s_innzeit - der Wissenschaftspodcast zur Sozialen Arbeit

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00:00:00: Music.

00:00:12: Jens (J): Hallo an alle an den Endgeräten! Willkommen zu s_innzeit, dem Wissenschaftspodcast vom Transfernetzwerk Soziale Innovation s_inn. Mein Name ist Jens Koller und ich bin heute wie immer mit Marina verbunden über eine App. Hallo Marina!

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00:00:25: Marina (M):Hallo Jens! J: Unser heutiges Thema lautet: "Theater in der Sozialen Arbeit - Lassen wir es sein oder nicht sein?" Liebe Marina, warum sprechen wir heute über dieses Thema? Warum macht diese Folge heute s_inn?

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00:00:37: M: Ja, Jens: Wenn man über Theater spricht, denkt man zunächst an große Häuser mit Bühnen, an Shakespeare und Brecht oder eben an den Satz "Sein oder nicht sein", wie die Folge das jetzt auch so integriert hat im Titel. Und schaut man sich im Alltag etwas genau um, finden wir Dinge, die Theater eigentlich ausmachen in vielen Situationen auch wieder. Sein es unsere verschiedenen Rollen, die wir ganz automatisch annehmen, also als Arbeitnehmer_in oder als Mutter, Vater, Sohn, Kund_innen oder Lehrkraft. Da kann ich ganz viele verschiedene Rollen auch nennen. Oder eben auch unsere gezielten Inszenierungen auf Instagram oder Tiktok oder eben, wie ich auch gesagt habe, die Auftritte von öffentlichen Persönlichkeiten, wie Politiker_innen oder auch Gäste in Talkshows. Das sind alles Rollen, die wir einnehmen in dieser Inszenierung und wir setzen uns hier selbst ganz bewusst in Szene und haben eine gewisse Erwartungshaltung, wie unsere Performance beim Publikum oder der_dem Zuschauenden ankommt: Oder wir sind selbst zuschauende Rollen und etwas passiert in uns, wenn wir etwas beobachten, also eine Szene beobachten oder Menschen, die miteinander agieren, beobachten. Wir können entzückt sein, verärgert, berührt, gerührt oder eben auch gleichgültig.  Theater und seine Prinzipien sind uns also manchmal etwas näher als man denkt, auch wenn man selbst vielleicht von sich sagt: "Ich bin gar kein Theatertyp." Und heute möchten wir uns deshalb fragen, welche Rolle Theater in der frühkindlichen Bildung spielt, wie Theater und Inklusion zusammenhängen und was die Corona-Pandemie mit Theater gemacht hat.

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00:02:12: J: Ja, liebe Marina: Vielen Dank für die Einleitung. Da kriege ich jetzt direkt wieder richtig Lust aufs Theater. Wir mussten ja etwas kürzer treten, was das angeht und wir hoffen mal, dass die Theater bald wieder ihre Pforten öffnen. Wir sind natürlich heute nicht alleine im Gespräch, sondern haben uns jemanden eingeladen und hier handelt es sich heute um Professorin Damaris Nübel. Ich stelle sie kurz vor: Damaris hat während ihres Studiums der Diplomdramaturgie an der LMU München und der bayrischen Theaterakademie August Everding eine Ausbildung zur Theaterpädagogin gemacht. Nach ihrer anschließenden Promotion im Bereich der außerschulischen Literaturdidaktik an der LMU München war sie als Bildungsreferentin beim Kinder- und Jugendwerk Süd der evangelisch-methodistischen Kirche und als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Kultur- und Medienbildung an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg tätig. Seit dem Wintersemester 2020 ist Damaris am Standort Aachen der Katholischen Hochschule NRW Professorin für Ästhetik und Kommunikation in der Sozialen Arbeit, und zwar mit dem Schwerpunkt Theater und Literatur. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören kulturelle Bildung und Teilhabe, inklusive Theaterarbeit, kulturelle Bildung in der frühen Kindheit, biografisches Schreiben und Kinder- und Jugendliteratur. Ihr seht also: Wir haben uns eine Expertin auf dem Gebiet eingeladen. Liebe Damaris, schön, dass du heute dabei bist.

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00:03:33: D: Ja, danke euch für die Einladung.

00:03:43: J: Damaris, bevor wir inhaltlich ins Thema einsteigen wie gewohnt, würden wir gerne von dir wissen, welche Rolle hat Theater für dich in deinem Leben? Und wie bist du letztendlich dazu gekommen dich mit Theater so intensiv zu beschäftigen?

00:03:50: D: Ja, die Vermittlung von Theater ist in erster Linie mein Beruf, aber natürlich ist Theater auch etwas, womit ich mich sehr gerne in meiner Freizeit beschäftige. Die Grenzen sind da manchmal fließend und das erlebe ich als etwas sehr Schönes. Bei mir hat die Schule einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, dass ich einen Zugang zum Theater finden konnte. Ich bin nämlich in einer eher ländlichen Gegend ohne eigenes Theater aufgewachsen und daher verdanke ich es ein paar wenigen engagierten Lehrern, die sich die Mühe gemacht haben einen Bus zu chartern und mich und meine Mitschüler_innen in die nächstgelegene Stadt ins Theater zu befördern. Ich bin also irgendwie ein Beispiel, an dem man sehen kann, dass Kinder und Jugendliche in der Regel nicht von selber ihren Weg ins Theater finden sondern herangeführt werden müssen.

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00:04:36: M: Danke für diesen kurzen Einblick auch und wir werden ja später noch darauf zurückkommen, dass Theater auch sehr vielfältig sein kann, eingesetzt werden kann. Und du bist ja selbst gerade in Theaterprojekten aktiv, die in der Kita angesiedelt sind. Kannst du uns vielleicht bzw. unseren Hörer_innen den Unterschied zwischen Theaterpädagogik und der Kunstform Theater erklären?

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00:05:00: D: Ja, ich erforsche gerade mit einem ganzen Team ein Projekt, dass seit fast fünf Jahren erfolgreich in Kooperation zwischen Theater, Jugendamt und Kitas umgesetzt wird. Theater wird dabei zu einem Medium der Sprachförderung, die Kitakinder erleben Theater als Kunstform auf zwei Arten: Zum einen indem sie im Kindertheater Vorstellungen besuchen, die von Profis speziell für ihre Zielgruppe gemacht worden sind und zum anderen indem sie selbst in der Kita Theater spielen und eine Aufführung für ihre Eltern entwickeln. Die Theaterpädagogik wiederum übernimmt in beiden Fällen die Rolle der Vermittlung zwischen der Kunstform Theater und den Kindern, die bislang kaum oder gar keine Erfahrungen mit Theater gemacht haben. Professionelle Theaterpädagog_innen bereiten im Rahmen des Projekts die Vorstellungsbesuche mit den Kindern sowohl vor, als auch nach und sie leiten sie beim eigenen Theaterspielen an.

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00:05:48: J: Du hast jetzt geradeauch mit dem Beispiel der Sprachförderung, da gibt's ja sicherlich noch einige andere Beispiele, da spricht man ja auch dann auch von der der bildenden Wirkung des Theaters. Vielleicht kannst du noch mal ausführen: Warum ist Theater denn gerade in der frühkindlichen Bildung für dich ein wichtiges Thema? Also welche Rolle kann Theater hier einnehmen?

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00:06:14: D: Theater ist, wie gesagt, ein wunderbares Medium der Sprachförderung besonders in der frühkindlichen Bildung, aber man kann mit Theater natürlich noch ganz andere Bildungsziele verfolgen. In der Theaterpädagogik unterscheidet man z.B. oft zwischen ästhetischen und sozialen Bildungszielen. Ein ästhetisches Bildungsziel könnte z.B. darin bestehen den eigenen Körper, die eigene Stimme als Ausdrucksmittel kennen und anwenden zu lernen.Durch Theater spielen kann man dann mehr und mehr im eigenen Körper ankommen und das nötige Selbstbewusstsein entwickeln, um z.B. vor einer größeren Gruppe zu sprechen. Zu den sozialen Bildungszielen wiederum gehört z.B. die Förderung von Kooperation und gegenseitiger Verantwortung. Ja, das Spielen ist ja gerade auch ein sozialer Prozess und findet nicht isoliert im stillen Kämmerlein statt. Ich würde außerdem sagen, dass Kinder und Jugendliche beim Theaterspielen immer auch Demokratie lernen können, aber dafür müssen Theaterprojekte natürlich partizipativ gestaltet sein. Wenn man als Leitung alles ganz autokratisch bestimmt, passiert eher das Gegenteil.

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00:07:18: M: Das kann ich mir vorstellen. Ich fand es jetzt auch interessant, dass du hier diese unterschiedlichen Bildungsziel auch noch mal dargestellt hast, also die ästhetisch und sozial, und es dann noch mal zu differenzieren und auch noch mal zu verstehen. Generell ist es ja oft so, zumindest habe ich das so erlebt, ich selbst zwar nicht, aber bei anderen, dass viele Schüler_innen Theater in der Pubertät eher als schambehaftet oder als etwas was tendenziell negativ behaftet sehen. Also Theater muss sein, aber mag man eigentlich nicht. Welche pädagogische Arbeit müsste hier denn noch reingesteckt werden, um eben den Zugang und die Nutzbarkeit zu erhöhen? Gerade auch mit den Zielen, die du hier auch noch mal aufgeschlüsselt hattest.

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00:07:59: D: Da gibt es eigentlich bereits ganz tolle Ansätze, ich kann mal auf einen davon ein bisschen genauer eingehen, ich finde z.B., dass sich das biografische Theater sehr gut für Jugendliche eignet. Bei diesem Konzept begibt man sich ausgehend von einem gemeinsamen Thema, das alle in der Gruppe verbindet, auf eine biografische Spurensuche. Es wird nach persönlichen Geschichten, Erinnerungen oder Erfahrungen gesucht, die dann wiederum zu Material für eine Stückentwicklung werden. Entscheidend in diesem ganzen Prozess ist die Verfremdung, das heißt: Das fertige Stück darf keine Rückschlüsse auf einzelne Gruppenmitglieder mehr erlauben, damit ermöglicht das Konzept des biographischen Theaters einerseits einen sehr direkten und persönlichen Zugang zum Medium Theater. Andererseits wird niemand bloßgestellt, sondern ganz im Gegenteil durch die Gruppe geschützt. Ich bin der Meinung, dass man so verhindern kann, dass Theater zu einer peinlichen und negativen Erfahrungen wird.

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00:08:50:  J: Ich würde jetzt gerne noch mal so ein bisschen auf die inklusive bzw. auch therapeutische Theaterarbeit zu sprechen kommen. Theater wird ja auch in der Therapie beispielsweise eingesetzt und ein Schwerpunkt von dir ist ja auch die inklusive Theaterarbeit. Das heißt zum Beispiel die Arbeit im Theater mit Menschen mit geistiger Behinderung. Kannst du uns vielleicht darüber etwas erzählen?

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00:09:13: D: Gerne. In den letzten Jahren durfte ich zwei tolle Projekte in Kooperation mit der Lebenshilfe durchführen, dabei kamen beides Mal Menschen mit und ohne Behinderung und außerdem generationenübergreifend zusammen, um regelmäßig Theater zu spielen und am Ende eine Aufführung vor Publikum auf die Beine zu stellen. Die Leitung bestand dabei aus einem interdisziplinären Team von Theaterpädagog_innen und Sozialarbeiter_innen, was ich als sehr wichtig empfunden habe, um allen Bedürfnissen und auch Aufgaben in einer Probe gerecht zu werden.

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00:09:42: M: Was ich mich jetzt frage, auch zu dem, was du gerade gesagt hast: Tut sich da nicht eigentlich ein Widerspruch auf, wenn man davon ausgeht, dass Theater doch immer noch etwas recht elitäres ist und gerade mit hohen Zugangsbarrieren verbunden ist?

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00:10:04: D: Ja und nein. Wenn wenn man einen Blick in die Publikumsforschung wirft, dann wird tatsächlich klar, dass es noch immer in erster Linie die gut gebildeten und die Besserverdienenden sind, die ins Theater gehen.Seit den 1970er Jahren ist aber eben auch die Rede von Kultur für alle, vom Bürgerrecht Kultur und von kultureller Teilhabe. Damit wird ja eine veränderte Haltung deutlich, nämlich die, das Kultur und damit auch das Theater keiner Elite vorbehalten sein darf, sondern allen Menschen zugänglich sein sollte. Für die Soziale Arbeit, speziell auch für die Heilpädagogik, ist das kein neuer Gedanke, hier wird ja schon lange Theater gespielt. Ganz anders sieht das aber aus, wenn man sich den allgemeinen Theaterbetrieb anschaut: Ich kenne zwar einige gute Beispiele für etwa inklusive Jugendspielclubs an städtischen Kinder- und Jugendtheatern oder auch beeindruckende Inszenierungen für Gehörlose oder hörbeeinträchtigte Menschen. Strukturell aber bleiben Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen vom Theaterbetrieb ausgeschlossen und zwar als Rezipient_innen und erst recht als Produzent_innen. Der Zugang zum künstlerischen Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen ist extrem erschwert. Darüber können auch die wenigen inklusiven Profiensembles, wie z.B. das Theater Rambazamba oder das Theater Hora nicht hinwegtäuschen.

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00:11:26: J: Wenn wir jetzt uns an diesem guten Beispiel mal vielleicht orientieren, wie diese auch gestaltet sind, da würde ich jetzt als Live-Act erstmal dran denken, an haptisches Theater oder an den Einsatz von Gebärden und Bildsprache als Mittel um Theater eben nicht nur zugänglich zu machen, sondern auch als Medium dafür eingesetzt werden kann, eigene festgefahrene Rollen zu durchbrechen. Wie siehst du?

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00:11:50:  D: Das inklusiv gestaltetes Theater kratzt vor allem immer an Theaterkonventionen. Das deutschsprachige Theater ist ja äußerst Text- bzw. sprachlastig, da finde ich es persönlich besonders spannend, wenn das z.B. hinterfragt wird, indem Gebärdensprache zum Einsatz kommt, und zwar nicht nur im Sinne einer Übersetzung der Lautsprache, sondern wirklich als ästhetisches Mittel. Ein anderes Beispiel sind die "Relaxed Performances", die allmählich in mehr und mehr Theatern angeboten werden. Bei einer Relaxed Performance gibt es alternative Sitz- und Liegemöglichkeiten für Menschen, die es in den engen Zuschauerreihen eines Theaters nicht aushalten würden, das Licht im Zuschauerraum bleibt in der Regel an, auf der Bühne wird auf grelle Lichteffekte, wie z.B. Stroboskoplicht verzichtet. Außerdem muss man nicht, wie man das sonst vom Theater gewohnt ist, mucksmäuschenstill sein, sondern man darf als Zuschauer_in während der Vorstellung sogar Geräusche machen.

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00:12:46: M: Wenn ich da ganz kurz was einwerfen kann, ich find das total spannend, weil ich kenne mich selbst im japanischen Theater aus und habe viele Kabuki- und Notheater besucht, auch in Japan. Und beim Kabuki Theater ist es auch ebenso, dass die Zuschauenden während der Vorstellung auch essen können oder auch reinrufen. Also ich könnte jetzt nicht als westliche Frau reinrufen, weil ich gar nicht wusste, der passende Moment ist, aber das war ein sehr interaktives Theater. Da musste ich jetzt auch daran denken, dass in der wir natürlich im westlichen Theater auch noch mal ganz andere Konventionen an sich haben, im Ursprung, als es die in anderen Theaterformen gibt. Deswegen ist es so interessant von dir noch mal zu sehen, wie auch andere Strategien dann auch benutzt werden. Wenn wir jetzt noch mal darauf schauen, dass Theater auch dabei helfen kann eigene Identitätsentwürfe zu erschaffen oder zu entwickeln,  da man sich beim Theaterspiel selbst in einer Art oszillierenden Zustand zwischen Rolle, Figur und Zuschauer befindet, sprich in dem Zwischenraum - oder man kann auch sagen in dieser Suchwewegung - wird dann ästhetische Bildung letztendlich vollzogen oder kann ästhetische Bildung vollzogen werden. Wir haben gerade von der Durchbrechung von Rollen und auch Konventionen gesprochen, wie kann man durch Theater auch die eigene Rolle hinterfragen?

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00:13:57: D: Ich finde, Theater lädt immer zur Selbstreflexion ein, egal ob man jetzt ein Stück anschaut oder selber Theater spielt. Man kann sich als Individuum in Beziehung zu seiner Umwelt setzen, den eigenen Platz darin in erkennen und den eben vielleicht auch kritisch hinterfragen. Das gilt gerade auch für marginalisierte Gruppen, Theater kann dann zum Sprachrohr werden und sogar eine politische Dimension annehmen. Wenn es jetzt aber z.B. darum gehen soll familiäre Beziehungsmuster oder selbstschädigendes Verhalten aufzuarbeiten, dann ist das meiner Meinung nach eine Aufgabe der Theatertherapie. Sie hat ein ganze anderes Selbstverständnis als die Theaterpädagogik, auch wenn sie teilweise mit ähnlichen Methoden arbeitet. Theatertherapie richtet sich vor allem an Menschen, die persönliche. Themen oder Probleme bearbeiten und verändern möchten, das passiert dann dezidiert in einem therapeutischen Setting und eine Aufführung vor Publikum ist eher nicht das vorrangige Ziel.

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00:15:00: J: Kommen wir jetzt zu einem Thema, dass uns ja leidlich schon seit über einem Jahr beschäftigt und vieles auf den Kopf gestellt hat, nicht nur im Theater, sondern überall auf der Welt und das ist natürlich Corona. Das kulturelle Leben wurde weitgehend eingeschränkt, Kulturschaffende mussten viele Alternativen sich suchen, wie z.B. digitale Festivals oder ihre Inhalte zu streamen, damit Menschen immer noch Zugang zu Kultur und Theater haben konnten. Und letztlich auch, um sich selber weiterhin zu finanzieren. Mich würde jetzt mal aus deiner Sicht interessieren, welche Auswirkung hat die Corona Pandemie auf deine Lehrtätigkeit und was hat das mit deiner Lehrtätigkeit gemacht auf diese Distanz vielleicht? Und natürlich mit dem Theater überhaupt?

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00:15:47: D: Ja, ich habe jetzt über ein Jahr lang fast ausschließlich digital unterrichtet und dabei ehrlich gesagt viele positive Erfahrungen gemacht. Digitale Lehre bietet neue kreative Spielräume in der Vermittlung, sie fordert Selbstbildungsprozesse bei Studierenden und ermöglicht ihnen mehr Autonomie beim Lernen, z.B., wenn sie in asynchronen Lerneinheiten selber bestimmen dürfen, wann und wo sie lernen. Für das Theater als öffentliche Einrichtung bedeutet die Pandemie dagegen natürlich enormen Stress, ständig musste auf neue Auflagen reagiert werden, es gab keine Planungssicherheit mehr und so weiter und besonders freischaffende Theatermacher_innen und Theaterpädagog_innen waren und sind auch immer noch in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht. Aber man konnte ja auch beobachten, wie Neues und Ungewöhnliches entstanden ist, also du hattest jetzt gerade die Theaterfestivals angesprochen, die wurden 2020 zunächst mal verschoben, ein Jahr später hat man vielerorts dann entschieden nicht mehr weiter zu verschieben, sondern die Festivals virtuell stattfinden zulassen. Davon hat auch meine Lehre ganz konkret profitiert, in dieser Woche war ich z.B. mit KatHo-Studierenden auf einer digitalen Exklusion im Rahmen eines digitalen Kinder- und Jugendtheaterfestival und wir sehen dabei Stücke aus ganz Europa und kommen mit Theaterpraktiker_innen und mit Studierenden anderer Hochschulen ins Gespräch.

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00:17:09: M: Wenn du jetzt bei einem Stichwort Digitalisierung Theater bleiben, du hast ja jetzt hier auch noch mal positive Beispiele genannt, welche Konsequenzen ergeben sich deiner Meinung hier raus? Wo siehst du da Potenziale neben denen, die du auch gerade genannt hast? Aber auch vielleicht Verluste, was die Erfahrbarkeit von Theater angeht, also weil Theater ja immer doch etwas sehr körperliches ist. Also dieses Gefühl, wenn man selbst in einem Theaterraum ist, es macht ja schon allein diese Erfahrung, macht ganz viel mit einem selbst. Und kann bzw. sollte das Theater hier etwas aus den praktischen Erfahrungen während der Pandemie denn überhaupt mitnehmen? Oder ist es dann einmal so passiert und dann ist auch mal gut so?

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00:17:36: D: Für die Theaterpraxis, die ja auch Bestandteil meiner Lehre ist, bedeutet diedigitale Lehre natürlich zunächst mal einen Verlust, Theater basiert auf der leiblichen Copräsenz von Menschen und diese gemeinsame körperliche Anwesenheit fehlt ja im digitalen Raum. Hinzu kommt, dass der virtuelle Raum anders als ein physischer Raum, nur bedingt zum Mitspieler werden kann, aber gerade das ist für die Theaterarbeit ein wichtiger Faktor. Trotzdem habe ich in den letzten zwölf Monaten viele gute Beispiele für interaktive, digitale Theaterformate und für theaterpädagogische Angebote im virtuellen Raum kennengelernt und manches davon mit Studierenden auch selber ausprobiert. Es wäre schade, wenn das nach Überwindung der Pandemie alles einfach so verschwinden würde, man sollte da vielleicht weniger nach dem Motto "entweder oder" vorgehen sondern mehr nach dem Motto "Sowohl als auch", also in dem Sinne, dass Theater und Theaterpädagogik sowohl analog als auch digital stattfinden können.

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00:18:48: J: Das sind ja Fragen, die sich vielerorts gestellt werden, also was bleibt letztendlich von all diesen Neuerungen, von all diesen Innovationen auch vielleicht, die Einzug gefunden haben in die alltägliche Arbeit? Vielleicht bei all diesen Herausforderungen, die auch gerade im Theaterbereich dann noch mal besonders ist, du hast ja diese Copräsenz gerade genannt, wie können wir im Moment kulturelle Teilhabe überhaupt ermöglichen?

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00:19:13: D: Ja, die Theater waren lange geschlossen und Theaterprojekte in Schulen, Kitas und Einrichtungen der Sozialen Arbeit konnten nicht mehr stattfinden, das war mit Blick auf die kulturelle Teilhabe natürlich erstmal ein herber Rückschlag. Digitalisierung kann aber kulturelle Teilhabe auch fördern, wenn wir zum Beispiel an ländliche Räume denken oder an Menschen, die durch Beeinträchtigungen ihr Haus oder Bett nicht mehr verlassen können, dann sind ja digitale Angebote kein Notnagel, sondern können Partizipation und Teilhabe überhaupt erst möglich machen. Insofern sind die Pandemie und der damit verbundene Digitalisierungs-Schub auch eine Chance, neu über das Thema der kulturellen Teilhabe nachzudenken und digitale Technologien zielgerichtet dafür zu nutzen.

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00:19:59: M: Wenn wir jetzt hier noch mal einen Ausblick wagen, auf die Postcoronaphase, die hoffentlich irgendwann auch passieren wird, welche neuen Formen können hier entstehen, gerade im Zuge von Corona, was wir jetzt auch gerade diskutiert haben?

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00:20:14: D: Ja, gute Frage. Ich bin da selber sehr gespannt, welche Entwicklungen wir nach Corona sehen werden. Ich gehe irgendwie davon aus, dass es zwei gegensätzliche Richtungen geben wird. Einerseits werden wir Theater wieder bewusst als analoge Kunstform erleben können, die auf Präsenz und unmittelbares Erleben ausgerichtet ist, andererseits werden die Experimente, hoffe ich, zumindest im und mit dem digitalen Weitergehen daraus entstehen, dann langfristig vielleicht ganz neue hybride Formate. Ganz grundsätzlich wäre mir wichtig, dass nicht alles, was während der Pandemie neu entstanden oder auch nur in Ansätzen ausprobiert worden ist, vom Tisch gewischt wird, denn wie gesagt halte ich die Digitalisierung auch im Theater für eine Möglichkeit kulturelle Teilhabe voranzubringen.

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00:21:01: J: Ich würde gerne vielleicht noch mal auf diesen Punkt eingehen, du hast ja gesagt "diese neuen Form, die da so entstanden sind", und zwar vielleicht kannst du ja sagen, was so diese Sozialen Netzwerke da auch für eine Rolle spielen. Also da wird ja auch viel inszeniert, da geht's ja auch darum sich zu inszenieren, sich in ein bestimmtes Bild zu setzen, man hat da ja auch eine Interaktion mit dem Publikum über die Kommentarspalten. Viele junge Menschen nutzen Mittel des Theaters ja auch bewusst oder unbewusst, um da ganz gezielt Aufmerksamkeit zu bekommen. Wie siehst du diese Vermischung von sozialen Netzwerken und Theater, ist das etwas, was dich schon beschäftigt hat und wie könnte man das bewerten in der Zukunft?

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00:21:42: D: Ja, das ist jetzt eher so die soziologische Frage. Ich denke schon, dass man da Parallelen herstellen kann zwischen dem Theater und unseren alltäglichen Auftritten, die wir ja, ob in der Hochschule oder im Arbeitsalltag oder in der Familie, irgendwie hinlegen müssen. Und ich denke, da kann das Theater, das Theater spielen sicherlich so eine Art Reflexionsfeld oder Reflexionsmedium dafür auch sein und Theater ermöglicht ja immer auch einen Probehandeln, was dann wiederum vielleicht doch Auswirkungen hat auf den persönlichen Alltag.

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00:22:19: J: Liebe Damaris, wir sind schon am Ende unseres Gespräches, aber eine Frage haben wir noch im Gepäck und vielleicht hast du schon damit gerechnet. Und die Frage ist: Mit welchem Menschen wäre es deiner Meinung nach s_innvoll etwas Zeit zu verbringen? Wen sollten sich unsere Hörer_innen etwas zu Gemüte führen?

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00:22:37: D: Mir fällt jetzt keine Einzelperson ein sondern eine Gruppe, und zwar das Theaterkollektiv Rimini-Protokoll. Ein Theater haben von Rimini-Protokoll lohnt sich immer, finde ich, und zwar aus mehreren Gründen. Diese Gruppe arbeitet mit sogenannten Expert_innen des Alltags, das sind keine professionellen Schauspieler_innen, sondern Laien, deren Lebensgeschichte, Lebensumstände oder Beruf so interessant sind, dass sie sich für die Entwicklung eines ganzen Theaterstücks eignen .2013 hat Rimini Protokoll z.B. ein Stück mit Maria Christina Hallwachs gemacht, die seit einem Genickbruch querschnittsgelähmt ist und 2019 ein Stück mit Menschen, die mit dem Tourette-Syndrom leben. Spannend an Rimini-Protokoll finde ich außerdem, dass sie immer wieder die Grenze dessen ausloten, was Theater eigentlich ist und dafür ganz bewusst in Zwischenbereiche gehen. Die Gruppe hat schon lange vor Corona hybride Formate, wie z.B. Audio- und Videowalks entwickelt, bei denen man als Zuschauer_in beispielsweise raus aus dem Theater in den Stadtraum geführt wird, mit wildfremden Menschen telefoniert oder mit einem Tablet in der Hand durch Rauminstallationen geht und dabei selbst zu einer Figur in der Performance wird.

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00:23:52: M: Vielen Dank Damaris, für diesen wertvollen Menschen bzw. die Nennung des Theaterkollektivs Rimini-Protokoll. Lohnt sich auf jeden Fall liebe Zuhörer_innen und ich möchte mich bei dir bedanken, dass du uns Theater in der Sozialen Arbeit mit all seinen Facetten auch näher gebracht hast. Das ist ein Thema, was mir und Jens auch persönlich sehr am Herzen liegt. Vielen Dank liebe Damaris, dass du heute mit uns da warst.

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00:24:14:  D: Sehr gerne.

00:24:18: M: Ja, ihr hört es schon liebe Zuhörer_innen, das war's schon wieder mit unserer s_innzeit. Alle Informationen der heutigen Folge findet ihr in der Podcastbeschreibung, lasst uns ein Like da und abonniert uns oder aber folgt uns auf Instagram unter transfernetzwerk.s_inn. Und ich möchte mich hier auch noch mal bei Damaris bedanken, weil sie heute Gast bei unserer zwanzigsten Podcast Folge gewesen ist und es hat sehr viel Spaß gemacht. Und für mich als Literaturwissenschaftlerin war das auch noch mal ganz besonders spannend. Liebe Zuhörer_innen, unser Podcast ist im Oktober letzten Jahres entstanden und Jens und ich wir sind sehr glücklich, dass wir mit euch nun die 20 Folgen erleben durften. Aber auch wir brauchen eine kleine Pause, deswegen nutzen wir diese Gelegenheit und gehen in eine kreative Sommerpause. Unsere nächste Folge erscheint also erst am 27. September mit spannenden Themen und interessanten Ansätzen aus der Wissenschaft. Seid also gerne wieder dabei. Bis dahin bleibt mir nur noch mal zu sagen: //Nutzt eure Zeit s_innvoll//

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00:25:26: J: //Nutzt eure Zeit s_innvoll!// M: Hat sehr gut geklappt. Tschüss! J: Tschüss D: Tschüss zusammen.

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Über diesen Podcast

Soziale Ungerechtigkeit, spannende Konzepte aus der Wissenschaft und innovative Lösungsansätze für soziale Herausforderungen – all das behandelt s_innzeit, der Wissenschaftspodcast von s_inn!

https://www.s-inn.net
sinnzeit@katho-nrw.de

von und mit Marina-Rafaela Buch, Jens Koller, Sinem Malgac, Stephan Post, Ariadne Sondermann, Lisa Koopmann

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