s_innzeit - der Wissenschaftspodcast zur Sozialen Arbeit

s_innzeit - der Wissenschaftspodcast zur Sozialen Arbeit

Transkript

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00:00:00: Music.

00:00:12: Jens (J): Ich begrüße alle Zuhörerinnen und Zuhörer zu einer neuen Folge s_innzeit. Ihr hört die zweite Folge der zweiten Staffel. Wir haben ja ein neues Konzept, wir wollen ja einen Themenblock bearbeiten und machen dazu mehrere Folgen und der aktuelle Themenblock heißt: "Prägend für das ganze Leben - Einschnitte und Chancen im Kinder- und Jugendalter".Mein Name ist Jens Koller -

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00:00:30: Marina (M): Und mein Name ist Marina Buch.

00:00:34:  J: Marina, geht es denn heute eher um Einschnitte oder um Chancen im Kinder- und Jugendalter?

00:00:44: M: Ja, ich würde sagen sowohl als auch. Wir sprechen heute tatsächlich über ein Thema, das vielleicht nicht so viel Beachtung kriegt in den Medien, wie es haben sollte und zwar über das Thema: "Tod und Trauer - (K)ein oder ein Thema für die Kinder- und Jugendarbeit?!" Das ist die Frage, die wir heute auch beantworten möchten: Wir werden alle früher oder später mit dem Thema Tod oder Trauer natürlich auch zu tun haben, nichtsdestotrotz leben wir natürlich. In einer Leistungsgesellschaft, wo all diese Themen nicht prioritär behandelt werden oder nicht so gern gesehen werden. Wir leben in einer Welt, wo alles schön sein soll, dynamisch, jung, stark, leistungsorientiert und all diese Themen, wie Krankheit, Schwäche, Behinderung, Trauer und Tod finden eben nicht so viel Beachtung oder werden hinter verschlossen Türen auch eher gesehen. Und gerade bezüglich Kinder und Jugendliche herrschte auch so eine, ja ich würde sagen so eine Fehleinschätzung, dass Kinder kein Verständnis von Tod und Trauer haben.Oder keine Neugierde oder kein Empfinden in Bezug auf Trauer haben und dann wiederum sagt man: Kinder sind zu zart, zu sensibel für die Konfrontation mit dem Tod als solches. Und mittlerweile herrscht aber auch eine Einigung darüber, dass Kinder auch trauern können und das ist auch der Grund, warum wir hier an diesem ganz besonderen Ort da sind.

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00:02:12: J: Genau, unsere Folge heißt nämlich: "Tod und Trauer - (K)ein Thema in der Kinder und Jugendarbeit?!", wobei das K bei kein natürlich in Klammern gesetzt ist. Und wir haben heute eine ganz besondere Folge, denn wir sitzen nicht wie gewöhnlich bei uns im Studio, sondern wir sind hier zu Gast vor Ort in Gelsenkirchen im Lavia-Trauerhaus. Lavia ist ein Institut für Familientrauerbegleitung in Gelsenkirchen und wir sind hier zu Gast bei Mechthild Schroeter-Rupieper und bei Helena Knabenschuh und natürlich bei Nero, dem Hund, der sitzt auch hier neben uns. M: Und wir sitzen übrigens in einer sehr gemütlichen Küche und ich habe hier auch einen Kaffee bekommen und freue mich sehr auf das Gespräch heute.

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00:02:57: J: Ja, hallo an euch beide. Mechthild (MS): Hallo. Helena (H): Hallo, schön, dass ihr hier seid.

00:03:00: J: Ja, wir freuen uns auch sehr hier zu sein und würden direkt mal einsteigen. Mechthild, du hast ja das Lavia Trauerhaus gegründet, hast auch zu dieser Thematik diverse Bücher verfasst, du bildest Trauerbegleiter_innen aus. Was ist das Laviainstitut und wie kam es zu der Gründung?

00:03:17: MS: Das Lavia Institut ist eine Einrichtung, wo  Kinder, Jugendliche, Familien hinkommen können und hier Trauergespräche führen, Beratung bekommen vor dem anstehenden Tod oder wenn es plötzlich geschieht oder in der Zeit danach. Und es ist ein Institut, weil wir auch Weiterbildung machen, wir machen Weiterbildungen in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Belgien, Lichtenstein. Und es kommen auch Menschen eben hierhin, Lehrer, Erzieherinnen, die sich weiter fortbilden möchten. Vor ungefähr 30 Jahren habe ich als Kindergartenleiterin aufgehört zu arbeiten und bin gefragt worden Weiterbildung anzubieten und dann kam dieses Thema Trauer im Kindergartenalter auf. Und das war schon eine große Aufgabe, weil dieses Thema nicht gelehrt wird, nicht in der Schule, ich habe es nicht gelernt. Und mit dem Priester, mit dem ich das zusammen angeboten habe, war das auch am Anfang eine große Suche gewesen, weil auch er das im Theologiestudium nicht gelernt hat. Und wir haben dann einfach geschaut, warum braucht es Trauer und haben dann im Grunde entdeckt: Natürlich braucht es Trauer, aber in unserer Gesellschaft werden Kinder von klein an so erzogen, dass gesagt wird: "Du bist stark, du bist groß, du bist tapfer, du bist doch ein Junge, du weinst nicht!" Und eigentlich dieses Talent, dass wir mit auf die Welt bekommen, wird uns aberzogen. Und dann haben wir uns mit diesem Wissen und auch mit dem pädagogischen Wissen einfach auf den Weg gemacht und haben angefangen tatsächlich Trauerseminare für Erzieherinnen zu erarbeiten. Sind dann in den Kindergarten geholt worden, in die Praxis rein und haben es immer weiter ausgeweitet und eigentlich immer mehr entdeckt. So war das richtige Pionierarbeit gewesen.

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00:04:54: MB: Helena, du bist 22 und Studentin der Sozialen Arbeit und arbeitest hier im Hause als Trauerbegleiterin. Wie bist du denn dazu gekommen und wie können dir uns diese Arbeit auch vorstellen, die hier auch Mechthild, natürlich gerade auch die Pioniersarbeit, auch aufgegriffen hat?

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00:05:11: H: Genau, ich bin 2014 zu Lavia gekommen, weil mein Vater plötzlich verstorben ist. Da war ich 14 und habe Mechthild kennengelernt, meine Mama hat gesagt: "Es gibt jetzt hier zwei Möglichkeiten: Entweder du gehst zum Psychologen", und da hatte ich überhaupt keine guten Erfahrungen mit, "Oder du gehst mal zu Mechthild zur Trauergruppe und guckst dir das an." Und da habe ich gedacht: "Du spinnst wohl, was soll ich da? Das krieg ich schon hin." Und dann kam die Mechthild zu einem Einzelgespräch bei uns und hat uns erklärt, was das ist Trauergruppe und da habe ich gesagt: "Ja okay,guckst du dir das mal an". Habe mit meiner Schwester an dem Tag, wo die Trauergruppe stattfinden sollte, extra einen Streit vom Zaun gebrochen, also so extrem, dass wir gesagt haben: "Okay, wir streiten uns jetzt einfach richtig, dann müssen wir da nicht hin".Und die Mama hat aber gesagt: "Das ist mir jetzt so egal, ich setze alle heulenden Leute - und wir waren zu dritt, wir waren alle am heulen, weil wir uns so gestritten haben - in das Auto. Wir  haben uns ins Auto gesetzt und Mama hat gesagt: " Ist mir so egal, ihr müsst da jetzt hin!" Und ja, also ich bin nicht so ganz freiwillig zu Lavia gekommen, aber ich glaube das sind irgendwie auch die wenigsten. Und dann hatte ich ein Gespräch mit einer Jugendlichen in meinem Alter, die auch ihren Vater verloren hatte und das war die erste Person, die mir begegnet ist, die auch ihren Papa verloren hatte. Und man hat so gesehen: Das ist normal. Und die hat irgendwie nicht drei Augen und die ist kein Alien und die ist nicht komisch. Also die war jetzt auch nicht so schwach oder so ein Opfertyp, wo man jetzt gedacht hat: "Ok, ich will jetzt auch irgendwie kein Opfer auf dem Schulhof sein, ich will einfach ganz normal bleiben" und sie war einfach ganz normal. Und das war so schön zu sehen, dass ich regelmäßig gekommen bin über fünf Jahre. Und nach fünf Jahren habe ich gesagt:Das hat mir so gut geholfen, aber ich brauche es einfach nicht mehr. Ich brauche keine Trauergruppen mehr, ich würde auch den Platz gerne frei machen für Kinder, die es wirklich brauchen, wo es wirklich noch wertvoll sein kann. Und gleichzeitig habe ich mein Studium der Sozialen Arbeit angefangen und da hat Mechthild dann gesagt: "Wenn du sowieso was Soziales machen möchtest, kannst du bei mir, wenn du magst, die Ausbildung machen, mit ins Team kommen. Und dann habe ich die Ausbildung zur Familientrauerbegleiterin gemacht und bin vor ca. zwei Jahren mit ins Team eingestiegen, mache Einzelbegleitungen und Trauergruppen. Und man würde wünschen, alle können sehen, wo wir jetzt hier gerade sitzen, weil es ist so schön und das ist so ein toller Arbeitsplatz und es macht einfach., ws ist einfach so wertvoll auch mit den Kindern und Jugendlichen zu arbeiten. Und man denkt immer: Es ist so traurig und das ist so schlimm, damit will man nichts zu tun haben und im Endeffekt geht hier niemand traurig raus, würde ich sagen. Also berührt, ja, und manchmal auch etwas traurig, aber niemals furchtbar. Also niemals würde man sagen: "Das ist schlimm."

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00:07:36:  MR: Ich finde das ganz spannend, wo du gerade sagst: "Hier ist kaum jemand freiwillig hingekommen". Wir waren gestern noch auf einer Fortbildung gewesen und da hast du den Heimerziehern gesagt: "Meine Mama hätte lange warten können, ich wäre da nicht hingegangen. Und wenn meine Mama nicht Druck gemacht hätte, wäre ich nicht dahin gekommen. Und an der Stelle ist das auch immer wieder das, was wir weitergeben, dass wir Eltern sagen: "Ja, ihr dürft auch diesen Druck ausüben, wenn euch das wichtig ist. Zumindest für einmal, weil ich kann erst entscheiden ob es gut ist oder schlecht ist, wenn ich es erlebt habe. Und danach muss hier niemand mehr hinkommen, der nicht freiwillig kommt. Aber viele sind einfach überrascht darüber und dann braucht es Eltern, also auch Eltern mit Haltung, die eben sagen: "Das ist mir wichtig und das gebe ich weiter".

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00:08:17:  MB: Also ich kann das übrigens auch total bekräftigen, was Helena hier auch noch mal gesagt hat: Wenn man hier reinkommt, spürt man Licht, es ist einfach eine ganz freundliche Atmosphäre, die hier herrscht und ein wunderschöner Ort. Also das möchte ich auch noch mal sagen, leider können unsere Zuhörer_innen das nicht sehen.

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00:08:38: J: Der erste Satz, den ich gelesen habe hier war: Gute Gründe für das Leben und dann die Gründe da drauf gelistet. Also, wer da nicht mit einem Lächeln reinkommt, dann weiß ich auch nicht.

00:08:46: MR: Was sie die Zuhörer auch nicht sehen können, das ist die Terrasse. Wenn man hier zu der Tür raus guckt, dann ist da eine Terrasse draußen und die Terrasse haben unsere jungen, trauernden Erwachsenen mit Personalern von Deichmann mit Hilfe von der Deichmann-Stiftung angebaut. Und unter den Steinen haben wir ganz viel Grundsteine angelegt und wir haben so Kieselsteine hier gehabt und da durften einen Monat lang Gäste und Trauernde, alle, die das Haus besucht haben, Wünsche für Menschen drauf schreiben, die dieses Haus besuchen. Und da liegen ganz viele Sachen drin wie: "Ich wünsche dir Kraft und Liebe" und "Hab Mut". Und die sind mit rein in diesen Schotter gekommen und wo ich immer so denke: "Es gibt hier so viele Orte, die haben eine Ausstrahlung. Man kann es nicht sehen, aber man kann das einfach spüren".

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00:09:29: MB: Auf jeden Fall. H: Man kommt einfach rein und will die Schuhe ausziehen, das ist so ein so ein Gefühl von Gemütlichkeit einfach. Ich finde es einfach toll. MB: Mir ist auch tatsächlich ein Spruch oder ein kleiner Satz aufgefallen: "Lass mich doch traurig sein." Vielleicht gebe ich ihn nicht ganz wieder, das war so ein kleiner, gelber Sticker, den dich gesehen habe. Was sind denn eigentlich die Besonderheiten des kindlichen Trauerausdrucks im Gegensatz zu Erwachsenen? Wir wollen uns ja vor allen Dingen auf Trauer im Kinder- und Jugendalter konzentrieren. Es würde mich dann auch noch mal interessieren, was da der Unterschied eigentlich ist. Und gibt es vielleicht auch geschlechterspezifische Trauerarten? Also trauern Jungs anders als Mädchen?

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00:10:09: MR: Kleine Kinder trauern unverschämt im Grunde, die schämen sich nicht dafür, wenn sie traurig sind, die weinen einfach, wenn ihnen danach zumute ist. Und dann kommt tatsächlich so das Alter von fünf Jahren ungefähr, wo Jungs schon sagen: "Ich bin aber ein Junge, ich bin schon groß" und ungefähr mit acht Jahren weinen Jungs nicht mehr so viel öffentlich oder kaum noch öffentlich. Und die Jungs, die es tun, die haben es dann oft schwer und werden geärgert von anderen. Und das ist kein biologischer Vorgang, das ist ein soziologischer Vorgang. Das hat ganz viel was mit der Erziehung und mit der Vorbildhaltung eben zu tun. Lehrerinnen wissen ganz genau und Lehrer eben auch, was aber mit Kindern geschieht, die Trauer in sich tragen und diese Trauer nicht zeigen, die werden ganz still, die werden vielleicht eben das Opfer - wovon Helena auch gesprochen hat - oder die werden aggressiv und laut, weil irgendwie muss ich ja das, was in mir wirkt rauslassen. Und wenn nicht über Tränen, dann über andere Dinge. Und von daher ist die Trauer tatsächlich bei Jungs und Mädchen unterschiedlich anerkannt und wir brauchen einfach Männer, wir brauchen Väter, wir brauchen Lehrer, wir brauchen Patenonkel, wir brauchen Unternehmer,die einfach dazu stehen, dass Trauer ein ganz normales, gesundes Gefühl ist. So, wie wenn man eben hier hinkommt und dann gesagt wird: "Ja klar bist du traurig, von dir ist ein Kind gestorben, von dir ist ein Mann gestorben". Das ist ja gar keine Frage, hier muss sich keiner entschuldigen. Bei Kindern ist es so, dass sie, wenn sie drei Jahre alt sind, nicht richtig unterscheiden können zwischen schlafen und weg sein und tot sein. Und dreijährige Kinder haben keine Angst vor dem Tod, weil sie das nicht begreifen. Die nehmen aber eventuell die Ängste der Eltern auf, ja die Haltung der Eltern auf und die merken:  Hier stimmt etwas nicht. Und dadrauf reagieren die. Die reagieren nicht auf den Toten, der da vielleicht liegt. Und je älter sie werden, desto mehr verstehen sie und je mehr ich begreife, desto mehr löst das eben auch Trauer aus und auch Fragen aus. Und mit fünf Jahren, sechs Jahren ungefähr wissen Kinder: Alles was lebt, wird sterben. Ich habe eine ganz nette Sache erlebt: Hier saß ein Junge, der war drei Jahre alt, da ist der Papa gestorben und jetzt war er sechs.Und jetzt kam die Trauer, also jetzt hat er gesagt: "Wo ist mein Papa? Warum habe ich keinen Papa?" Und dann haben wir darüber gesprochen, weil sich die Mutter auch gewundert hat: Wieso reagiert er jetzt erst? Und dann habe ich eben erklärt: "Weißt du, als du noch klein warst, da hast du das noch gar nicht verstanden. Jetzt bist du groß und auch vom Gehirn her weißt du einfach mehr. Und du weißt, dass alles was lebt, sterben wird". Und da sagte er: "Ja , außer die unsterbliche Qualle".Und dann sagte ich: "Nein, eine Qualle, die stirbt auch." Und dann sagte er: "Nein, die stirbt nicht." Und er beharrte immer da drauf, der Mutter war das schon ganz unangenehm, ich habe auch immer wieder gesagt: "Nein das stimmt gar nicht so." Und dann habe ich gesagt: "Pass mal auf, wir googlen das jetzt mal hier" und dann googeln wir und es gibt tatsächlich die unsterbliche Qualle. Das ist eine Qualle, die, wenn sie alt wird, dann sackt sie auf den Meeresboden, die Zellen erneuern sich und dann steigt sie wieder auf und die wird niemals an Altersschwäche sterben. Sie kann sterben durch die Erwärmung der Meere eben oder, wenn sie von anderen gefressen wird von größeren Tieren, aber nicht durch Alterserscheinung. Und das fand ich irgendwie ganz spannend so. Und was mich das auch wieder gelernt hat, dass man nicht so absolut reagieren darf und glauben darf, dass nur weil ich älter bin, ich mehr weiß als er. Je älter man dann wird, desto mehr begreift man und im Jugendalter begreife ich auch diese Zusammenhänge. Da verstehe ich auch, dass der Tod von meiner Mutter, von meinem Vater eine Bedeutung hat für meine Vergangenheit, für meine Gegenwart und für meine Zukunft. Und für Kinder ist es immer nur in der Gegenwart einfach da. Und bei Kleinkindern spricht man von "Pfützen springen", die sind jetzt traurig, weil der Papa tot ist oder eigentlich weil der Papa nicht da ist, nicht weil er tot ist, der ist jetzt nicht da. Und dann sagt die Mama: "Wir gehen jetzt gleich auf den Spielplatz" und dann sind sie wieder fröhlich, weil sie auch vergessen, dass der Papa nach dem Spielplatz nicht mehr da ist. Und je älter ich werde, desto mehr weiß ich und dann gehe ich vielleicht nicht mehr auf die Fete, weil ich denke: "Was soll ich auf der Fete machen, mein Vater ist tot. Ich kann eh nicht feiern." Diese Gedanken haben kleine Kinder noch nicht und die Psyche schützt Kinder einfach. Und wir bekommen immer so viel mit, wie wir ertragen können und an der Stelle ist es einfach wichtig, dass Eltern, dass Kindergärten, später Schulen, dass sie mithelfen, dass die Kinder das lernen können. Denn es kommt dernächste Schub, wo sie wieder etwas begreifen. Und jeder Schub wird schwerer und wenn die Kinder nicht üben, also im Grunde auch trainieren, dann stehen sie irgendwann mal alleine da und haben das Gefühl, sie sind vollkommen überfordert, sie schaffen das nicht.

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00:14:40: J: Du hast ja jetzt die Trauer bei kleinen kindern auch beschrieben und gesagt: "Dann im Jugendalter begreifen dann die Jugendlichen auch viel mehr." Helena, bei dir war das ja der Fall, du warst im Jugendalter. Wie hat sich da Trauer bei dir bemerkbar gemacht? Und vielleicht wie hast du auch geschafft, auch vielleicht mit Hilfe des Hauses hier, aber auch vielleicht für dich geschafft das zu verarbeiten?

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00:15:01: H: Als meine Mama gesagt hat: "Der Papa ist gestorben", da habe ich gesagt: "Wo ist der denn? Also ich will den sehen.Wo ist der? Zeig mir den Papa!" Und meine Mama hat gesagt: "Der ist bei der Polizei, das ist so üblich, wenn so ein junger Mann ohne Vorerkrankungen einfach zu Hause stirbt. Da ist das so üblich, dass der halt bei der Kriminalpolizei untersucht wird." Und ich habe gesagt: "Das ist mir egal, ich möchte den sehen." Und meine Mama hat aus Schutz gesagt: "Nein!" Sie hat gesagt: "Das musst du dir nicht angucken."Und mir war das so wichtig, damit ich es einfach sehe, weil wie soll ich glauben, dass ein 43-jähriger Mann einfach weg ist. Der war nie krank, der war sportlich, ich hätte es gerne einfach noch mal gesehen, um das zu begreifen. Und das hat am Anfang überhaupt nicht eingesetzt, also die ganze Familie war da, es war ein Tag, der derschönste Tag im Leben eines Kindes hätte  gewesen sein können, weil ich durfte morgens Pommes essen. Ich habe zu jeder Minute Kuchen bekommen, wenn ich es wollte. Wenn ich zu McDonald's wollte, dann hat sich jemand in das Auto gesetzt und ist mit mir hingefahren. Und ich bin mit meinem Cousin im Auto gesessen und wir sind zu McDonald's gefahren und ich habe zu meinem Cousin gesagt: "Wir müssen für Papa was mitbringen", ich es einfach in dem Moment überhaupt nicht begriffen habe. Es war einfach ganz weit weg und da konnte ich auch überhaupt noch nicht trauern, das ging noch gar nicht. Man war in so einer Schockstarre und wäreu ich nicht zu Lavia gekommen, dann würde ich hier nicht sitzen, weil ich nicht drüber sprechen könnte, das bin ich mir zu 100% sicher. Ich habe, bevor ich Mechthild kennengelernt habe, nie darüber gesprochen. Ich wäre vielleicht auch so ein Stück weit daran kaputt gegangen, aber ich habe hier gelernt, dass es normal ist und dass ich der normale Punkt bin. Ich bin nicht kaputt, wenn ich weine. Ich bin nicht kaputt, wenn ich schreie oder wenn ich mal eben zusammenbreche, das ist einfach normal. Und Mechthild sagt immer: "Der Fehler liegt nicht bei dir, der liegt in der Gesellschaft." Und wenn man das merkt, dass der Fehler nicht bei einem selber liegt und, dass man richtig ist so, wie man ist und die Gesellschaft da einfach ein Fehler hat, sobald man da bei sich angekommen ist, dann ist man schon ein großes Stück weiter. Und das bin ich einfach. Und das ist jetzt auch mittlerweile sieben Jahre her, dass der Papa gestorben ist und ich weiß oder ich habe Methoden für mich an die Hand bekommen, ich habe das Wissen darüber, dass ich da rauskomme, wenn es traurig wird. Wenn Todestag ansteht, wenn Geburtstag ansteht, weiß ich, es ist normal, dass man heult oder es ist auch normal, wenn man nicht heult,es ist auch normal, wenn man es mal vergisst. Wenn man das weiß, dass es alles normal ist und in Ordnung ist, dann kommt man ganz gut damit klar, aber das muss man lernen. Und das lernt man nicht von Mama und das lernt man nicht vom Papa und das lernt man auch nicht in seiner Peergroup, weil es einfach kein Thema ist. Und das ist so schade.

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00:17:13: MR: Ich weiß noch: Wir waren in der Pauluskirche und da waren 80 Jugendliche aus dem 10. Schuljahr und wir haben über die Trauer geredet und du hast da vorne gestanden und hast gesagt: "Mein Papa der hatte so schöne Haare gehabt und ich hätte ihm so gerne noch einmal durch die Haare gewuschelt." Und ich fand es so berührend, dass dieser Gedanke da war: Der Papa ist tot, aber ich hätte es einfach noch mal so gerne gemacht und auch begriffen. Also es geht um dieses Begreifen und du hast dann so frei darüber geredet und anschließend hat sich ein Jugendlicher gemeldet und hat gesagt: "Also Respekt, das ist total cool, wie ihr darüber redet und so. Aber das, was Helena da sagt, das nehme ich ihr nicht so ab, weil so sind Jugendliche nicht." Und ich weiß noch, wie dir der Mund erst offen stehen blieb und du dann gesagt hast: "Doch, das ist wirklich wahr." Und wo ich dann plötzlich auch noch mal genau das gedacht habe, was gerade gesagt hast: " Wenn ich erkenne, dass ich richtig bin, dann bekomme ich auch plötzlich ein anderes Selbstbewusstsein und ich werde nicht mehr angreifbar. Ich kann mich da hinstellen das sagen. Du hast irgendwann mal auch gesagt: "Ja klar bin ich traurig, mein Papa ist tot und ich darf so lange traurig sein, wie ich möchte, weil es ja schließlich mein Papa war."

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00:18:13: H: Ich bin heute nah am Wasser gebaut, merke ich. Also ich merk das nur gerade.

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00:18:25: MB: Ich bin dir echt sehr dankbar, dass du das sagst. Mein Vater ist, ich war 24, ich war eine Erwachsenes Frau, aber ich merke, da sind jetzt so die Dinge, die du gesagt hast, da finde ich mich wieder.

00:18:31: J: Dito. MB: Also es kann sein, dass ich auch ein bisschen - wie sagt man immer - Pipi in den Augen bekomme, ich hoffe das - MR: Aber das dürfte ja auch. Es kann ja auch genauso gut sein, dass die Hörer genauso reagieren. Und die Hörer werden noch mehr reagieren, weil wir sind hier aktiv und wir können auch hier was festhalten und die Hörer, die lassen das über sich ergehen. Ich habe mal eine Radiosendung gehabt, da hat die Anna erzählt und die Anna hat dann gesagt: "Als dann die Mama gesagt hat: Der Papa ist tot, da hat es mir den Boden unter den Füßen weggezogen." Und Anna war damals acht, als es passierte und elf, als sie das sagte. Und ich war mit bei den Aufnahmen und es war alles richtig, richtig toll. Und dann sitze ich im Auto und höre - von lilliputz  war das eine Sendung gewesen - und hör das und ich habe so geheult im Auto. Ich habe gedacht: "Was ist denn hier los? Ich kenne die Anna doch, ich kenne die Geschichte, ich war doch dabei." Aber, wenn du selber nicht irgendwie aktiv dabei bist -

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00:19:17: H: Ich habe diese Geschichte ja schon so oft erzählt und so oft ist es einfach so, dass ich sie einfach so ja runter ratter, aber heute weiß ich, als du das mit den Haaren gesagt hast, da hab ich gemerkt, irgendwie stehen die Tränen. Deswegen  wollte ich euch nur vorwarenen. Nicht, dass ihr jetzt hier gleich sitzt und nicht wisst, was ihr machen sollt, wenn bei mir so. Aber das ist einfach nicht schlimm.

00:19:28: J: Wir gehen da einfach gan offen mit um. MR: Also, was da noch dazu kommt: Die Helena macht ein Praktikum hier und die ist jetzt im Grunde jeden, fast jeden Tag mit Trauer konfrontiert. Es ist natürlich auch viel. Wir haben die Nelly hier gehabt, die hat irgendwie nach drei Tagen gesagt: "Sie kann gerade nicht. Sie hat nur noch geweint irgendwie, weil es wühlt ja natürlich auch noch mal die eigene Geschichte auf. Oder du reflektierst es auch, gehst zu einer Fortbildung. Man gleicht das ja immer mit sich selber ab und das macht ja auch was mit einem.

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00:19:53:  H: Wer war bei dir gestorben? J: Mein Vater. H: Wie alt warst du da?

00:20:01: J: Das war vor acht Jahren, da war ich Ende zwanzig und der ist einen Tag vor seinem Geburtstag gestorben. Und er war auch eine super bekannte Person. Also eine Geschicht, die mir immer einfällt, so weil ich war dann derjenige, der es noch irgendwie geschaffft hat, die ganzen Telefonanrufe entgegenzunehmen. Es ruft dann halt Hinz und Kunz an und ich weiß noch wie das bei mir war. Die erste Mal bin ich noch in Tränen ausgebrochen und das wurd irgendwann, wurde ich wie so zu einem Roboter. Aber nicht,  weil ich kalt war, sondern weil es so zu einer seltsamen Routine geworden ist.

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00:20:23: H: "Man funktioniert." J: "Ja, der Detlef ist gestorben" und dann habe ich gehört, wie die Leute auf der anderen Seite zusammengebrochen sind. Und dann weiß ja niemand, was er sagen soll.

00:20:34: MB: Das habe ich auch, ich weiß noch, dass, weil bei mir war es das mit dem Studium, Also ich habe das Studium beendet und zack, da war es das. Also diese Doppeltzäsur quasi, weil dieser Rückfall von: "Man ist jetzt erwachsen, wenn man studiert hat, kann man kann jetzt arbeiten gehen" zu "Man wird wieder ganz Kind".Also so habe ich mich gefühlt. Und ich weiß, das hat jemand gesagt zu mir gesagt, also die Person wollte mich trösten und sagt er: "Also jetzt das Begräbnis, das ist ja auch der schwierige Prozess." Und dann habe ich recht streng gesagt: "Nee, das fängt danach an, wenn die Leere anfängt." Also für mich war das so. Ja und das war ganz extrem so, ich habe ich habe eine Woche nachdem mein Vater gestorben ist wieder 100 % gearbeitet und dann irgendwann gemerkt, dass es nicht gut ist.

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00:21:13:  H: Aber so eine Beerdigung, das ist ja einfach:

00:21:19: Da kommt dann Erde drauf und dann ist gut. Dann fängt sich die Welt für alle Nachbarn, für alle entfernten Verwandten, fängt die Welt an sich einfach wieder weiter zu drehen. Dieses "Erde drauf und es ist gut" so und für dich selber nicht. Und da fangen die Leute an aufzuhören, da ruft keiner mehr an danach. Da hat keiner mehr Kuchen für dich und da sagt auch keiner: "Komm wir gehen wir um sieben Uhr morgens Pommes holen". Das macht keiner mehr, weil es ist Erde drauf und es ist jetzt gut.

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00:21:41: Für alle anderen ist es wieder okay, weil die einfach weit entfernt sind. Die Nachbarn haben nicht mehr gefragt, haben nicht mehr komisch geguckt. Und das ist die Zeit, wo man es eigentlich braucht. Du bist gerade selber runter gefahren, du hast jetzt das Schlimmste, du hast diese Anspannung hinter dir, du hast die Angst vor der Beerdigung, wie furchtbar das wird. Und diese Last fällt ab von dir. Und dann hast du die Zeit und für alle anderen ist Erde drauf. MR: Wo du gerade sagst, man bräuchte hinterher mehr Zuwendung und Unterstützung und nicht vorher. Ich habe eine Freundin von der sind der Mann und die Kinder verunglückt und die Barbara, die hat dann später immer wieder gesagt: "Eigentlich müsste man zur Beerdigung Gutscheine verschenken, wo drin steht: Eine Runde mit dir spazieren gehen, einmal ins Kino einladen, einen Kuchen backen, ein Mittagessen machen und das man diese Gutscheine erst nach einem Jahr einlösen darf." Weil, nach einem Jahr meldet sich kaum noch jemand und man muss ja in den Alltag wieder reingehen und die Leute glauben einfach: "Ach guck mal, jetzt geht's doch wieder, die geht doch wieder arbeiten. Oder er macht schon wieder Sport und trifft sich wieder mit Freunden. Hast du gesehen, der hat ein Bier getrunken." Und dann glaubt man einfach, es ist alles gut und es ist ja auch auf einer Ebene zum Glück etwas gut, aber es gibt da drunter auf einer anderen Ebene auch eben manchmal die Traurigkeit, die Einsamkeit, die Sorge, die Angst, die eben auch da ist.

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00:22:52: H: Meine Mama hat zu ihren Freundinnen gesagt, wenn die angerufen haben direkt nach Papas Tod: "Ruf mich in einem Jahr noch mal an, jetzt kann ich nicht reden." und das hat von sehr vielen Freundinnen nur eine geschafft, ein Jahr später anzurufen. Das war so dieses: Jetzt brauche ich das nicht, jetzt kann ich das auch gar nicht, da habe ich gar keine Zeit für, mach das in einem Jahr und es hat sich nur eine getraut

00:22:53: .  MR: Trauer ist ansteckend.

00:23:03:

00:23:11: J: Und Trauer braucht Zeit. Du hast in unserem Vorgespräch auch gesagt, Mechthild: "Trauer nimmt sich ihren Raum." Das war ein Satz, der bei mir auch hängen geblieben ist. Und egal ob es jetzt eine Woche nach dem Tod ist oder ein Jahr oder wann auch immer, also fand ich auch einen sehr schönen Satz.

00:23:17:

00:23:26: MB: Wir haben jetzt ja auch noch mal deutlich gesehen, dass einerseits  Trauer ihre eigene Dynamik hat. Trauer etwas sehr individuelles,  ein individueller Prozess ist, der verschiedene Etappen auch durchläuft. Stichwort  Etappen: Da würde mich auch mal interessieren, ob es so eine Art Phasen-Trauermodell gibt, dass ihr hier auch in eurem Institut besonders benutzt, oder was sich bewährt hat.

00:23:33:

00:23:44: MR: Ja wir arbeiten hier nach dem Lavia-Trauermodell. Es gibt verschiedene Trauermodelle und das Modell, was ich beschreibe und grafisch noch mal dargestellt habe, das ist angelehnt an das Trauermodell von Worden. Und es ist beigefügt, dass man am Anfang oft auch funktioniert und zwischendrin auch funktioniert. Da haben wir gerade zwischendurch auch schon drüber gesprochen. Man macht etwas, man organisiert eine Beerdigung. Wenn ich hören würde, da stirbt bald jemand, der dir ganz nahe steht, dann würde ich vielleicht sagen: "Oh Gott, da würde ich zusammenbrechen. Dann kann ich gar nichts machen." Und auf einmal mache ich aber tatsächlich ganz viel oder ich nehme Telefonanrufe an und mache das und alle Leute sagen: "Wow, du bist aber stark" und ich weiß selber gar nicht woher das kommt. Und das ist einfach tatsächlich auch so eine Kraft in unserem Körper, die uns das schaffen lässt. Oder in einer Familie, da stirbt der Papa und die Mama funktioniert, weil es einfach ihre Aufgabe als Mama ist und wenn die Mama nicht funktioniert, dann wird eins der Kinder funktionieren. Das ist einfach ein Familiensystem, so dass einer dann diese Aufgabe übernimmt. Und zwischendurch müssen wir ja auch funktionieren, da können wir uns das nicht leisten zu trauern, weil wir arbeiten gehen müssen, weil wir das Notwendige fürs Leben brauchen, weil wir Papiere ordnen müssen. Und das geht nicht in Phasen so weiter, früher hat man von Phasen gesprochen, erst das, dann das, dann das und dann ist alles gut. Ich habe hier ein Bild von mir liegen, das ist ein Labyrinth und im Grunde ist Trauer so, dass ich durch dieses Labyrinth gehe und manchmal laufe ich vorwärts und dann kommt eine Kurve und ich habe das Gefühl es geht wieder rückwärts, wenn ich aber auf ein Labyrinth schaue, dann sehe ich, es geht immer vorwärts und mein Lebensweg geht auch immer vorwärts. Wir sagen oft so: "Da ist jemand rückwärts gegangen", aber das stimmt nicht. Wir können stehen bleiben, wir können langsam gehen, aber wir gehen immer vorwärts. Und auf dieses Labyrinth sind Farben gelegt worden, da ist z.B. - wie so Tortenstücke sieht das aus - die Farbe Orange. Die steht für das Funktionieren und dann ist daneben die Farbe Grün, die steht für das Begreifen. Ich begreife, mein Mann ist gestorben, weil ich einen Anruf bekomme. Ich begreife, mein Mann ist gestorben, weil er liegt da und ich fühle ihn an und er ist kalt ich, ich erschrecke mich. Ich begreife es, weil Post ins Haus kommt, die ist an ihn adressiert, aber er ist tot. Ich begreife es, der Wandschrank kommt runter und ich denke: "Verdammt, eigentlich war er immer der mit der Bohrmaschine gewesen. Jetzt muss ich es selber machen oder ich muss jemanden holen dazu." Mein ältester Sohn heiratet  und ich begreife, mein Mann ist nicht neben mir in der Kirche.Es gibt ganz viele Begreif-Momente. Es ist nicht nur dieses "Ja, hast du es denn nicht begriffen?", sondern es passieren Dinge, die kann ich nicht vortrauern im Grunde. Und dieses begreifen löst dann im Grunde den Trauerprozess mit aus. Das heißt: Ich werde traurig dadurch, ich werde wütend dadurch oder ich begreife es, aber ich sage: "Das will ich nicht akzeptieren." Und die Akzeptanz spiel bei mir eine große Rolle in dem Traummodell im Gegensatz jetzt zu Worden, weil ich es in der Arbeit immer wieder merke, wie schwer es ist das zu akzeptieren. Es gibt die Leute, die sagen sofort: "Es ist eben so." oder "Das hat Gott so gewollt" oder "Naja, er war auch alt." Es gibt auch verschiedene Todesarten dabei, warum ich es eher akzeptieren kann. Aber wir haben z.B. ein junges Mädchen, das mag es nicht akzeptieren, dass der Papa tot ist, sie weiß es aber und die tut aber so als wäre der Papa im Urlaub.Und die Mama entwickelt sich in den Trauerprozess weiter und sie hat jetzt einen neuen Partner nach dreieinhalb Jahren und das 14-jährige Mädchen sagt. "Das gefällt mir aber gar nicht und das will ich gar nicht haben. Das wird dem Papa auch nicht gefallen" und die Mama sagt: "Ja, aber schau, er is tot und wir haben drüber geredet und er hat gesagt, dass das auch in Ordnung ist, wenn ich einen neuen Partner nehme." Und dieses Mädchen wehrt sich total dagegen und dann sitzen wir vor diesem Trauermodell und schauen uns die einzelnen Aufgaben an und dann fängt sie plötzlich an zu weinen, weil sie erkennt, dass sie wie in so einem Kreisverkehr in der Akzeptanz oder Nichtakzeptanz ist. Und sie möchte es nicht akzeptieren, dass der Vater wirklich nicht wiederkommt und deswegen tut sie für sich so, als wäre es nicht so. Und wenn man jetzt innerhalb einer Familie da nicht drüber spricht, dann lebt plötzlich jeder sein eigenes Leben und es gibt ganz große Schwierigkeiten.Die eine versteht den anderen nicht mehr. Eine Farbe - Rot - ist hier, die steht für die Vielfalt der Gefühle. Trauer ist nicht nur dass ich traurig bin sondern ich bin vielleicht auch wütend, ich bin kraftlos, ich habe Schuldgedanken und Schuldgefühle. Ich spüre Hass, ich habe Sehnsucht. Viele Leute sagen: Sehnsucht ist das schlimmste Gefühl da drin, sich danach zu sehen auch bei demjenigen zu sein, aber man will gleichzeitig nicht tot sein. Und da geht es einfach darum zu wissen, es gibt die Vielfalt der Gefühle und ich darf sie leben und ich darf auch wütend sein. Keiner darf sagen: "Sei doch nicht so wütend." Aber ich muss lernen, sie so zu leben, dass ich nicht andere Menschen verletze, nicht durch Worte und Taten und mich selber eben auch nicht. Dann ist hier die Farbe Blau, die steht für Veränderung. Es gibt eine Veränderung, würde mein Mann sterben, dann müsste ich einfach schauen: Kann ich unser Haus halten? Wären unsere Kinder noch klein, dann könnte ich nicht so oft auf Dienstreisen sein, denn wer versorgt die Kinder, ich brauche vielleicht einen Babysitter, ich brauche vielleicht eine Ganztagsschule, ich muss mich einer Veränderung anpassen. Es gibt eine Diagnose, womit manchmal trauender Menschen zum Psychologen geschickt werden, die heißt Anpassungsstörung. Und ich würde von einer Störung tatsächlich erst dann sprechen, wenn sich das ganz lange hinzieht und jemand da sitzt und sagt: "Ich will es nicht verändern." Das hat dann wieder was mit Akzeptanz zu tun, aber das erst mal Schwierigkeiten da sind in der Anpassung, das finde ich ganz normal. Denn würde mein Mann sterben, die Kinder wären noch klein und ich würde das alles mal locker mit links machen, da müssen wir ja eigentlich auch fragen: "Hey, was ist denn mit der los? Ist das nicht eher die Störung?" Und es gibt daneben noch die Farbe Gelb, wo es darum geht, dem Verstorbenen einen Ort zu geben zu dem ich Verbindung halten kann, aber wo mich der Verstorbene nicht im Leben stört. Im Grunde, mein Leben stört, dass ich immer wieder sage: "Oh, das wird aber meinem verstorbenen Mann nicht gefallen." Ich muss mein Leben weiterleben und darf ihm einen Ort geben, wo ich vielleicht mit ihm rede an ihn denke, aber ihn auch lassen kann.

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00:29:57: J: Du hast ja jetzt viele Punkte angeschnitten, die auch super interessant sind. Also beispielsweise welche Rolle spielt die Familie letztendlich in so einem Prozess und auch das grundsätzliche Umfeld. Was würdest du sagen, Helena, was für eine Rolle hat dein Umfeld auch gespielt? Oder vielleicht auch noch eine zweite Frage: Welchen dieser Abschnitte aus diesem Trauermodell hältst du oder hast du rückblickend jetzt noch mal so als wichtig auch empfunden? Vielleicht ist es ja bei dem einen so, dass die Akzeptanz schwieriger, wie die Geschichte, die du gerade geschildert hast, Mechthild. Beim anderen sind es vielleicht besonders viele Gefühle, die dabei hochkommen oder darf ich mich überhaupt freuen. Darf ich überhaupt Freude haben? Ja, genau vielleicht kannst du da was zu sagen.

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00:30:37: H: Mein Papa ist gestorben von Samstag auf Sonntag in der Nacht und die ganze Familie war da, also alle und das war super wichtig. Das hat uns super geholfen. Meine Mutter hatte unfassbar viele Dinge zu regeln und die Familie war einfach für mich und meine Schwester da, auch so ein bisschen als Ablenkung einfach, also die, wie schon gesagt: Das war ein bisschen wie ein Kirmestag. Wir durften alles und wir wurden abgelenkt, jeder hat mit uns gespielt und Familie ist da einfach ein Rückhalt. Die sind da, die erleben gerade das gleiche. Meine Tante hat ihren Bruder verloren, ich meinen Papa - also wir saßen in einem Boot. Wir saßen einfach alle in einem Boot und das war schön, dass man da den Rückhalt hatte. Wenn man aber jetzt auf den Freundeskreis guckt, wurde das schon ein bisschen schwieriger. Ich hatte da zu der damaligen Zeit meine beste Freundin angerufen, die hat mich weggedrückt. Also die hat gehört, ich habe erzählt, der Papa ist tot, mein Vater ist gestorben und dann hat sie aufgelegt.

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00:31:26: J: Woran lag das? Also weißt du das rückblickend jetzt? Also habt ihr da noch mal drüber gesprochen? H: Also die Freundschaft war danach auch beendet. Also ich wurde ignoriert, ich wurde komisch angeschaut, Leute haben die Straßenseite gewechselt, wenn sie mich gesehen haben, weil sie nicht wussten was sie sagen sollten. Also der Freundeskreis hat sich sehr minimiert.Aber das war in dem Moment auch gar nicht schlimm, weil man hatte seinen kleinen Kreis, wo man - man will es ja auch nicht jedem erzählen, es geht ja auch nicht jeden was an - und da hat man einfach gemerkt, wer wirkliche Freunde sind und wer halt einfach nur so einen Lebensabschnitt da war, aber aber im Grunde genommen auch nicht längerbleiben sollte. Also in der Gesellschaft war es schwieriger, Leute haben die Straßenseite gewechselt, es wurde unangenehmer, weil es einfach eine Sache war, damit wollte man nichts zu tun haben, man wusste nicht was man sagen sollte.

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00:32:09: Ich hätte es auch nicht gewusst. Also hätte meine beste Freundin mich damals angerufen und gesagt: "Der Papa ist tot", ich hätte überhaupt nicht gewusst, was ich machen soll. Also woher soll man das auch wissen, aber man wünscht sich, dass, wenn jemand sagt: "Ich weiß gar nicht was ich sagen soll. Ich habe jetzt überhaupt gar keine Ahnung was ich sagen soll.Ich bin total überfordert gerade." Das ist besser als die Straßenseite zu wechseln. Das wäre in dem Fall angenehmer gewesen, aber ich bin auch reflektiert genug zu sagen: "Ich hätte selber keine Ahnung gehabt." Also das ist in Ordnung, ich weiß es jetzt besser dadurch, dass ich es gelernt habe.

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00:32:36: Zu der Frage: Welche Phase, bzw. eine Phase ist es ja gar nicht, aber welcher Begriff der Wichtigste ist, das kann ich überhaupt nicht benennen. Also am Anfang war es das Begreifen und da musste ich gucken, wie begreife ich das. Dann gab es ein Funktionieren. Natürlich man hat funktioniert, wenn man zur Schule muss und man hat funktioniert eine Beerdigung zu organisieren, das hat alles geklappt. Und dann die Veränderung kam auch relativ schnell, man musste sich einfach im Alltag auch schnell verändern. Der Papa hat z.B. gewischt bei uns, so die kleinste Veränderung, das mussten dann auch ich und meine Schwester übernehmen. Man musste mehr im Haushalt machen, das waren so ganz kleine Veränderungen, auf die man sich einfach einlassen musste. Und ich habe mich sehr lange mit dem Beziehungsort sehr schwer getan, weil der Friedhof z.B. für mich überhaupt kein Ort ist, wo ich hingehe. Also da liegt mein Papa auch nicht, also das ist für mich einfach: Da war ich bei der Beerdigung und das war's. Ja, der Beziehungsort ist Schalke bei mir. Ich und mein Papa, wir waren immer zusammen auf Schalke.

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00:33:25:  MB: Mein Papa übrigens auch. /alle lachen/ Ich musste das gerade reinwerfen. Und das war das Erste, was ich gedacht habe, als ich hier rein gefahren bin, dass ich gesehen habe "och Papa,  der wär so froh" und hier steht das auch noch: Gute Gründe für das Leben: Schalke. MR: Ja, das war ich. /Alle lachen/

00:33:36:  H: Genau, das war so diese Verbindung, die wir hatten und dann habe ich einfach gedach, das ist dann jetzt mein Beziehungsort. Und genau, mein erstes Schalkespiel, da war ich fünf Jahre alt, da hat Schalke sieben zu vier gegen Leverkusen gewonnen und das erste Schalke Spiel ohne Papa, nach Papas Tod hat Schalke leider nicht 7:4 gewonnen, aber die Ecken, also das Eckenverhältnis war sieben zu vier. Und habe ich gedacht, das ist so ein schöner Moment. Das hat einfach gepasst und das ist so der Beziehungsort, da kann ich dran denken und da ist er einfach.

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00:34:13: J: Das ist ein sehr, sehr schöner Ort. Ich habe das bei mir zum Beispiel auch so, mein Vater ist ja auch gestorben und der Friedhof ist auch nicht mein Ort,  bei mir ist derOrt auch eher die Musik. Ja, ich habe da einige Lieder an denen ich mich auch so, ich nenne es mal abgearbeitet, habe auch um das zu verarbeiten. Aber auch eine Fußballgeschichte habe ich auch: Das erste Spiel, bei dem ich war, da hat ein guter Freund mich genommen und gesagt: "Komm jetzt mit!" Und das war Borussia Dortmund, Champions League Halbfinale gegen Real Madrid, 4-1 gewonnen. Ja, das war natürlich eine Nacht, die ist so unvergessen und ja ein ganz, ganz besonderer Moment, also sowohl vom Ergebnis als auch von den ganzen Umständen. Und habe ich dann auch einen guten Freund meines Vaters getroffen, also das war eine ganz, ganz empotionale Sache. Und schön, dass du das jetzt sagst, dass man da sich seine Orte sucht und auch findet, vielleicht.

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00:34:52:  H: Da habe ich auch Rückhalt von Papas Freunden, mein Papa hatte eine große Freundesgruppe, und ich habe das auch noch nie erlebt, dass so viele Männer zusammen nach sieben Jahren immer noch zum Grab gehen und immer noch weinen. Und das war nie ein Thema, das war immer klar der Olli spielt noch eine ganz große Rolle in dieser Gruppe. Und die haben mich an die Hand genommen danach, nachdem der Papa gestorben ist und haben gesagt: "Dann komm mit uns mit."  Dann haben die mir eine Dauerkarte organisiert und ich gehe jetzt mit Papas Freunden immer auf Schalke, also es ist richtig herzerwärmend dann einfach.

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00:35:20: MB: Also ich finde das sehr berührend, was du jetzt hier auch sagst. Also für mich, weil ich tatsächlich gewisse Dinge auch in mir wiederfinde und auch dieses Aktivitäten machen und in Gedanken dieser Person die verstorben ist und eben Traurigkeit mitschwingen zu haben, aber auch etwas fröhliches dabei zu machen. Also das ist, finde ich, auch immer so die Waage zu halten und Traurigkeit auch zuzulassen. Ich glaube, das ist auch etwas, was Traurigkeit als solches auch in unserer Gesellschaft, denke ich, schon auch eher etwas Verpöntes, das ist vielleicht ein starkes Wort, aber etwas, was man nicht sehen möchte. Und mich würde jetzt hier auch tatsächlich noch mal dieser Begriff des Ortes interessieren. Inwieweit diese neutralen oder trauerfreien Orte, die eine Rolle spielen, auch bei euch, also bei Lavia oder generell, was ihr auch so erlebt habt. Also bedarf es solcher Orte, wo Trauer und Traurigkeit nicht ist oder ist sie immer da?

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00:35:53: MR: Doch, die braucht es auf jeden Fall für die Erholung und auch für das normale Leben, genauso wie wir ja nicht die ganze Zeit lachen und lustig durch die Gegend laufen und unser Leben ja auch nicht permanent Jahrmarkt ist.  Aber hier ist es tatsächlich  ein Ort, wo Trauer present ist und wir bekommen manchmal auch Karten angeboten fürs Phantasialand z.B. und es sind dann Karten, die gebe ich gerne weiter an die Familien, aber wir fahren nicht mit den Familien dahin, weil wir sagen: Diese Orte, wo man über Trauer reden kann und über Resilienz, also wir reden ja nicht permanent über Trauer, wir reden ja auch über das, was macht mir Mut, was macht mir Hoffnung, das macht mich stark. Also im Grunde machen wir ganz viel Präventivarbeit, machen ganz viel Resilienzarbeit.

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00:36:47:

00:37:00: .  MB: Könntest du das kurz definieren, Resilienzarbeit, was das beinhaltet?

00:37:10: MR: Resilienz Arbeit bedeutet bei uns z.B., dass wir Trostsalben machen. Ja, wir haben Salben, wo wir Öle rein tun,

00:37:18: wo Kinder eben dran riechen und sagen: "Oh, das tut mir glaube ich gut. Das macht mir Mut, wenn ich in die Schule gehe" und wir sprechen dann darüber: Wofür brauche ich Mut oder wofür brauche ich Trost. Und wo es einfach auch um die Stärkung vom Selbstbewusstsein geht und zu lernen mit Krisen besser umzugehen und das ist z.B.  eine der Resilienzarbeiten. Oder überhaupt auch der Austausch darüber, wie kann ich mit Schwächen, wie kann ich mit Ängsten halt umgehen, dass wir hier Traumfänger basteln, aber es geht hier nicht ums Basteln, es geht auch nicht um die schönsten Traumfänger, es geht darum etwas Kreatives machen, während man darüber redet: Habe ich Ängste, habe ich Angst vor Geistern, die aus dem Grab rauskommen oder ist es jemand zu Hause gestorben und habe ich das Gefühl, da ist noch jemand im Haus, der mir nicht gut ist. Ja und über solche Themen sprechen wir eben auch. Und diese Orte, wo man darüber reden kann, die gibt es viel zu wenig. Es gibt viel mehr Orte, wo man Phantasialand erleben kann, es gibt viel mehr Orte wo die Leute sagen: "Hey, wenn du drüber reden willst, dann kannst du zu mir kommen", aber es gibt zu wenig Menschen, die sagen: "Du, ich habe da mal eine Frage" oder "Ich habe da was gesehen" und proaktiv drauf zugehen. Und das ist einfach hier ein Qualitätsort für den Umgang mit Trauer. Und deswegen wird man, wenn man hier rein geht, das Haus immer verlassen und etwas mitnehmen, das ist so der Auftrag, den wir haben.

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00:38:39: MB: Eine Frage, die mir jetzt tatsächlich einfach so gekommen ist, die mich aber brennend interessieren würde ist: Ob es einen Unterschied in der Trauerarbeit macht, wenn der Tod als solches plötzlich eingetreten ist oder schon "vorbereitet" war, in Anführungsstrichen, durch eine lange Krankheit oder eine kurze heftige Krankheit?

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00:38:57: H: Also ich habe das für mich so erlebt, dass jeder seine Geschichte hat und mit seiner Geschichte in Einklang kommen muss und wenn man mal so die Jugendlichen fragt, die Frage war bei mir auch häufig, weil es mich auch interessiert: War das gut für dich, dass es eine Krankheit gab, dass sich ein Abschied angekündigt hat, dass man sich verabschieden konnte? Und die meisten sagen "ja". Und wenn ich frage: "War das gut, dass es ein plötzlicher Tod ist?", dann sagen auch manche "ja". Also das ist so unterschiedlich, man muss einfach für sich gucken, was hätte mir gut getan. Mein Papa ist plötzlich gestorben und ich bin so froh. Ich bin so froh, dass ich nicht jedes Mal ins Krankenhaus gehen musste und sagen musste: "Vielleicht ist das jetzt das letzte Mal." Da muss jeder mit seiner Geschichte zusammenkommen, würde ich sagen.

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00:39:37: MR: Wir haben gestern Abend einen Verwitweten-Gruppe gehabt und da war dieses Thema auch da gewesediesen Zeiten, wenn man dieses Thema, dieses wichtige Thema, was im Raum steht wie der Elefant, wenn man da nicht drüber spricht, dann spricht man nicht mehrwahrhaftig miteinander. Und man redet auch nicht mehr über schöne Sachen, weil immer was im Hintergrund ist. Aber tatsächlich spielt es eine Rolle und zwar: Wenn ich meinen Mann jetzt z.B. lange gepflegt habe, dann kostet das ganz viel Kraft und ganz viel Energie und auch da funktioniere ich. Ich mache das selbstverständlich, irgendwie bekomme ich das schon hin und dann stirbt derjenige und alle Leute sagen: "Ach guck mal, jetzt geht's dir doch besser." Aber ich habe ganz viel Energie verbraucht und ich bin ganz schnell schlapp und ich stürze oft einfach ab, während die Leute, wo jemand plötzlich stirbt, die haben noch ihren Energietank voll, die machen einfach weiter, die funktionieren. Und die verbrauchen aber ganz viel ihrer Energie im Laufe des Jahres, weil Trauer sehr anstrengend ist, die spüren auch die Trauer nicht, aber trotzdem greift die denen Energie einfach ab. Und das heißt nach einem Jahr stehen die plötzlich da und sagen: "Ich kann nicht mehr. Ich bin k.o." und dann sagt der Chef oder die Chefin: "Das kann doch nicht sein, dir gings doch die ganze Zeit gut. Das verstehe ich jetzt gar nicht. Damals hättest du erschöpft sein können, aber doch nicht jetzt." Und die Menschen verstehen das oft selber gar nicht, während der, der lange gepflegt hat und früh k.o. war, der baut hoffentlich die Kräfte etwas mehr auf, dass es ihm nach einem Jahr immer noch nicht "gut"  - in Anführungszeichen - geht, aber besser geht. Ja und das ist einfach ein Unterschied. Oder der, der sich darauf vorbereiten kann: Manche Menschen reden da ja drüber und wir haben immer mehr Familien, die kommen zu uns hin und die überlegen auch, wie kann die sterbende Mama Abschied nehmen vom Kind. Dass wir Handabdrücke mit diesen Mamas auf Kissen z.B. machen, wenn das Kind sich später mutterseelenallein fühlt, dass es das Mamakissen nehmen kann und eine Umarmung spüren kann. Und solche Sachen die können wir mit vielen Eltern ansprechen, aber es gibt eben auch die, die nicht drüber reden.n. Es war eine Frau da, da war  der Mann anderthalb Jahre lang krank, von einer Frau hat sich der Mann das Leben genommen, von einer Frau ist der Mann plötzlich gestorben und es waren welche da, da gab es wenige Wochen Krankheit oder wenige Tage Krankheit. Und die Frau, wo der Mann anderthalb Jahre lang krank war, die hat gesagt, sie hätte gerne mehr Zeit gehabt, weil sie eigentlich keine Zeit hatten, weil ihr Mann da nicht drüber gesprochen hat und sie haben nichts geregelt, keine Patientenverfügung, kein Testament, keinen Abschied genommen, weil er das einfach nicht wollte. Und sie hat gesagt: "Das war so eine schwere Zeit." Und da haben wir noch drüber gesprochen, dass man in

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00:41:59: J: Aus den Dingen, die ihr jetzt gerade erzählt habt, drängt sich mir jetzt eine Frage auf und zwar: Ist der Tod ein Tabuthema in unserer Gesellschaft?

00:42:11: MR: Der Tod ist kein Tabuthema, aber Trauer ist ein Tabuthema. Denn über Tod wird geredet, über Tod wird gesprochen, da gibt es mittlerweile Werbung, die Kinder tragen T-Shirts mit Strass-Totenköpfen, es werden Piratenflaggen gekauft. Also der Tod ist da, es werden Horrorfilme geguckt und so weiter. Aber der Umgang mit der Trauer ist ein Tabu. Das ist aufeinmal so was ganz persönliches, da mag man nicht drüber reden. Man ist verletzlich, man fühlt sich nicht mehr stark und ganz häufig wird einfach Stärke mit Härte verwechselt. Dasa Eltern sagen oder auch Jugendliche oder Kinder: "Ich bin ja schon groß und ich bin stark", aber die beißen die Zähne zusammen und wir werden hier eine Gesellschaft von Zähnezusammenbeißern. Wir beißen die Zähne zusammen und das ist keine Stärke, sondern Stärke ist Trauer zuzulassen, aber auch wieder aufhören können zu weinen, auch wieder aufzustehen und zu sagen: "Ich probiere es wieder und dann muss ich mich halt wieder hinsetzten, ich brauch eine Pause."

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00:43:04: H: Vorhin war die Frage gewesen, ob es einen Ort geben muss, wo man nicht traurig ist. Da ist mir eben noch ein Gedanke gekommen oder eine Geschichte. Wir haben in der Trauergruppe Jugendliche gehabt, da war die Frage: Ist der Tote immer da?" Und einer hat gesagt: "Ja, der ist immer bei mir. Der kann ich immer sehen." Das war ein guter Gedanke und das Mädchen daneben hat gesagt: "Nee, mich nicht! Wenn ich auf dem Klo bin, dann will ich das nicht." Also solche Sachen. Und dann hat der, der eigentlich gesagt hat, dass der Ttote immer da ist gesagt: "Das stimmt. Und wenn ich irgendwie mal auf einer Party bin, das muss auch nicht alles die Mama sehen." Und es ist einfach so schön diesen Gedanken zu haben und denen auch in der Trauergruppe dann zu teilen, weil das ist so eine angeregte Diskussion. Das musste ich jetzt irgendwie noch loswerden. Das hat irgendwie gerade nicht rein gepasst. Aber diese Geschichte mag ich irgendwie so gerne, weil das so sinnbildlich ist für Trauergruppen. Einer sagt was und der nächste sagt: "Bei mir ist es nicht so" und dann sagt andere wieder: "Ach stimmt, das ist irgendwie ein guter Gedanke." Und so kommt man von Höckschen auf Stöckchen und das macht das irgendwie aus.

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00:43:59:  MB: Ich würde jetzt eine abschließende Frage stellen und zwar hinsichtlich etwas, das du, Mechthild, in unserem Vorgespräch gesagt hast und was ganz gut auch das Thema umfasst mit kein oder ein Thema für die Kinder und Jugendarbeit. Mechthild, du hast gesagt: "Trauerarbeit ist Bildungsarbeit." Was verstehst du darunter und was würdest du dir hier auch für die Zukunft wünschen?

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00:44:25: MR: Also Trauerarbeit ist Bildungsarbeit, weil es immer eine emotionale Bildung auch gibt. Und was ich mir für die Zukunft wünschen würde, wäre, dass Eltern stark gemacht werden mit Kursen, die angeboten werden. Aber auch, dass Kindergärten Bücher zu diesem Thema im Kindergarten offen auch liegen haben und nicht im Personalraum stehen haben, dass es in die Ausbildung der Erzieherin mit reinkommt, dass Lehrer und Lehrerinnen es lernen, damit sie damit umgehen können, wenn ein Unfall passiert, ein Unglück passiert,ob im Kollegium oder in der Elternschaft oder bei den Schülern. Das ist ein Thema, dass bei psychologen bis heute kein fester Bestandteil eines Psychologiestudiums, obwohl die Krankenkasse das bezahlt, wenn Leute hingehen. Das heißt, es gibt heute immer noch eine Fehlbehandlung auf Kosten der Krankenkasse. Es bräuchte einfach eine Anerkennung von Trauerbegleitung, Kostenübernahme durch Jugendämter, dass das als ein Punkt aufgenommen wird in den Förderungssachen.Dass in Unternehmen dieses Thema aufgegriffen wird, ja das Unternehmen einfach darum wissen, dass Trauer schwächt und das Trauer nicht nur da auftritt wo Tod da ist, sondern es kann auch bei Scheidung auftreten, es kann bei Verlust von körperlichen Eigenschaften auftreten. Es kann sein bei Flüchtlingen, bei den Menschen mit Migrationshintergrund. Also es gibt so viele verschiedene Trauerthemen und wenn ich es bei dem Tod nicht lerne und der Tod ist tatsächlich ja so ein Lehrmeister, weil wir werden irgendwann alle damit konfrontiert werden. Wenn ich es da nicht lerne, kann ich es in anderen Lebensstationen nicht anwenden. Und damit lernen umzugehen heißt auch Krisenbewältiger zu werden und Unternehmen, die junge Menschen einstellen, die diese Krisen bewältigt haben, die werden starke Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen haben.

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00:46:11: J: Ja, noch mal ein spannender Einblick und auch ja vielleicht eine gute Nachricht an alle Zuhörer_innen da draußen. Sprecht darüber, macht das Thema stark und danke dir noch mal für die klare auch politische Message, dass es da einfach ein bisschen mehr Unterstützung braucht um das Thema voranzubringen.

00:46:26: MB: Und alle Informationen auch für das Institut, wo wir hier auch gerade sitzen, das Lavia Institut, bitte schreibt, kontaktiert Mechthild.

00:46:33:  MR: Ja, gerne auf facebook auf der Seite Familientrauerbegleiterin Mechthild Schroeter-Rupieper, weil da stehen ganz viele Geschichten und da wird ganz oft auch drüber diskutiert und es darf auch kontrovers diskutiert werden, weil es einfach wichtig ist, dass wir uns miteinander auseinandersetzen darüber und, dass wir auch da zeigen: Es gibt vielfältige Art zu trauern, viele verschiedene Blickwinkel.

00:46:42:

00:46:50:

00:46:58: J: Und alle Informationen dazu findet ihr natürlich wie immer in der Podcastbeschreibung, auch zum Lavia Trauermodell, das findet ihr alles dort.

00:47:05: H: Traut euch einfach! Traut euch anzusprechen und wenn ihr jemanden habt, dann fragt nach und fragt interessiert nach, nicht neugierig, sondern interessiert. Und es gibt so viele Menschen oder Trauernde, die einfach gerne Geschichten erzählen. Ich erzähle so gerne Geschichten über meinem Papa, aber niemand fragt, niemand traut sich zu fragen und ich würde nicht in Tränen ausbrechen und heulen, aber ich würde einfach gerne erzählen.

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00:47:26: MS: Und wenn Tränen kommen, dann ist es nicht schlimmer, weil wir genieren uns auch nicht, wenn wir lachen

00:47:31: J: Ja und ihr könnt uns glauben, wir waren hier einige Male kurz davor. Und ihr merkt es auch, wir kommen langsam zum Ende dieser ganz, ganz wunderbaren Folge, wie ich finde. MB: Eine sehr persönliche, wunderbare und lehrreiche Folge auf jeden Fall.

00:47:43: J: Eine Frage haben wir noch im Köcher, wir haben es ja in dem Vorgespräch schon ein bisschen mysteriös angekündigt und zwar würden wir gerne von euch beiden wissen: Gibt es einen Lieblingsmenschen? Das bedeutet also, einen Menschen, der euch auf eurem Lebensweg inspiriert hat, den ihr unseren Zuhörer_innen ans Herz legen würdet sich mal mit dem Menschen zu beschäftigen? Also das muss jetzt niemand sein, den ihr persönlich kennt, das kann auch ein Autor sein, ein Künstler, eine Künstlerin, eine fiktive Figur und das muss auch nicht zum Thema unbedingt passen, darf es natürlich. Mit wem sollten sich unsere Zuhörer_innen ein bisschen beschäftigen?

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00:48:18: MS: Also da fällt mir sofort Janusz korczak ein, das ist ein großer Pädagoge gewesen und der ist dann später mit den Heimkindern ins KZ gegangen und hat sie nicht alleine gehen lassen. Und seine Pädagogik hat mich beeindruckt und auch dieses einfach dahinter stehen, dazu halten und mir ist das so wichtig, dass man Menschen sieht und, dass man Kinder sieht. Und wir wissen einfach, wie wichtig das ist für Kinder, gesehen zu werden und da ist er ein Vorbild gewesen. Ich wollte gerne einen meiner Söhne Janusz nennen, aber da hat mein Mann nicht mitgespielt.

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00:48:54: H: Das ist eine sehr schwierige Frage für mich, aber wenn es jemanden gibt mit dem man sich auseinandersetzen sollte, dann mit sich selbst. Ich finde es ganz wichtig mit sich selbst glücklich zu sein und mit sich selbst achtsam zu sein. Genau, ich könnte jetzt keine Person benennen. Also beschäftigt euch mit euch! Tut euch was Gutes, macht für euch, was euch glücklich macht, seid traurig, seid glücklich, seid mutig!

00:49:06:

00:49:16: J: Wunderbar, vielen Dank für diese beiden inspirierenden Persönlichkeite, die ihr uns hier vorgestellt habt. MB: Vielen Dank auch von mir. Ich bin selbst nachträglich noch ein bisschen wehmütig, ob der eigenen Geschichte, aber auch irgendwie habe ich eine gewisse Leichtigkeit gerade in mir, also es sind ganz viele verschiedene Gefühle,die ich jetzt in mir habe. Man merkt es auch so ein bisschen an meiner Stimme, bin ich mir sicher. Auf jeden Fall vielen, vielen Dank für dieses Gespräch, dass wir hier sein durften. Eine Premiere tatsächlich auch, dass wir irgendwo hingegangen sind außerhalb unserer beiden Hochschulen. Jens, das war's das tatsächlich auch von unserer s_innzeit.

00:49:25:

00:49:34:

00:49:40:

00:49:51:  J: Das war's von unserer s_innzeit. Besucht uns gerne auf Instagram unter transfernetzwerk.s_inn. Lasst uns gerne ein Like da, wenn ihr Kommentare, Anregungen habt, auch zu dieser Folge oder zu anderen, da sind wir immer sehr gespannt und lesen die sehr aufmerksam. In der nächsten Folge wird es um das Thema Systemsprenger gehen und wird am 8.11 erscheinen. Und schreibt uns gerne eine Mail unter sinnzeit@katho-nrw.de. Ich verabschiede mich von euch beiden. Vielen Dank, dass wir hier sein durften.

00:50:01:

00:50:13:

00:50:20:  MS: Schön, dass ihr da wart und ihr seid jederzeit herzlich willkommen.

00:50:27: J: Wunderbar und von uns beiden auch: Tschüss an alle andere da draußen und - MB: Nutzt eure Zeit s_innvoll.

00:50:32:

Über diesen Podcast

Soziale Ungerechtigkeit, spannende Konzepte aus der Wissenschaft und innovative Lösungsansätze für soziale Herausforderungen – all das behandelt s_innzeit, der Wissenschaftspodcast von s_inn!

https://www.s-inn.net
sinnzeit@katho-nrw.de

von und mit Marina-Rafaela Buch, Jens Koller, Sinem Malgac, Stephan Post, Ariadne Sondermann, Lisa Koopmann

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