s_innzeit - der Wissenschaftspodcast zur Sozialen Arbeit

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00:00:12: Jens (J): Hallo an alle an den Endgeräten da draußen! Willkommen zu einer neuen Folge s_innzeit, dem Wissenschaftspodcast vom Transfernetzwerk s_inn. Mein Name ist Jens Koller und ich bin heute wie immer digital verbunden mit meiner Mitmoderatorin Marina. Hallo Marina.

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00:00:25: Marina (M): Hallo Jens.

00:00:30: J: Unser heutiges Thema lautet: "Reich aber moralisch?! Reichtum als moralisches Problem?" Liebe Marina, warum sprechen wir heute über dieses Thema? Warum macht diese Folge s_inn?

00:00:36: M: Du hast es jetzt schon so ein bisschen angedeutet auch mit dem Titel. Eigentum verpflichtet,so will es zumindestens der Artikel 14 des Grundgesetzes. Das heißt übersetzt: Wer reich ist soll dem Wohle der Allgemeinheit dienen und mit seinem Reichtum und Wohlstand der Gesellschaft etwas zurückgeben, denn der erarbeitete Reichtum ist maßgeblich durch die Errungenschaften einer Gesellschaft ermöglicht worden, durch Bildung, Infrastruktur, et cetera. Es gibt jedoch weder für den Einzelnen noch für ein Unternehmen eine gesetzliche Verpflichtung moralisch zu handeln. Und da möchten wir heute einen sozusagen philosophischen Blick auf die Frage  von Reichtum und Moral werfen.Wie beeinflusst Moral uns in unseren Wertevorstellungen und auch aktuellen Debatten? Und welche Rolle spielt Moral im Hinblick auf unser Wirtschaftssystem? Werden die sogenannten reichen und erfolgreichen Unternehmen diesem genannten Artikel 14 überhaupt gerecht? Und das sieht man auch in unserem Tittel, diesen Widerspruch mit reich, aber moralisch und kann auch diesen aktuell beobachten in unserer Gesellschaft auch wiederfinden. Mit diesem vielen Fragestellungen, ich habe viele aufgeworfen, möchten wir die Bedeutung von moralischen Handelns in unserer Gesellschaft einfach reflektieren und natürlich verstehen.

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00:01:49: J: Danke schön Marina für die Einleitung. Und wir haben uns dazu auch wieder einen Gast eingeladen, der uns hoffentlich Antworten auf diese Fragen geben kann. Zu Gast ist heute Christian Neuhäuser. Christian Neuhäuser ist Professor für Philosophie an der TU Dortmund. Seine Forschungsschwerpunkte sind Theorien der Würde, der Verantwortung und des Eigentums, aber er arbeitet auch zu Fragen der Wirtschaftsethik und der Philosophie der internationalen Politik. Hallo Christian, schön dass du bei uns bist.

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00:02:18: Christian (C): Ja, hallo auch von mir. Ich freue mich dabei zu sein.

00:02:24: J: Sehr schön. Lieber Christian, wo ist dir Moral - oder spricht man vielleicht sogar von DER Moral? - zuletzt häufig begegnet? Und vielleicht kannst du uns noch sagen: Was ist das eigentlich, Moral? Das ist ist ein Begriff, den wir häufig im Alltag verwenden und der uns häufig begegnet. Vielleicht kannst du da ein bisschen was zu erzählen.

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00:02:40: C: Ja das ist gar nicht so leicht die Moral fassbar zu machen. Ich denke, dass das daran liegt, dass Moral eigentlich immer und überall dabei ist, denn die Moral ist sozusagen im Grunde eine bestimmte Art und Weise auf unser Handeln und unser Zusammenleben zu schauen. In der Moral geht's um die Frage wann wir gut oder richtig zusammen leben und wann wir gut oder richtig handeln, so dass wir eigentlich bei Allem was wir tun, sogar bei allem was wir denken uns fragen können ob das moralisch oder unmoralisch ist. Weil wir immer fragen können: "Ist das richtig?" oder "Ist das gut?" und deswegen ist Moral eigentlich ein ständiger Wegbegleiter. Gleichzeitig muss man aber auch aufpassen, da werde wir sichtlich auch noch drüber reden, dass man die Dinge nicht übermoralisiert. Ja, sie ist immer dabei, aber gerade wir Philosoph_innen neigen dazu, wenn wir uns mit Moral beschäftigen, die Welten nur noch aus der Brille der Moral zu betrachten. Und so ist es ja eigentlich nicht, die Moral soll uns dabei helfen gut zusammen leben zu können, also sozusagen etwas, was uns beim guten Leben helfen soll und wir Menschen existieren aber nicht dafür moralisch zu sein.

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00:03:51: M: Christian, du hast jetzt hier einige Sachen genannt: Wenn wir gut und richtig handeln, ist das auch moralisch, bzw. Moral als ständiger Wegbegleiter. Das heißt, Moral hat ja auch so eine persönliche Dimension. Wie bist du denn dazu gekommen dich beruflich als Forschender genau mit diesem Thema Moral zu beschäftigen?

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00:04:12: C: Ich hatte schon als Kind und Jugendlicher - keine Ahnung warum - immer so ein ganz starkes Gerechtigkeitbedürfnis. Schuld ist da wahrscheinlich meine Mutter, dieveinfach immer sehr viel über Gerechtigkeit geredet hat und mir , glaube ich, einen starken Gerechtigkeitssinn vermittelt hat. Und jetzt leben wir in einer Welt in der, wenn man so einen starken Gerechtigkeitssinn hat, man glaube ich täglich damit konfrontiert ist, dass der Gerechtigkeit irgendwie doch nicht Genüge getan wird, also dieser Gerechtigkeitssinn wird quasi täglich beleidigt. Ja und das hat mich dann wahnsinnig interessiert, denn am Ende der Schulzeit habe ich mich dann noch gefragt, ob ich lieber Medizin machen möchte, also was Ordentliches, hab mich dann aber doch für die Philosophie entschieden. Zum Glück muss ich sagen. Und innerhalb der Philosophie war es dann doch sehr schnell so, dass ich mich für Fragen der Moral und Gerechtigkeit entschieden habe und im Studium darauf spezialisiert habe. Damals war das Philosophiestudium noch so, dass man machen konnte was man wollte. Ich habe ich vor allen Dingen das gemacht, weil ich mich weniger für Fragen der Erkenntnistheorie, Fragen wie "Gibt es einen Geist?" oder so was, interessiert habe.

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00:05:14: M: Du hast es ja jetzt auch schon erwähnt, dass die Dimension der Gerechtigkeit oder der Gerechtigkeitssinn dich von vornherein begleitet hat, du hast da deine Mutter erwähnt. Jetzt auch in Bezug auf deine berufliche Perspektive: Hat sich da deine Sicht auf den Alltag bezüglich Moral auch noch mal verändert? Weil du jetzt auch hier die beiden Dimensionen erwähnt hast.

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00:05:29: C: Ich glaube, dass ich weniger streng im Sinne von weniger moralistischer geworden bin und der Grund ist der, dass ich durch die professionelle Beschäftigung mit Moral und Gerechtigkeit stärker begriffen habe, dass die Frage wie moralisch oder unmoralisch jemand handelt, wie sehr das, was jemand tut im Einklang mit der Gerechtigkeit steht, sehr viel mit strukturellen Faktoren zu tun hat. Und mit ihr auch die Positionierung innerhalb der Gesellschaft, wo man hineingeboren ist, in welcher Schicht man aufgewachsen ist und so weiter und so fort. Das ist etwas was ich in der Jugend und dem Studium viel stärker hatte, nämlich so eine Haltung des persönlichen Vorwerfens, die dann dadurch verloren gegangen ist und ich jetzt eher sehe, dass wir an den Strukturen ansetzen müssen, damit es uns allen leichter fällt moralisch zu handeln und gerecht zu leben. Weil ich inzwischen auch glaube, durch ganz hunderte von Gesprächen, dass die meisten Menschen das eigentlich gerne wollen.

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00:06:32: J: Also wenn wir von Strukturen sprechen, kommen wir auch um den Reichtums Begriff nicht drumherum. Und mit dem beschäftigst du dich ja auch sehr intensiv, beispielsweise hast du 2019 ein Buch rausgebracht mit dem Titel: "Wie reich darf man sein? - Über Gier, Neid und Gerechtigkeit".Dda finden sich diese Begriffe ja auch wieder. Wir haben ja medial vermittelte Bilder von Reichtum im Kopf, die suggerieren, dass es da sozusagen eine große oder eine kleine Elite gibt, die so viel Geld hat - Stichwort auch Panama Papers - und die sozusagen auch so ein bisschen außerhalb dieser Gesellschaft manchmal agiert. Wie reich darf man denn jetzt nun sein, wenn man da von "dürfen" sprechen kann, und was macht Reichtum vielleicht noch aus, außer einem hohen Kontostand?

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00:07:16: C: Gut finde ich, dass wir erstmal unterscheiden zwischen Geldreichtum und Reichtum in anderen Belangen.Reichtum heißt meiner Meinung nach erstmal: Sehr viel von etwas guten haben. Deswegen ist es nicht absurd, wenn wir ein bisschen  metaphorisch sagen, man ist reich an Freunden, reich an Glück, reich an Liebe. Das sind Dinge, die finden wir gut und sehr viel davon zu haben heißt dann eben Reichtum davon zu haben. Und jetzt ist es so, dass das auch bei Geld der Fall sein kann, also reich an Geld ist, wer sehr viel Geld hat. Das ist kein Eigentumsrecht sondern ein Vermögensreichtum. Das müssen keine Geldscheine sein, sondern es muss nur monetär messbar sein, kann also auch Aktienvermögen sein beispielsweise, das dann monetär bemessen wird. Und da ist es so, dass ich mich halt für die Frage interessiere: Wann wird aus diesem "sehr viel haben" ein "Zuviel haben". Und jetzt ist es erstmal bei Reichtum nicht so, dass das perse der Fall ist, dass das ein moralisches Problem ist. Also sehr viel haben ist noch erstmal schön. Und damit das zu einem "Zuviel" wird, muss etwas passieren, es muss sozusagen mit moralisch negativen Konsequenzen einhergehen. Und das interessiert mich, wann das der Fall ist.

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00:08:23: M: Ich würde sagen, Fragen nach Reichtum oder Verteilungsgerechtigkeit und auch der daraus resultierenden Verantwortung sind oft wie wir gesehen haben auch moralisch aufgeladen. Und die Grenzen zwischen Moral und  Moralismus sind dabei oft fließend. Und ich möchte auch was aufgreifen, was du gesagt hast: Dass du jetzt weniger moralistisch geworden bist. Worin liegt denn der Unterschied zwischen Moral und Moralismus?

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00:08:45: C: Also ich würde sagen: Der Unterschied liegt darin, dass Moralismus selber etwas falsch gemacht, also wer moralistisch handelt oder redet macht etwas falsch. Viele Philosoph_innen - und ich auch - denken, dass das Falsche jetzt nicht nur ein kognitiver Fehler ist, also man hat falsch gerechnet in der Moral oder so, sondern. dass das selber moralisch problematisch ist. Also moralistisch zu sein ist selber moralisch problematisch und das liegt daran, dass man da irgendwie überzogen ist. Da gibt es zwei Arten des überzogenen Seins: Und zwar einmal sind die Urteile überzogen, die man fällt. Also man macht aus einer moralischen Mücke gewissermaßen einen moralischen Elefanten. Jemand hat sich mal ein ganz wenig falsch ausgedrückt und dann wird er gleich überladen von Vorwürfen, irgendwie ganz schlimm. Das zweite ist, dass nicht nur das Urteil überzogen, sondern auch die Reaktion ist überzogen. Das hab ich jetzt eigentlich schon gesagt, man urteilt nicht nur zu streng, sondern die Art und Weise, wie man das Urteil jemanden mitteilt ist auch viel zu streng. Also man macht bittere Vorwürfe, obwohl sich jemand schon längst entschuldigt hat, beispielsweise.

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00:09:53: J: Ich habe noch mal eine kurze Nachfrage zu zwei kleinen Wörtern, die du auch schon jetzt mehrfach benutzt hast und zwar "gut" und "richtig" und auch "falsch". Wer beurteilt eigentlich was gut, was richtig und was falsch ist? Und wie kommt das zustande? Es ist ja sicherlich auch immer eine Frage der Perspektive.

00:10:03: C: Ja, da fragst du jetzt gewissermaßen nach dem Stein des Weisen in der Philosophie. (lacht)

00:10:12: J: (lacht) Deswegen haben wir dich ja eingeladen.

00:10:26: C: Die wichtigste philosophische Tugend ist ja die der Bescheidenheit. (lacht) Die darin besteht, ganz mit Sokrates zu sagen: "Ich weiß, dass ich nichts weiß." Und da ist es sicherlich ja auf jeden Fall so: Wir reden ständig über gut und richtig und falsch und schlecht und wir haben da auch Intuition oder Urteile. Und Philosophie besteht darin zu versuchen das so gut wie möglich zu begründen. Aber wissend, dass es in zweieinhalb Tausend Jahren Philosophiegeschichte bisher noch nicht gelungen ist eine Begründung zu finden, die alle überzeugen muss. Und ich selber finde das irgendwie auch super eigentlich, weil ich dann denke: Naja, dadurch ist es so, dass wir immer wieder auf derselben Stufe anfangen als Menschen, als Menschheit. Gemeinsam neu darüber nachdenken müssen, was denn jetzt gut und richtig und falsch und schlecht ist. Und die Philosophie ist da eher so etwas wie eine Geburtshelferin, sozusagen die Art und Weise wie wir gemeinsam darüber nachdenken sollten und mein Selbstverständnis als Philosoph ist dann eben auch, dass ich im öffentlichen Diskurs uns allen dabei helfe das ein bisschen strukturierter zu machen. Das heißt nicht, dass ich nicht glaube, dass ist alles beliebig und man kann eine Märchengeschichte erzählen oder eine andere Märchengeschichte. Da ist es eher so, dass wir dann Strenge im Denken brauchen, das muss logisch korrekt sein, muss zu Ende gedacht sein, es müssen möglichst viele Facetten berücksichtigt werden. Und so kommen wir dann gemeinsam durch gemeinsames Nachdenken zu einer gemeinsamen Vorstellung davon was gut, richtig, falsch und schlecht ist.

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00:11:51: J: Ja danke für den kurzen Exkurs zu den Grundlagen der Philosophie, wenn man das so sagen kann. Wieder zurück zum Moralismus. Moralismus wirkt ja hier so ein bisschen wie der böse Zwilling, sage ich jetzt mal, der Moral. So ein bisschen gut gemeint, aber am Ende mit schlechten Konsequenzen. Siehst du eine besondere Zentrierung von Moralismus in unserer Gesellschaft, also dann bestimmte Bereich, wo die Debatten moralistisch geführt werden? Und warum ist Moralismus problematisch für unsere Debatten?

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00:12:22: C:  Ja, also ich glaube es gibt schon Debatten, die etwas moralistisches haben. Und das ist jetzt aber sozusagen eisglattes Gelände, denn oft ist es in den Debatten gar nicht so, dass der Moralismus das zentrale Problem ist, möchte ich gleich vorweg sagen, sondern der Moralismusvorwurf. Es ist also noch komplizierter. Also es gibt bestimmte Sachen über die redet man moralisch, beispielsweise im Bereich von Rassismus, Sexismus oder Tierethik. Und dann gibt's da bestimmte Akteure, die neigen zu Moralismus, also die überziehen das im Urteil oder in den Vorwürfen. Und dann ist es aber so, dass meiner Meinung nach, jetzt das eigentliche Problem entsteht mit dem wir gegenwärtig konfrontiert sind, das dann wiederum andere Kräfte - ich sag jetzt einfach mal ganz plakativ - reaktionäre Kräfte diesen Moralismus für sich nutzen, um die ganze Debatte abzublocken. Also nehmen wir mal vielleicht das unverdächtigste Beispiel jetzt in diesem im Kontext: der Veganismus. Also stellen wir uns vor, jemand ist überzeugte Veganerin und denkt, dass es moralisch streng verboten ist Tiere zu töten, um sie zu essen und istjetzt zu der Hochzeitsfeier einer Freundin eingeladen, dort gibt es Fleisch. Und das nutzt sie um eine Rede zu halten bei der Hochzeitsfeier, wie schlimm das ist Tiere zu essen. Da würden halt alle sagen: "Das ist moralistisch",  weil das jetzt einfach nicht der richtige Ort ist, in der Situation ist die Hochzeitsfeier wichtiger und die darf man nicht auf diese Art und Weise kaputt machen. Und da würde ich sagen: Ja, das ist richtig oder angemessen zu sagen, dass eine Überzogenheit vorliegt, vielleicht gar nicht im Urteil - vielleicht hat sie ja sogar Recht, aber in der Art und Weise, wie das kommuniziert wird. Jetzt gibt's aber dritte Kräfte, die so ein Beispiel, wenn so etwas passiert, nutzen um zu sagen: Da sehen wir es ja wieder. Alle Veganerinnen sind Moralisinnen, die spinnen ja sowieso und deswegen darf ich jetzt guten Gewissens mein Fleisch aus Massentierhaltung weiter essen. Und da sozusagen haben wir diese Reaktion, die sich dann über den Moralismusvorwurf  allen, auch legitim moralischen, Ansprüchen gegenüber immunisiert. Und das ist sozusagen die ganze dialektische Bewegung und da müssen wir aufpassen. Und da glaube ich aber, dass Leute, die sich stark für Moral interessieren gut daran tun, nicht in den Moralismus abzugleiten, weil sie es dann Leuten leicht machen, mit dieser Immunisierungsstrategie darauf zu reagieren. Und das gilt halt auch im Bereich des Rassismus, auch im Bereich des Sexismus. Da brauchen wir ein viel differenzierteres Vokabular und dürfen zum Beispiel im Bereich des Rassismuseine wirklich rassistische Beleidigungen und eine begriffliche Unbedarftheit nicht über einen Kamm scheren, weil wir es dann denjenigen zu leicht machen, die das nutzen, um sich zu immunisieren gegenüber ganz wichtigen antirassistischen, moralisch motivierten Kämpfen in dieser Zeit.

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00:15:11: M: Ja, du hast es jetzt hier erwähnt mit diesen unterschiedlichen Debatten,wo man auch aufpassen muss, dass man nicht in so eine Spirale das Moralismus, Antimoralismus rein versetzt wird, wo es auch, wie du gesagt hast, auch zu überzogenen Reaktionen kommen kann. Oft geht es aber in den Debatten auch um den sogenannten Wert einer Arbeit für die Gesellschaft. Also was ist gut für unsere Gesellschaft? Wenn wir annehmen, dass wir einen Unternehmensberater haben von McKinsey - ich mache jetzt ein ganz bekanntes Beispiel - der behauptet einen wichtigen oder auch gesellschaftlichen nützlichen Beitrag zu leisten in dem er z.B. Firmen effizienter schlanker oder auch erfolgreicher macht, also hier das Gute hervorzeigt. Aber eben über notwendige Einsparungen oder Entlassungen, und das heißt letztendlich Arbeitsplätze für Menschen, darüber enthält er sich. Was würdest du hier entgegnen?

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00:16:00: C: Ja, also ich denke im Bereich der Wirtschaftsethik ist es so, dass wir mit einem sehr spezifischen Problem konfrontiert sind, das haben wir in anderen Bereichen auch: In der Kunst und in der Politik. Dass es nämlich eine Reihe von Akteuren gibt, die glauben, das seien moralfreie gesellschaftliche Spähren: "In der Wirtschaft hat Moral nichts verloren", "In der Politik hat Moral nichts verloren" oder "In der Kunst hat Moral nichts verloren". Und da glaube ich, dass das grundlegend falsch ist. Es ist in der Wirtschaft nicht so, dass Effizienz das einzige Kriterium ist, das zählt, sondern eben Effizienz im Rahmen des moralisch erlaubten. Jetzt hat das eine lange Geschichte in der Wirtschaftsethik, weil man vor 250 Jahren mal geglaubt hat, man könne das tatsächlich so gestalten, dass in der Wirtschaft die Leute nur ihrem Eigennutzen folgen und das dann für die Gesellschaft insgesamt den größtmöglichen positiven Effekt hat. Und das war die moralische Rechtfertigung. Bei Bernard Mandeville hieß es in der sogenannten Bienenfabel: "Private Laster - öffentliche Tugenden", also das individuelle Gewinnstreben steigert das Bruttosozialprodukt und das kommt allen zugute, das war die Erzählung. Da ist inzwischen sowas von klar, dass das einfach nicht stimmt, dass die nichts mehr taugt. Und der Grund dafür ist natürlich, dass dieses private Gewinnstreben nicht einfach nur für die Gesellschaft insgesamt gut ist, das sorgt für zunehmende Ungleichheit, Verteilungskämpfe. Es führt natürlich zu der massiven Klima Schädigung und so weiter und so fort, also massiv negative Effekte. Aus dem Grund kann man von wirtschaftlichen Akteuren erwarten, dass sie im Bereich der Wirtschaft gucken: Was sind hier die moralisch relevanten Gesichtspunkte? Und jetzt kommt der entscheidende Punkt: In der Wirtschaft ist natürlich etwas anderes moralisch richtig und falsch als beispielsweise im Familienleben. Im Familienleben ist es wichtig, dass wir nicht so genau rechnen, dass wir auch nicht so so sehr auf Konkurrenz aus sind, dass wir einander helfen, gutmütig sind. Das ist sozusagen dann gewissermaßen die Ethik der Familie, also wenn man so ein Familienkonzept hat. Und in der Wirtschaft geht es schon um Konkurrenz, es geht um Wettbewerb, aber der muss fair sein. Und dazu gehört beispielsweise bei Entlassungen auch, dass man schaut: Sind die sozialverträglich? Sind die wirklich notwendig, um das Unternehmen am Leben zu erhalten? Oder dienen sie nur einer Profitmaximierung, um die Dividende für Aktionäre zu maximieren. Da könnte man jetzt sagen, dass dasmoralisch nicht gerehtfertigt ist. Und ich glaube, diese Art von Urteilen, die kann man allen Akteuren innerhalb der Wirtschaft abverlangen, auch Unternehmensberatern oder Unternehmensberaterinnen von McKinsey.

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00:18:32: J: Also da sind wir ja voll drin im Thema, wenn es darum geht, was eigentlich die moralische Verantwortung von Unternehmen, von Wirtschaftsunternehmen ist. Du hast gerade gesagt: Diese Idee, dass durch die Steigerung des Bruttosozialprodukts dann allen was gutes zu geführt wird, ist überholt. Ist die denn jetzt auf dem Papier überholt oder spiegelt sich das auch in dem tatsächlichen Handeln der Unternehmen wieder? Denn wir sehen ja auch jetzt auch jüngste Beispiele von einer großen Modefirma, die gezielt Mütter entlassen hat oder Menschen mit Behinderungen. Das würde dann doch eigentlich deinen Aussagen widersprechen. Und ja, da dann die daran anschließende Frage: Widerspricht sich das nicht mit einer strengen Wirtschaftslogik sozusagen, die moralische Komponente? Und ja, da dann die daran anschließende Frage: Widerspricht sich das nicht mit einer strengen Wirtschaftslogik sozusagen, die moralische Komponente?

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00:19:20: C: Also erstmal ist es so, man kann natürlich denken, dass idealerweise in einer bestimmten Sphäre Moral eine größere Rolle spielen soll, als sie es tatsächlich tut, dann hat man so sozusagen von außen dann eine Kritik daran an der Art und Weise, wie die Praxis gestaltet ist, eine moralische Kritik. Und dann stellt sich als Zweites die Frage: Ist es überhaupt jetzt möglich die Moral in das Wirtschaftssystem so zu integrieren, wie wir das gerade gemeinsam angedeutet haben? Und da würde ich wieder unterscheiden zwischen zwei Ebenen. Nämlich ist es ist allgemein, grundsätzlich möglich? Da würde ich sofort sagen: Ja, das hängt halt von kluger Regulierung staatlicherseits ab, dass hängt von kluger Regulierung von Unternehmen ab, wie die Unternehmensstruktur Struktur aufgebaut sein muss, wie da die Organisationskultur sein muss und so weiter und so fort. Und dann gibt's auch schon einige Leuchtturmbeispiele dafür, dass bestimmte Unternehmen damit anfangen, was weiß ich, nur noch zertifiziertes Holz für die Möbel, die sie anbieten zu benutzen und so weiter und so fort. Das hat oft ganz individuelle Geschichten, dass das kommt. Dann ist es irgendwie so, dass an der Spitze des Unternehmens jemand steht, dem das ein persönliches Anliegen ist und da sieht man aber auch, dass das möglich ist, weil diese Unternehmen verschwinden nicht sofort von den Märkten, sondern die überlebend da, obwohl sie diese moralischen Gesichtspunkte in ihrer Unternehmenskultur in ihre Unternehmensstrategie integrieren. Gleichzeitig ist es so, dass es in vielen Fällen ein Nischenbereich bleibt und da sind wir wieder mit einem strukturellen Problem konfrontiert, nämlich, dass das im wirtschaftlichen Denken noch nicht angekommen an den Universitäten, weil es da zwar inzwischen Wirtschaftsethik gibt, die aber sehr randständig behandelt wird. Und der Mainstream sagt immer noch: In der Wirtschaft geht es um Gewinnmaximierung. Und das eigentlich manisch, wenn man sich das vorstellt, dass ein Mensch, der uns begegnet, sagt : "Ich hab nur ein Ziel meinem Leben, ich will XY und alles andere ist mir egal."  Ja, da würden wir schreiend weglaufen, weil wir denken: "Oh Gott!" Also leben heißt die Dinge in Balance zu halten. Aber bei Unternehmen ist es dann so, dass ich wirklich nur dieses eine Ziel der Profitmaximierung zählt und alles andere bleibt auf der Strecke, Mütter oder eben Menschen mit Beeinträchtigungen werden dann halt entlassen, wenn die Gewinnmaximierung das vorschreibt. Und das finden wir zurecht unmoralisch. Da muss also was passieren in der ganzen Art und Weise wie Wirtschaft gedacht wird und dann aber auch in den Strukturen, die sich daraus ergeben. Beispielsweise ist es so, dass die FinanzmärkteUnternehmen auch nur ausschließlich danach beurteilen, ob sie ihren Gewinn maximieren oder nicht. Und wenn bei einem Unternehmen, das am Finanzmarkt platziert ist, bei Aktien beispielsweise, der Verdacht entsteht, dass die ihren Gewinn noch maximieren können, dann wird es sozusagen über Aktienkurse gleich bestraft, wenn sie es aus moralischen Gründen nicht tun. Und da müssen strukturelle Änderungen her. Und das kann von oben und von unten kommen, das ist auch wichtig. Von oben würde bedeuten, dass die Politik eingreift durch Steuern, beispielsweise durch Transaktionssteuern und so weiter den Druck aus dem System nehmen. Kann aber auch von unten kommen, beispielsweise von kritischen Aktionär_innen, die sagen: "Ne, wir investieren nur noch in moralische Aktien oder ethische Aktienfonds von denen bestimmte Sachen ausgeschlossen sind." Und das kann auch jeder von uns tun über Konsumentscheidung, Bio, Fairtrade und so weiter und so fort. Und da schauen: Ja, ich möchte diese moralischen Gesichtspunkten bei meiner Kaufentscheidung mitberücksichtigen und je mehr das von uns machen desto mehr Wirkung entfaltet das natürlich auf dem Markt.

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00:22:46: M: So insgesamt hast du jetzt auch noch mal aufgezeigt, dass es zumindestens einen kleinen Trend gibt, du hast Leuchtturmbeispiele genannt oder auch Nischenbereiche, wo man sieht, dass Unternehmen, zumindestens einige davon, versuchen moralischer zu handeln. Und vielleicht sieht man es auch mit der Nachfrage von den sogenannten Konsument_innen, dass Fairtradeprodukte, Bio- und Nachhaltigkeitsfragen häufiger auch gewollt und erwünscht. Da muss sich die Wirtschaft also dementsprechend drauf einrichten und das fließt auch wiederum in deren Marketingstrategien ein. Ich frage mich jetzt auch sowohl auf individueller Ebene, hier individuelle Ebene der Reichen, als auch auf Unternehmensebene noch mal: Welche Lösungsansätze siehst du, damit wir uns allgemein zu einer gerechteren Gesellschaft entwickeln können?

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00:23:33: C: Das ist eine ganz schwierige Frage, da muss ich auch zugeben, dass viele Philosoph_innen sich aus der Affäre ziehen, weil sie gerne beschreiben, wie eine gerechte Gesellschaft ausschaut, aber wie wir von sozusagen doch einer ziemlich ungerechten Gesellschaft zu einer gerechteren Gesellschaft kommen, das ist etwas, wovon viele die Finger lassen, weil man sich da doch recht schnell verbrennt. Und der Grund ist natürlich, dass man das nicht so genau weiß leider, also wir wissen ja: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Also das heißt, es ist ganz schwierig, wenn man einenVorschlag macht alle Konsequenzen zu überblicken. Deswegen hat der Philosoph John Stuart Mill immer ganz optimistisch gesagt: "Ne, wir müssen einfach verschiedene Sachen ausprobieren und dann gucken wir mal was klappt und was nicht." Also ganz viel experimentieren und das glaube ich letztlich auch, aber experimentieren am besten unter kontrollierten Rahmenbedingungen damit uns das auch nicht explodiert. Und ich selber glaube, dass der Schlüssel tatsächlich darin liegt, dass wir für mehr wirtschaftliche Gleichheit in der Gesellschaft sorgen und für mehr wirtschaftliche Teilhabe. Das heißt: Die ökonomische Ungleichheit, die massiv auseinander geht - gerade in den Vermögen - die müssen wir zurückfahren und wir müssen meiner Meinung nach dafür sorgen, dass diese immer noch bestehende Zweiteilung in der Gesellschaft von einer kleinen Gruppe, die das Kapital besitzen, also gewissermaßen die Produktionkräfte besitzen, und der allergrößten gesellschaftlichen Gruppe, die ihre Arbeitskraft nur verkaufen muss. Dass wir das aufbrechen indem wir - das heißt dann auf englisch "property-owning democracy", also auf Deutsch würde man glaube ich "Eigentumsdemokratie" sagen -, indem wir dafür sorgen, dass Eigentum an den Produktionsmitteln gleichmäßig unter der Bevölkerung verteilt wird. Ja, dass die Unternehmenletztlich uns allen gehören und dazu gehört meiner Meinung auch sehr viel mehr Mitbestimmungsrecht ein Unternehmen. Wir sind in Deutschland eigentlich schon relativ weit, wir haben viele Mitbestimmungsrechte, aber am Ende entscheidet doch immer die Arbeitgeber_innenseite, das ist einfach im Moment so geregelt. Das ist so wie an Universitäten, da gibt es auch ganz viele Mitbestimmungsrechte, am Ende entscheiden aber immer die Professor_innen, weil sie immer die Mehrheit haben. So ist das in Unternehmen auch und da muss man sozusagen stärker wirklich demokratische Strukturen einführen und wenn wir das gemacht haben, also diese drei Sachen: Weniger ökonomische Ungleichheit, mehr Teilhabe an Vermögen in der Wirtschaft und mehr Mitbestimmung in der Wirtschaft, dann glaube ich, sind wir gut aufgestellt um gesellschaftlich wirklich solidarisch zu sein und an einem Strang zu ziehen, dann können wir gemeinsam entscheiden, wie wir mit Problemen umgehen und wie wir die Lasten gleichmäßig verteilen. Ich sehe halt das Hauptproblem da drin, dass wenn wir ein großes Problem angehen wollen, wie, sagen wir mal, den Klimawandel oder wie Kinderarmut in Deutschland oder globale Armut, dass wir immer damit konfrontiert sind, dass dann sehr schnell die Frage entsteht: "Wer soll das bezahlen?" Und dann entstehen die Verteilungskämpfe zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und dann geht's plötzlich nur noch um diese Verteilungskämpfe und das eigentliche Ziel ist schon längst aus den Augen verloren. Und da muss man diesen Druck aus dem System nehmen und das muss vorneherein klar sein: "Ne, wir zahlen das alle gemeinsam."

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00:26:31: J: Auch ein großes Problem ist ja, was ich in Debatten um den Klimawandel auch immer wieder höre, wenn jetzt Deutschland alleine das macht, das bringt ja noch gar nichts, weil wir sind ja nur für 0,2%, oder was auch immer, für die Treibhausgase zuständig und wenn in - ich nenne es jetzt mal ganz plakativ - jetzt mal ganz plakativ - in China weiter Atomkraftwerke gebaut werden, dann bringt es ja gar nichts. Deswegen ist es ja auch ein globales Problem und du hast ja immer wieder auch die Strukturen angesprochen, dass die die Grundlage sind und, dass wir die verändern müssen. Ich komme jetzt mal zu der Fragestellung, wie die Pandemie uns da vielleicht auch helfen könnte, Ich frag das mal so provokativ, so einen elementaren Wandel voranzutreiben. Ich erinnere mich im März und auch im April noch als der Lockdown und so losging, haben ja viele von einer Rückbesinnung, Entschleunigung gesprochen und das als großes Abenteuer vielleicht auch am Anfang wahrgenommen, "jetzt haben wir mal die Chance uns ganz neu aufzustellen". Und ja, ein Jahr später ist das Gefühl ein anderes. Wie würdest du das gerade beurteilen, können wir da so strukturelle Veränderung vorantreiben? Und dass du vielleicht auch mal so einen Blick wagst auf die "Postcoronaphase". Wie sieht's nach Corona aus? Siehst du da Chancen?

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00:27:47: C: Ja, ich glaube inzwischen sieht man schon, dass das natürlich gemischt ist. Ja, es wurden viele Fehler gemacht, bestimmte Einschränkungen zu schnell gemacht, andere nicht schnell genug, da gab es Ungleichgewichte, das sind natürlich Lernfaktoren. Ich finde es auch ein Riesenproblem, das wir ein politisches Mediensystem haben, dem es quasi verboten ist, Fehler zuzugeben. Also das finde ich ganz schlimm, denn Fehler sind wichtig um aus ihnen zu lernen und je offener man darüber reden kann desto besser kann man aus ihnen lernen. Also da ist sicherlich das momentane Zwischenfazit gemischt. Gleichzeitig ist es so, dass ich immernoch beeindruckt davon bin, wie resilient, um jetzt auch mal den Begriff zu nennen, die Bevölkerung noch ist und wie sehr sie noch das mitmacht und wie sehr sie die Notwendigkeit einsieht. Es ist ja schon so, obwohl die allermeisten Menschen doch massiv leiden, einige sehr vielen mehr, die sozusagen mit echten Problem zu kämpfen haben, es ist so, dass die große Mehrheit dahinter steht und das finde ich beeindruckend, und zwar letzlich weltweit. Und das zeigt ja, dass eigentlich die Spezies Mensch doch irgendwie in der Lage ist solidarisch zu sein und auch trotz aller Mängel in der Lage ist mit so riesigen Problem umzugehen. Wenn uns das gelingt, dass wir bis Ende 2021 sozusagen mit der Pandemie so umgegangen zu sein, dass die dann eingedämpgt ist, durch Impfung, durch Testen und so weiter und so fort,dann wird das in die Geschichte der Menschheit eingehen als eins der ersten Dinge, wo die Menschheit als Ganzes mit so einem Problem umgegangen ist. Das müssen wir uns mal klarmachen, also da passiert gerade was gewaltiges und das macht irgendwie auch Mut, dass man das dann vielleicht auch bei anderen Sachen in den Griff kriegen könnte und da wünsche ich mir, dass dieser Mut überträgt. Gleichzeitig ist es natürlich so, dass bestimmte Sachen bei der Pandemie der Fall sind, die bei anderen Dingen nicht der Fall sind. Das ist alles sehr klar in der Struktur, die Zahlen sind sehr eindeutig, die Zusammenhänge sind sehr klar, das Virus ist sozusagen der Gegner gegen den man sich jetzt gemeinsam stemtt, also der geradezu außerirdische Feinde von außen. Und bei anderen Problem wie globale Armut oder Klimawandel ist das nicht so offensichtlich, da sind die Interessengegensätze noch sehr viel größer. Da sind Handlungsalternativen sehr viel offensichtlicher, also sozusagen scheinbare Handlungsalternativen, meine ich. Politik hat nicht die Möglichkeit diese Eindeutigkeit so stark zu kommunizieren. Da müssten wir noch überlegen, wie wir das hinkriegen, beim Klimawandel beispielsweise, deutlich zu machen: "Nee, die gleiche Leistung ist DA erfordert, aber nicht sozusagen, weil wir selber unmittelbar in unserer Gesundheit bedroht sind oder die nächsten, sondern weil das sozusagen für uns, für die Menschheit und für zukünftige Generationen von so großer Bedeutung ist. Da besteht Hoffnung, dass sich das übertragen lässt, aber nicht einfach so.

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00:30:30: M: Ich finde diesen ganzheitlichen Blick auf die Menschheit ist etwas, was Mut macht, also mir zumindestens. Ich denke, wir haben alle diese "la fatigue", also eine gewisse Lockdownfatique oder dass man einfach auch hofft, dass es jetzt mal besser wird. Ich würde jetzt gerne auch noch mal auf Veränderungsprozesse zurückkommen und zwar auch abschließend als Frage, wer denn für dich aus deiner Sicht Akteur_innen sind, die die Diskussion und die Umsetzung eben solcher Veränderungen auch im Moraldiskurs vorantreiben können. Also sind es deiner Meinung nach Parteien oder sind es Protestbewegungen, wie Occupy, also sind die wirkungsmächtiger? Und ich schiebe noch eine Frage dazu, weil ich das wahnsinnig spannend finde: Wie siehst du persönlich die Rolle von Wissenschaftler_innen gerade in diesen neuen Diskussionen und Diskursen, die sich entwickeln?

00:30:37: C: Ja, also ich glaube Parteien sind schon sehr schwer steuerbare Schiffe geworden, die sind inzwischen sehr groß, haben sozusagen sehr feste Organisationsstrukturen und sind ja selber so wie Unternehmen geworden und oft dann aber auch mit realen Problemen konfrontiert. Da arbeiten ganz viele Leute und ob die weiterarbeiten können oder entlassen werden müssen hängt davon ab, wie man bei Wahlen abschneidet, weil da drüber sich bestimmt, wie viel Geld diese Parteien haben. Und das sind so Logiken, die sich da einschleichen, dass kann ich auch alles gut verstehen, führt dann aber dazu, dass die Möglichkeit, selbst von sehr gutwilligen, enthusiastischen Menschen in den Parteien,

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00:32:08: wirklich aufzustehen und was zu bewegen durch diese strukturellen Zwänge eingeschränktt sind. So dass ich denke, die brauchen doch ziemlichen Anschub von außen und das sind dann soziale Bewegungen. Je mehr aus den sozialen Bewegung kommt desto leichter fällt es dann Parteien sich auch in diese Richtung zu bewegen, also wie so große Tanker müssen sie dann halt doch deutlich von diesen kleinen Schlepperschiffen gewissermaßen geschoben werden. So dass ich immer sagen würde: Es sind die sozialen Bewegung, da gibt Leute mit Mut, mit Energie und die können anstoßen, wie ja zuletzt Fridays for Future. Da würde ich halt immer sagen: Das darf jetzt nicht erlarmen und es darf nicht  zu schnell in das parteipolitische Geschehen aufgehen, weil sich das dann sozusagen im Alltagsgeschäft zerreibt. Ja, da muss der Druck von außen bleiben und zwar über Jahre.Das finde ich also richtig gut. Und die Wissenschaft hat, glaube ich, unterschiedliche Rollen in der Gesellschaft. Letztlich ist es so, dass ich denken würde, dass bei solchen Fragen die Wissenschaft dafür sorgen muss, dass so viele Informationen wie möglich in das System kommen, sodass Menschen, die politisch sind, so informiert wie möglich entscheiden können. Gleichzeitig ist Wissenschaft gegenwärtig mit einer großen Herausforderung konfrontiert, nämlich einerseits deutlich zu machen: Es gibt sowas wie Fakten, es gibt sowas wie Tatsachen. An denen müssen wir uns orientieren, die sind nicht beliebig, das kann man nicht so oder so sehen. Und gleichzeitig gibt es eine große Diversität und Perspektiven auf diese Fakten. Es ist nicht so, dass die Fakten für sich sprechen, in dem Sinne, dass sie uns schon politische Maßnahmen vorgeben und da sehe ich im Moment noch ein Problem, weil da diese Ambivalenz im Moment nicht so gut kommuniziert wird, auch im öffentlichen Diskurs nicht so gut ausgehalten wird. Da gibt es so eine Art Lagerbildung, die einen leugnen Fakten einfach, um das machen zu können was sie wollen und die anderen benutzen Fakten so, als würde sich da schon automatisch daraus ergeben was das richtige politische Handeln ist. In der Philosophie wissen wir aber, dass man vom sein nicht auf sollen schließen kann, also das was der Fall ist, sagt uns nicht was wir tun sollen, sondern informiert uns nur darüber, welche Handlungsmöglichkeiten wir haben. Und wir müssen dann immer noch entscheiden welche wir davon dann ergreifen, sodass ich glaube, dass die Aufgabe der Wissenschaft jetzt noch viel stärker da drin liegt diese Komplexität auf eine Art und Weise zu vermitteln, auch die Vielstimmigkeit der Wissenschaft zu vermitteln, die von der Bevölkerung angenommen wird und dieses Lagerdenken aufzubrechen. Und ich glaube, das ist auch etwas, was viele Menschen wollen. Die wollen nicht, dass die Wissenschaft jetzt sozusagen so tut als sei alles ganz klar und eindeutig, also die wollen die Vielstimmigkeit der Wissenschaft und das schafft Vertrauen Und da bin ich optimistisch, dass das Vertrauen schafft von Menschen in die Wissenschaft, dass es da schon auch ganz gut läuft, wenn die sehen: Es gibt diese Vielstimmigkeit, die aber sozusagen trotzdem in einem vernünftigen offenen lösungsorientierten Diskurs eintritt.

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00:35:06: J: Ja, Christian, vielen Dank für diese Ausführung und auch was du zuvor gesagt hast, dieses Mut machen, dass die Menschheit vor der großen globalen Herausforderung steht und es schaffen kann er und auch da vielleicht irgendwann mal drauf zurückblicken kann, um zu sagen: "Hey, das ist etwas, was wir alle gemeinsam gemacht haben." Und auch diese schönen Einblicke in Moral und den Unterschied zu Moralismus und WIE Moral sozusagen unsere täglichen Debatten und Entscheidung auch beeinflusst irgendwo ein Stück weit. Und auch in deiner letzten Ausführung können sich viele in diesen Debatten um die Pandemie auch wiedererkennen, entweder dieses leugnen, um zu machen was ich will und auf der anderen Seite aber dann dieses manchmal schon freudige Zerlegen dieser Ansichten und Meinungen über die Fakten, die aber noch nicht automatisch eben den Handlungsrahmen vorgeben können. Das heißt um diesen Punkt des Stein der Weisen noch mal aufzugreifen, es ist gut oder falsches, das ist also eine stetige Diskussionen, die sich da vollzieht und auch vollziehen muss, um als Gesellschaft die richtige Entscheidung zu treffen. Was auch immer dann "richtig" bedeutet, das konnten wir ja noch nicht abschließend klären. Mit Blick auf die Uhr muss ich jetzt leider wieder feststellen, dass unsere Zeit zum Ende gekommen ist, aber eine Frage haben wir natürlich noch an dich und die interessiert mich hier ganz besonders. Das ist unsere Rubrik Lieblingsmensch: Welchen Menschen würdest du unseren Zuhörer_innen empfehlen sich mal mit ihm oder ihr ein bisschen näher zu beschäftigen und auseinanderzusetzen?

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00:36:38: C: Ja, da müsste ich natürlich sagen, so wie ich angefangen habe: Meine Mutter. (lacht) Aber die würde sich bei mir bedanken. Weil ich einfach so viel von ihr gelernt habe, aber die möchte jetzt sicherlich nicht, dass sich hunderte von Zuhörer und Zuhörerinnen bei ihr melden. Eine Alternative wäre eine abstrakt philosophische Antwort, zu sagen: "Naja, also sucht euch eine Person, die so ganz anders ist als ihr, ganz andere Lebensansichten hat, ganz andere Lebenserfahrung hat, ganz andere kollektive Identitäten hat. Und beschäftigt euch mal intensiv mit der um zu sehen wie sozusagen vielfältig das menschliche Leben auch ist." Aber das ist vielleicht auch noch zu abstrakt und als Philosoph in einem Fach das ja doch immer noch ziemlich männlich dominiert ist, würde ich jetzt denken, dass es vielleicht gut ist sich mit Philosophinnen zu beschäftigen, wo es inzwischen doch eine Reihe von Philosophinnen gibt, die sich echt lohnen. Ja, also Hannah Arendt natürlich, Hannah Arendt lesen hilft immer weiter. Ich bin selber Fan von Iris Young, amerikanische Politikwissenschaftlerin und Philosophin, die sehr viel zu Gendergerechtigkeit gemacht hat, aber auch sehr viel zu diesem öffentlichen Diskurs und wie man es schafft, dass der gerecht ist und so viele Leute wie möglich inkludiert. Das finde ich super. Vielleicht die beiden.

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00:37:59: J: Ja, vielen Dank.

00:38:08: M: Also, liebe Zuhörer_innen, lest Hannah Arendt und Iris Young, falls ihr das noch nicht getan habt. Mir bleibt leider jetzt nichts anderes übrig, als zu sagen: Vielen Dank, lieber Christian für dieses inspirierende und wie ich finde, man kann schon sagenvielstimmiges Gespräch - das ist ein Begriff, der auch gefallen ist, ich finde das passt hier auch. Jens und ich wir sagen beide natürlich: "Wir freuen uns, dass du da warst." Das war's wieder mit unserer s_innzeit. Liebe Zuhörer_innen, folgt uns auf Instagram unter transfernetzwerk.s_inn. In der Podcast Beschreibung findet ihr alle weiteren Informationen auch zu Christian und zu den besagten Personen, die hier auch genannt sind, die Philosophinnen. Generell kann ich euch nur sagen: Abonniert uns, lasst uns ein Like da bei Instagram. Unsere nächste Folge erscheint am 5. April. Bis dahin wünsche ich euch allen alles Gute, bleibt gesund und vor allen Dingen: Nutzt eure Zeit s_innvoll. Tschüss!

00:38:17: J: Tschüss!

00:38:26: C: Tschüss auch von mir!

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Über diesen Podcast

Soziale Ungerechtigkeit, spannende Konzepte aus der Wissenschaft und innovative Lösungsansätze für soziale Herausforderungen – all das behandelt s_innzeit, der Wissenschaftspodcast von s_inn!

https://www.s-inn.net
sinnzeit@katho-nrw.de

von und mit Marina-Rafaela Buch, Jens Koller, Sinem Malgac, Stephan Post, Ariadne Sondermann, Lisa Koopmann

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