsere nächste Folge erscheint am 19. April. Bis dahin: Nutzt eure Zeit s_innvoll. Tschüss!

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00:32:56: J: Tschüss!

00:33:02:  S: Tschüss!

Über diesen Podcast

Soziale Ungerechtigkeit, spannende Konzepte aus der Wissenschaft und innovative Lösungsansätze für soziale Herausforderungen – all das behandelt s_innzeit, der Wissenschaftspodcast von s_inn!

https://www.s-inn.net
sinnzeit@katho-nrw.de

von und mit Marina-Rafaela Buch, Jens Koller, Sinem Malgac, Stephan Post, Ariadne Sondermann, Lisa Koopmann

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