s_innzeit - der Wissenschaftspodcast zur Sozialen Arbeit

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00:00:13: Marina (M): Hallo an Alle an den Endgeräten. Willkommen zu einer neuen Folge von s_innzeit, der Wissenschaftspodcast vom Transfernetzwerk soziale Innovation. Mein Name ist Marina und ich sitze wie gewohnt digital mit meinem Mitmoderator Jens zusammen. Hallo, lieber Jens. Unser heutiges Thema lautet: "Teilhaben, teilnehmen und Teil sein - Sozialpässe in Nordrhein-Westfalen." Lieber Jens, warum sprechen wir heute über dieses Thema und warum macht diese Folge heute s_inn?

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00:00:43: Jens (J): Ja, liebe Marina: Wir wollen uns heute mal wieder dem Thema Teilhabe widmen. Für alle, die schon einige Folgen von uns gehört haben: Wir haben uns diesem Thema ja schon öfter mal genähert, weil wir davon ausgehen, dass das eben ein wichtiges Thema ist. Heute wollen wir uns mit einer Maßnahme beschäftigen, die eben Teilhabe ermöglichen soll und zwar geht es hier um den Sozialpass. Mit der Einführung des Sozialpasses soll Menschen und Familien in Armutslagen die Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben ermöglicht werden. Sozialpässe berechtigen dazu vergünstig Kultur und Freizeitangebote, sowie weitere Dienstleistungen in den jeweiligen Kommunen zu nutzen. Darüber, welche Formen von Sozialpässen es gibt und wie verbreitet sie sind, gab es jedoch bisher kaum empirische Daten. Auf Anfrage der Selbstvertretung von Menschen mit Armutserfahrung NRW ist die Verbreitung und Gestaltung von Sozialpässen in Nordrhein-Westfalen untersucht worden. Wir haben euch heute auch einen O-Ton mitgebracht von Michaela Hofmann, Referentin für Armutsfragen beim Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln. Darin erklärt sie, wie es überhaupt zu dieser Studie kam und wer die Experten in eigener Sache sind. "Also die Experten in eigener Sache sind alle Menschen, die von Armut betroffen sind, aber hier in diesem speziellen Fall die Menschen, die mithelfen das Treffen von Menschen mit Armutserfahrung oder das Treffen für Experten in eigener Sache vorzubereiten und auch durchzuführen, was wir einmal im Jahr eben halt auch hier auf nordrhein-westfälischer Ebene veranstalten. Das sind Männer und Frauen, meist ältere Menschen aus ganz unterschiedlichen - ich sag jetzt mal Bezügen - also im Rahmen von Armutserfahrung und da ist eben halt immer die soziale Teilhabe ganz wichtig. Soziale Teilhabe; irgendwohin kommen können, fahren können; Geld zu haben, um öffentliche Verkehrsmittel nutzen zu können, um Freunde zu besuchen, auch um hier zu diesem Treffen zu kommen; sich auszutauschen; das ist immer, immer wichtig. Áuch eben halt vielleicht mal Sport zu machen oder wir irgendwas anderes zu tun, um das Gefühl zu haben 'Ich bin Teil der Gesellschaft'. Und das war eben halt das, wo wir gedacht haben: Wie kommen wir an Daten? Weil es gibt ja Sozialpässe in Köln oder auch in Bonn, in Düsseldorf und da fehlte uns so die Idee: Wie können wir das organisieren? Und da kam der Sozialwissenschaftsladen und hat auch beim ersten Treffen von Menschen mit Armutserfahrung hier teilgenommen und dadurch ist die Verknüpfung entstanden. Und eigentlich auch so eine gemeinsame Entwicklung dann auch dieses Themas und wir waren sehr, sehr froh alle miteinander, dass das geklappt hat, dass das untersucht worden ist, um auch zu sehen, dass das ein Flickenteppich ist und, dass das eben halt nicht ordentlich aufbereitet ist. Es ist gibt keine Struktur im Land für Sozialpässe, dabei wäre das eigentlich das, was am wichtigsten ist, das in jeder Kommune Menschen die Möglichkeit haben teilzunehmen. Und die Stadt könnte sehr wohl entweder so einen Pass einführen oder aber auch bestimmte Dinge kostenfrei machen, die eben halt städtische Einrichtungen sind. Damit würde man den Menschen sehr viel helfen und ihnen auch das Gefühl geben zur Gesellschaft dazuzugehören. Von daher: Nochmal recht herzlichen Dank einfach für den Sozialwissenschaft-Laden, dass wir dieses Thema aufgreifen konnten und auch jetzt immer wieder in die Politik bringen können." Und wir wollen uns heute genau diese Untersuchung etwas näher anschauen und uns mit dem Konzept der Sozialpässe auseinandersetzen."

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00:04:06: M: Danke für die kurze Einleitung und die Mitnahme dieses O-Tons, das erste Mal in unserem Podcast. Ich habe jetzt mitgenommen: Irgendwohin kommen zu können, fahren zu können, sich auszutauschen oder, um es auf den Punkt zu bringen: Teil der Gesellschaft sein, das sind alle die Dingen, die hier angesprochen wurden und Frau Hofmann hat es auch noch mal betont: Es ging darum, einen Flickenteppich zu knüpfen, also rauszufinden, wo überhaupt Sozialpässe zu finden sind und was man vielleicht machen kann, damit noch mehr Menschen Zugriff auf Sozialpässe haben. Dazu haben wir uns einen Gast eingeladen und zwar Anna Liza Arp, die diese Studie durchgeführt hat. Anna Liza Arp hat an der katholischen Hochschule NRW an den Standorten Münster und Köln Soziale Arbeit studiert, in ihrer Masterarbeit hat sie auf Anfrage der Selbstvertretung von Menschen mit Armutserfahrung NRW untersucht, was denn Sozialpässe sind und wie stark diese in den Kommunen des Landes Nordrhein-Westfalen verbreitet sind. Für diese Abschlussarbeit wurde sie im vergangenen Jahr mit dem Thesispreis des Fachbereichs Sozialwesen der katholischen Hochschule NRW, auch Abteilung Köln, ausgezeichnet. 2020 hat sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im hier schon vorgestellten Sozialwissenschafts-Laden Forschungsprojekte in Zusammenarbeit mit Praxisorganisationen und Selbstvertretungen begleitet. Und seit diesem Jahr arbeitet sie als Sozialarbeiterin im Bereich der offenen Senior_innen Arbeit in Düsseldorf. Herzlichen Glückwunsch erstmal zum Thesispreis, liebe Anna und schön, dass du da bist. Wir freuen uns, dass wir dich hier im Podcast begrüßen dürfen.

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00:05:39: Anna Liza (A): Ja, vielen Dank. Ich freue mich sehr heute hier zu sein und über meine Abschlussarbeit und das Thema, das mir sehr Herzen liegt, berichten zu können.

00:05:44:  M: Ich steig dann direkt mit einer Frage zu deinem Forschungsprojekt ein: Wie bist du dazu gekommen genau in diesem Thema zu forschen?

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00:05:55: M: Ich habe gegen Ende meines Masterstudium als wissenschaftliche Hilfskraft im Sozialwissenschafts-Laden gearbeitet, den du ja auch schon erwähnt hast und der Sozialwissenschaftsladen ist eine Anlaufstelle für Bürger in sozialen Organisationen und weiteren Organisationen der Zivilgesellschaft, die dort Forschungsanfragen an die Hochschule stellen können. Diese Forschungsanfragen werden dann z.B. an Studierende für Abschlussarbeiten vermittelt oder an Professor_innen. Der Sozialwissenschafts-Laden arbeitet auch seit zwei Jahren eng mit der Selbstvertretung von Menschen mit Armutserfahrung zusammen, die von Frau Hofmann im Diazösan-Caritasverband begleitet wird. Und so kam es, dass bei einer Veranstaltung de Selbstvertretung auf die Bedeutung sozialer Teilhabe und Mobilität für armutsbetroffene Menschen aufmerksam gemacht. Es wurde zum Beispiel die Forderung nach einem NRW-weiten Sozialticket für den Personennahverkehr gestellt, es wurde aber auch danach gefragt, wie denn auf kommunaler Ebene Teilhabe gefördert wird oder gefördert werden kann. Und da ist schnell von den Sozialkassen die Rede gewesen und die Idee ist entstanden mal zu erheben, wie verbreitet Sozialpässe eigentlich sind. Ich habe mir das Thema also nicht ganz alleine überlegt, sondern mit meiner Abschlussarbeit versucht den organisierten Selöbstvertreter_innen eine empirische Grundlage auch für ihre politische Forderungen und ihrer Arbeit in der Selbstvertretung zugeben.

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00:07:24: J: Wenn wir über Sozialpässe reden, reden wir über Menschen mit Armutserfahrung, die betroffen oder bedroht sind von Armut. Ab wann ist man denn arm? Also worüber sprechen wir, jetzt auch heute hier, wenn wir über Armut sprechen?

00:07:30: A: Ja, das ist eine sehr gute Frage. Wenn wir über Armut sprechen gibt es zwei grundlegende Armutsbegriffe: Da wäre erstens der sogenannte "absolute Armutsbegriff", hier wird Armut an existenziellen Notlagen, wie Obdachlosigkeit oder Nahrungsmangel fest gemacht, also Menschen können ihre Grundbedürfnisse nicht mehr befriedigen. Laut Weltbank sind Menschen zudem extrem arm, wenn Sie weniger als 1,90 $ am Tag zu Verfügung haben, dass heißt, dass extrem arme Menschen nicht in der Lage sind sich täglich die Menge an Gütern zu kaufen, die in den USA 1,90 $ kosten würden. Wenn wir das Vorkommen von Armut aber weltweit betrachten fällt schnell auf, dass es wenig Sinn macht nur von absoluter oder extremer Armut zu sprechen. Armut kann in wohlhabenden Gesellschaft nämlich sehr unterschiedlich aussehen, sie ist dann nicht direkt von Elend geprägt, sondern vor allem durch gesellschaftlichen Ausschluss und mangelnde Teilhabe. Wir müssen Armut also im Verhältnis zum Umfeld eines jeweiligen Menschen setzten, deswegen spricht man hier auch von relativer Armut. Arm ist in Deutschland also, wer über so geringe Mittel verfügt, dass er oder sie von einer Lebensweise ausgeschlossen ist, die ja eigentlich als Minimum gilt. Und in Deutschland und auch in der EU wird mittlerweile seit über 30 Jahren mit diesem relativen Armutsbegriff gearbeitet, also er wird auch in der Sozialberichterstattung genutzt. Rechnerisch geht dabei jede Person als arm, die mit ihrem Einkommen unter 60% des mittleren Einkommens liegt. Darunter fällt das gesamten Nettoeinkommen, also das, was man beim Job verdient, aber auch Wohngeld, Kindergeld und so weiter. 2019 lag diese Armutsschwelle in Deutschland bei 1074 € für einen Singlehaushalt ohne Kinder, bei einem Paarhaushalt mit zwei Kindern unter 14 Jahren bei 2300 € circa. Und es ist auch nachgewiesen, dass Menschen, die weniger als 60% an Einkommen zur Verfügung haben, keine finanziellen Rücklagen anlegen können. Sie weisen oft Versorgungslücken auf und können tatsächlich kaum am gesellschaftlichen Leben teilhaben, weil dann das Geld fehlt für vielleicht den Kinobesuch, Theaterbesuch oder auch Musikunterricht für die Kinder. Und wo wir schon bei den Zahlen sind: Für 2019 wurde bundesweit eine Armutsquote von fast 16 % erhoben und in Nordrhein-Westfalen sind wir tatsächlich mit 18,5 ganz vorne dabei, das heißt, fast jede fünfte Person in Nordrhein-Westfalen ist von Armut betroffen und unsere Armutsquote ist seit 2006 sogar zweieinhalb Mal so schnell gewachsen wie die gesamtdeutsche Quote.

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00:10:02: M: Anna, du hast es jetzt ja auch gesagt, ich wiederhole das auch noch mal: Jede fünfte Person in NRW ist von Armut betroffen, das ist eine sehr hohe Zahl. Du hast gesagt, es gibt verschiedene Formen Armut zu definieren, feststeht aber, dass Armut die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben stark einschränkt. Du hast Beispiele genannt: Der Gang ins Kino, ins Theater, ins Schwimmbad oder Utensilien für die Kinder zu kaufen, das alles ist dann keine Selbstverständlichkeit mehr, denn die allermeisten Kultur-, Freizeit-, oder Bildungsaktivitäten kosten nunmal Geld. Menschen in Armutslagen sollte es trotzdem aber möglich sein am kulturellen gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, teilzuhaben, womit wir beim zentralen Thema der heutigen Folge sind: Dem Sozialpass. Anna, was ist der Sozialpass genau? Wie sieht dieser aus? Ich sehe da so eine Art Checkliste mit Prozentrabatten, das ist wahrscheinlich nicht ganz korrekt. Klär mich da auf bitte!

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00:10:59: A: Ja, Jens hat das einleitend schon so schön gesagt: Sozialpässe berechtigen Menschen in Armutslagen dazu Kultur und Freizeitangebote, aber auch andere Dienstleistungen in ihrer eigenen Kommune vergünstig zu nutzen. Dabei werden Sozialpässe meistens nicht Sozialpass genannt, sonden haben etwas attraktiveren Namen, wie z.B. "Kölnpass", "Düsselpass" oder "Essen - dabei sein", sie werden von der Stadt oder der Gemeindeverwaltung ausgestellt und kommen meist im Kartenformat. Also man kann sich das wie eine kleine Bankkarte aus Plastik oder wie eine Kundenkarte vorstellen, die bei den entsprechenden Einrichtungen, wie z.B. bei Schwimmbädern oder Stadtbüchereien vorgezeigt werden kann. Vom Design her ist das in der Regel auch relativ unauffällig, also auf den ersten Blick deutet nichts wirklich auf etwas Besonderes hin. Es ist auch kein Gutscheinheft, bei dem man etwas abreißen kann, sondern sieht wirklich wie eine Kundenkarte aus. Meistens sind die Sozialpässe auch personalisiert, das heißt, jede berechtigte Personen bekommt einen eigenen Ausweis und der ist auch nur in Verbindung mit dem Personalausweis gültig, wie wir das z.B. bei Abokarten für den öffentlichen Personennahverkehr eben kennen. Kommunen verbinden mit der Einführung eines Sozialpasses vor allem zwei Ziele: Zum einen soll die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit geringem Einkommen ermöglicht werden, erleichtert werden und zum Anderen werden Ermäßigungen, die es in der Kommune schon gibt, zusammengefasst und für die Bürger_innen transparenter kommuniziert. Ein weiterer Vorteil von Sozialpässen, den man auf jeden Fall noch nennen sollte, ist, dass berechtigte Menschen keinen Sozialhilfebescheid mehr an der Kasse vorlegen müssen, wenn es keinen Sozialpass gibt, ist das oft der Fall, dass die dann an entsprechenden Einrichtung eine Berechtigung vorweisen müssen. Aber natürlich ist es auch so, dass auch mit Sozialpässen das Thema Stigma oder Charme, dass mit Armut einhergeht auch nicht aus dem Weg geräumt ist.

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00:12:52: J: Und da wollen wir auch später noch mal ein bisschen drauf eingehen, auf diesen ganzen Bereich Stigma, der damit unter Umständen einhergeht oder eben auch nicht. Mich würde jetzt noch mal ein bisschen genauer interessieren, welche Leistungen jetzt diese Sozialpässe abdecken. Du hast ja jetzt schon einige Dinge genannt, wie Vergünstigungen bei Kinos und so weiter, also was gibt's da noch? Also wie ist das "Leistungsspektrum" - ist das überhaupt das richtige Wort dafür? - und wie kommen dann solche Vergünstigungen zustande? Also sind das Kooperationen auch, die dann in der Stadt angestrebt werden mit Betrieben, mit Kultureinrichtungen? Wie können wir uns das vorstellen?

00:12:53: später noch mal ein bisschen drauf eingehen, auf diesen ganzen Bereich Stigma, der damit unter Umständen einhergeht oder eben auch nicht. Mich würde jetzt noch mal ein bisschen genauer interessieren, welche Leistungen jetzt diese Sozialpässe abdecken. Du hast ja jetzt schon einige Dinge genannt, wie Vergünstigungen bei Kinos und so weiter, also was gibt's da noch? Also wie ist das "Leistungsspektrum" - ist das überhaupt das richtige Wort dafür? - und wie kommen dann solche Vergünstigungen zustande? Also sind das Kooperationen auch, die dann in der Stadt angestrebt werden mit Betrieben, mit Kultureinrichtungen? Wie können wir uns das vorstellen?

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00:13:15: A: Ja, also, wenn man eineman Anspruch auf verschiedene Vergünstigungen in unterschiedlichen Bereichen. Da kann man in der Regel drei unterscheiden: Bei allen Sozialpässen, die ich in NRW untersucht habe, ist es z.B. Standard, dass man damit ermäßigten oder manchmal auch kostenlosen Zugang zu Kultur- und Freizeitaktivitäten bekommt. Also, wie schon erwähnt, der Besuch der Musikschule, von Museen, des Schwimmbads, des Theaters und in der Regel gelten die Vergünstigungen dann vor allem bei städtisch getragenen Einrichtungen. Also da bekommt man ja sowieso Ermäßigungen und die sind auf jeden Fall immer in einem Sozialpass mit drin. In einigen Fällen kann es aber auch sein, dass die Stadtverwaltung dann auch sagt: "Ja, wir gehen auch auf private Unternehmen zu und schauen ob es da Möglichkeiten Kooperationen ein zu gehen, dass Vergünstigungen ermöglicht werden. Da muss ich aber sagen, dass ist eher selten der Fall, also es geht meistens dann um tatsächlich kommunale und städtische Einrichtungen. Neben Ermäßigungen im Kulturbereich können Menschen, die einen Sozialpass besitzen in einigen Kommunen auch ermäßigte Gebühren in Schulen und Kindertagesstätten in Anspruch nehmen, in vielen Fällen berechtigen Sozialpässe auch die Tafel zu besuchen oder in Sozialkaufhäuser mit zusätzlichen Vergünstigungen einzukaufen. Und in vielen Fällen geht mit einem Sozialpass auch Gebührenbefreiung oder -ermäßigung bei den kommunalen Behörden einher, z.B. beim Einwohnermeldeamt oder auch ganz banal bei der Abführung der Hundesteuern.

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00:14:53: M: Anna, wir haben das ja auch vorhin so ein bisschen gehört und die Rede war von Flickenteppich oder, dass nicht ganz klar ist, wo denn überhaupt der Sozialpass zu finden ist. Deswegen ist meine Frage an dich: Wie verbreitet ist dann so ein Sozialpass eigentlich in NRW?

00:15:01: A: Meine Studie hat ergeben, dass tatsächlich nur ein Drittel der Kommunen in Nordrhein-Westfalen einen Sozialpass ausgibt. Dabei gibt es leichte Unterschiede in den Regierungsbezirken, in Detmoldsind es z.B. schon die Hälfte der Kommunen, in Münster hingegen nur ca. 17 %. Ich habe mich auch im Vorfeld der Erhebung gefragt: Könnte es denn ein Stadt-Land-Gefälle geben? Also geben Großstädte eher einen Sozialpass aus, als vielleicht die kleine Gemeinde im Bergischen Land? Und ich habe deswegen auch geschaut, ob das Vorhandensein des Sozialpasses auch mit der Größe der Kommunen zusammen hängt. Und das ist tatsächlich auch so: Es gibt in 77%, also in drei Viertel der Großstädte, einen Sozialpass, während das bei Kleinstädten nur ein Viertel und bei mittelgroßen Städten ca. 37 % sind. Also man kann hier in den Zahlen ein deutliches Stadt-Land-Gefälle auch sehen.

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00:15:53: J: Ich möchte jetzt mal auf die einzelnen Städte zu sprechen kommen: Gibt es da Unterschiede im Hinblick auf den Sozialpass, also wie er ausgestaltet ist?

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00:16:09: A: Ja, tatsächlich gibt es viele Unterschiede. Du hast eben auch schon erwähnt: Sozialpässe sind eine freiwillige Leistung der Kommunen, deshalb sind sie nicht gesetzlich definiert, es gibt keinen definierten Leistungsumfang, es ist auch nicht irgendwo fest geschrieben, wer genau die Zielgruppe sein soll. Das heißt, die Städte und Gemeinden können das ganz unterschiedlich entscheiden und es hat sich gezeigt, dass sehr unterschiedliche Ansätze verfolgt werden.

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00:16:28:  M: Was ich mich jetzt gefragt habe, Anna: Wie kann man denn so einen Sozialpass erhalten, also wer kann so einen Sozialpass erhalten? Also, man kann es sich denken, aber muss eine Art Checkliste bzw. Prüfung durchlaufen? Gibt es dann eine Messung, bei der man sagt,wenn man sagt ab dem und dem sovielten Grad oder so darf man einen Sozialpass haben?

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00:16:52: A: Ja, also weil ein Sozialpass schon von der Idee her nur Menschen zu Verfügung gestellt wird, die sich in einer Armutslage befinden, muss an einer Stelle zumindest die Bedürftigkeit festgestellt werden. Da gibt es zwei Wege: Also Menschen, die Grundsicherungsleistung nach SGB II und XII beziehen, das sogenannte Hartz IV und die Sozialhilfe, bekommen in vielen Fällen einen Sozialpass schon per Post nach Hause geschickt, weil ihre Bedürftigkeit ja durch den Antrag auch schon gestellt wurde und bei diesen Personengruppen direkt davon ausgegangen wird: "Ok, die brauchen das. Hier muss Teilhabe gefördert werden."  Es kann aber auch sein, dass Menschen diesen beantragen müssen, z.B., wenn sie ein geringes Einkommen haben,  der aber leicht über das Existenzminimum ist und deswegen keine Grundsicherungsleistungen bekommen. Und diese Menschen können einen Antrag bei den Behörden stellen, das wird dann geprüft und das ist natürlich im Vergleich zu der automatischen Zustellung, auch noch eine Hürde, wenn man einen Sozialpass haben will.

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00:17:52: J: Hast du eine Idee davon, wie stark oder wie viel diese Sozialpässe genutzt werden? Denn ,wenn ich diesen Sozialpass habe und den nutze, zeige ich ja quasi automatisch an: "Hey, guck mal: Ich habe einen Anspruch darauf deswegen, ich befinde mich in einer Armutslage." und das ist natürlich etwas, was nicht jeder unbedingt dann gerne auch macht, das so vor sich her tragen. Wie ist da so die Akzeptanz?

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00:18:17: A: Ich finde, dass ist eine super Frage, die ich mir auch gestellt habe, in meiner Abschlussarbeit und ich habe keine anschließende Antwort darauf. Also ich habe wirklich aus einer strukturellen Perspektive auf das Thema geschaut und auch die Daten erhoben, wie verbreitet die sind und ich habe auch bei den jeweiligen Kommunen keine Daten gefunden, die Auskunft darüber geben, wie oft z.b. der Düsselpass überhaupt benutzt wird in Düsseldorf. Aber aus meiner Sicht wäre das, das eigentliche Erfolgskriterium des Sozialpasses, wenn wir wissen: Wie viele Menschen den eigentlich nutzen, also man müsste hier mehr drauf schauen, ob die Angebote überhaupt den Interessen der Passbeseitzer_innen entsprechen. Vielleicht geht das ja komplett an deren Bedürfnissen vorbei. Sind die Vergünstigung überhaupt attraktiv? Vielleicht ist es ja nicht genug und trotzdem zu teuer. Ja und dass diese Fragen verstärkt auch in künftiger Forschung einen Platz finden halte ich für sehr wichtig.

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00:19:05: M: Also wir haben das ja jetzt auch schon gesehen: Neben Sozialpässe muss es natürlich auch noch andere Maßnahmen geben, damit Menschen nicht nur arm sind, sondern auch aktiv am Leben teilhaben können. Das heißt Grundsicherungssatz oder Arbeitslosigkeit bekämpfen, da gibt's ja verschiedene Ideen. Anna, warum ist denn der Sozialpass für Dich ein besonders gutes Instrument, um Teilhabe zu erhöhen?

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00:19:28: A: Wenn wir davon ausgehen, dass Geld in unserer Gesellschaft die Schlüsselressource zur gesellschaftlichen Teilhabe auch darstellt, ist es insofern ein gutes Instrument, weil das eben genau da ansetzt. Also Menschen, die ein geringes Einkommen haben, werden beim Besuch von Veranstaltungen oder Einrichtungen finanziell entlastet. Sozialpässe sind natürlich kein nachhaltiger Weg, um soziale Gerechtigkeit herzustellen, aber bieten trotzdem eine kleine Entlastung im Alltag. Ein zweiter Grund ist, dass Sozialpässe eine vergleichsweise kostengünstige Maßnahme sind. Seitdem die ersten Sozialpässe in den 80er/90er Jahren eingeführt wurden, gibt es immer wieder Städte, die neu einen Sozialpass einführen. Das ist letztes Jahr z.B. Neuss gewesen, die den "Neusspass" konzipiert haben, sich dabei an anderen Städten orientiert haben und den jetzt neu eingeführt haben. Das Thema Teilhabe flammt also auf kommunaler Ebene immer wieder mal auf und da sind Sozialpässe für die städtische Verwaltung und für die Politik eine relativ kostengünstige Maßnahme und für die Nutzer_innen sind sie eben auch niederschwellig.

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00:20:35: J: Du hast gesagt: Das Thema Teilhabe flammt immer mal wieder auf und der Sozialpass soll eben genau das ermöglichen. Gibt es andere Ansätze gesellschaftliche Teilhabe auch seitens der Kommunen jetzt zu ermöglichen? Einfach, dass wir mal so einen Blick über den Tellerrand des Sozialpasses hinaus wagen.

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00:21:01: A: Ja, auf jeden Fall. Im Bereich der kulturellen Teilhabe gibt es in einigen Städten z.B. bürgerschaftliche Initiativen, wie die "Kulturliste" in Düsseldorf, die Menschen mit geringem Einkommen Gästelistenplätze bei Kulturveranstaltungen vermitteln und anders als bei Sozialpässen, ist das etwas für die Kulturgäst_innen sogar kostenlos. Also die bekommen nicht nur Ermäßigung, sondern dürfen kostenfrei die Veranstaltung besuchen. Und ja, je nachdem aus welcher Perspektive man auf Teilhabe schaut, gibt es auch viele unterschiedliche Ansätze Teilhaben zu fördern und zu ermöglichen: Wenn man Teilhabe z.B. aus der Perspektive von Menschen mit Behinderungen, von rassifizierten Menschen oder älteren Menschen betrachtet, kommen ja noch mehr Aspekte zu Tage, die berücksichtigt werden müssen, um eine inklusive Kommune für alle zu gestalten. Und aus meiner Sicht ist es wichtig, Teilhabe auf kommunaler Ebene eben nicht eindimensional zu denken, also z.B. nur auf ein geringes Einkommen zu schauen, sondern multidimensional und auch international zu denken.

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00:21:53: M: Wie sieht denn die Zukunft des Sozialpasses aus? Meinst du, dass es z.B. eine landesweite Regelung geben wird?

00:21:59: A: Natürlich wäre es schön, wenn es in möglichst vielen Kommunen einen Sozialpass gäbe, das ist ja auch die Forderung der Selbstvertretung von Menschen mit Armutserfahrung. Mir ist aber auch klar, dass es in einigen Kommunen nicht wirklich Sinn macht, wenn kein Geld da ist oder eben keine Angebote da sind, die man auch nachhaltig in einem Sozialpass zusammenfassen kann. Ich hatte vorhin auch schon erwähnt, dass Sozialpässe keine gesetzlich definierte Leistung sind, sondern eine freiwillige Leistung der Kommunen. Sie können frei entscheiden, ob die das anbieten wollen. Wenn nicht, und da bin ich ehrlich gesagt unsicher, ob es überhaupt eine landesweite Regelung geben kann, wenn sich die Bereitstellung von Sozialpässen im Hoheitsgebiet der Kommunen befindet. Wünschenswert und möglich wäre aber z.B., dass Empfehlungen oder Richtwerte auf Landesebene formuliert werden, die ermöglichen, dass Sozialpässe vereinheitlicht werden, die aber auch Kommunen etwas an die Hand geben, um Solzialpässe auch neu einführen zu können.

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00:22:56: J: Ja, vielen Dank für diese Einblicke in deine Arbeit und in das Konzept des Sozialpasses. Wir können ja hoffen, dass das ja vielleicht auch dem ein oder anderen zum Anstoß reicht, um da weiter zu forschen, um vielleicht auch das, was du gerade ja auch erwähnt hast, sich mal anzuschauen: Trifft es überhaupt das, was die Nutzer_innen möchten von einem Sozialpass? Auch hier wieder Stichwort Partizipation und Teilhabe, auch die Menschen sozusagen in diesem Prozess mit einzubeziehen, wenn es eben um Leistung für diese Menschen geht. Du hörst es ein bisschen an meiner Zusammenfassung: Wir kommen langsam zu einem Ende, unsere s_innzeit ist schon fast wieder vorüber. Ich sage "fast", denn eine Frage haben wir noch für dich und zwar geht es um die Rubrik Lieblingsmensch. Anna, mit welchem Menschen sollten sich unsere Zuhörer_innen ein bisschen intensiver auseinandersetzen?

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00:23:42: A: Ich bringe heute tatsächlich nicht nur einen Lieblingsmensch mit, sondern mehrere, die sich in einer Organisation zusammengeschlossen haben: Am 19. Februar hat sich das rassistische Attentat auf Hanau zum ersten Mal gejährt, deswegen würde ich den Hörer_innen gerne die Initiative "19. Februar Hanau", aber auch die Bildungsinitiative "FERHAT UNVAR" ans Herz legen, die beide von Angehörigen der Ermordeten ins Leben gerufen wurden und auch getragen werden. Die machen in Hanau und Umgebung wichtige Bildungs- und Aufklärungsarbeit und kämpfen weiterhin für die lückenlose Aufklärung der Tat und ich bin siche, dass man sich zum aktuellen Zeitpunkt über jede Spende und Unterstützung freuen, die ihnen zuteil wird.

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00:24:24: J: Danke, Anna. Die Links dazu findet ihr wie immer in der Podcastbeschreibung. Auch von mir ein Dankeschön auch für die Nennung dieser wichtigen Initiativen. Ja leider war's das schon wieder mit unserer s_innzeit.

00:24:36: M: Liebe Zuhörer_innen, folgt uns wie immer auf Instagram oder lasst uns ein Like da, abonniert den Podcast. Alle Informationen zu unserem Podcast, zu dieser Folge mit Anna findet ihr in der Podcastbeschreibung, wie gesagt auch für Spenden zu der besagten Initiative. Unsere nächste Folge erscheint am 22. März zum Thema "Reich, aber moralisch?" mit Professor Christian Neuhäuser von der TU Dortmund. Bis dahin wünsche ich euch allen eine gute Zeit, bleibt gesund und vor allen Dingen: Nutzt eure Zeit s_innvoll! Tschüss!

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00:25:04: J: Tschüss.

00:25:12: A: Ciao!

Über diesen Podcast

Soziale Ungerechtigkeit, spannende Konzepte aus der Wissenschaft und innovative Lösungsansätze für soziale Herausforderungen – all das behandelt s_innzeit, der Wissenschaftspodcast von s_inn!

https://www.s-inn.net
sinnzeit@katho-nrw.de

von und mit Marina-Rafaela Buch, Jens Koller, Sinem Malgac, Stephan Post, Ariadne Sondermann, Lisa Koopmann

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