s_innzeit - der Wissenschaftspodcast zur Sozialen Arbeit

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00:00:12: Marina (M): Hallo an alle an den Endgeräten! Willkommen zu einer neuen Folge von S_innzeit,

00:00:16: dem Wissenschaftspodcast vom Transfernetzwerk Soziale Innovation. Mein Name ist Marina und ich sitze hier digital mit meinem Mitmoderator Jens zusammen. Hallo, lieber Jens!

00:00:26: Jens (J): Hallo Marina!

00:00:35: M: Wie immer beschäftigen wir uns mit sozialen Themen, die alle etwas angehen. Daher sprechen wir heute über "Housing First Bedenken Second - Jeder Mensch braucht ein Zuhause!" Lieber Jens, warum macht unsere heutige Folge s_inn?

00:00:43: J: Vielen Dank. Ich glaube unsere heutige Folge macht insofern s_inn, als das Housing First einen innovativen Ansatz in der Wohnungslosenhilfe beschreibt. Und zwar geht es darum, dass Menschen, die auf der Straße leben eine Wohnung gestellt bekommen ohne erst beweisen zu müssen wohnfähig zu sein. In unserem aktuellen System ist es ja so, dass die Menschen erst zeigen müssen, dass sie wohnfähig sind, das heißt, sie müssen erst beweisen, dass sie es schaffen auf ihre Alkoholsucht beispielsweise zu verzichten ,dass sie dieser Herr werden. Dieser Ansatz zeichnet sich dadurch aus, dass wohnen als Menschenrecht bezeichnet wird und man kann auch schon in einigen Studien, die auf der ganzen Welt auch schon durchgeführt wurden sehen, dass eben über diese Stabilität, die sich dadurch entwickelt. Die Menschen es schaffen ihr Leben besser in den Griff zu kriegen. Und zusätzlich ist es so, dass die Menschen bei Housing First nicht einfach so eine Wohnung bekommen, sondern der Ansatz ist auch der, dass sie eben sozialarbeiterisch begleitet werden, aber eben selbstbestimmt, - dass sie entscheiden können, welche Hilfen sie in Anspruch nehmen wollen und welche nicht. Und sozusagen nicht immer beweisen müssen das mache ich oder, dass sie irgendwelche Aufgaben bekommen, sei es irgendwelche Kurse belegen müssen in denen sie sich beweisen müssen. Das ist der Ansatz von Housing First.

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00:02:04: M: Vielen Dank, lieber Jens für diese kurze Erläuterung und Erklärung eines sehr spannenden und auch wichtigen Konzepts. Und liebe Zuhörer_innen, ihr habt es wahrscheinlich schon gemerkt oder werdet es vermuten: Wir sprechen heute nicht nur alleine über das Thema, sondern mit Hubert Ostendorf, der eine ganz wichtige Rolle hierbei spielt. Er ist diplomierter Religionspädagoge und Verlagskaufmann. Vor 25 Jahren hat er den gemeinnützigen Verein Fifty-Fifty in Düsseldorf mi gegründet und von dort aus iniziierte er und initiiert immer noch verschiedene Projekte, unter anderem Kunstausstellungen oder die Produktion verkauftes Straßenmagazins und schließlich auch die Einrichtung des Housing-First-Fonds. Ich möchte hier gar nicht so viel vorwegnehmen, daher erst einmal willkommen Hubert, schön, dass du da bist und heute mit uns sprichst.

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00:02:44: Hubert (H): Hallo, Marina. Hallo, Jens.

00:02:55: J: Hallo, Hubert!

00:02:55: M: Bevor wir inhaltlich näher einsteigen, würde uns vorab interessieren, wie du zum Thema des Housing First gekommen bist, bzw was dich hierbei motiviert hat dich genauer mit diesem Ansatz zu beschäftigen?

00:03:07: H: Ja, hallo von meiner Seite aus auch noch mal. Der Zugang zum Housing First Projekt bei fiftyfifty ist eigentlich über eine Weihnachtsfeier, die wir mit Obdachlosen gefeiert haben gekommen und es war eigenmtlich ein richtig erhabenes Gefühl, dass wir gemerkt haben: Die Menschen, die Obdachlosen, die dort hinkamen, die sind uns seit so vielen Jahren schon verbunden, wir sind sowas wie eine Familie. Wir sehen sie auch täglich, wenn sie ihre Zeitungen bei uns abholen zum verkaufen, oder wenn sie in unser Café kommen und dort dann mit ihren Anträgen und ihren Problemen. Also das war eine sehr schöne Erfahrung, aber zur selben Zeit ist uns auch bewusst geworden, wer im Vergleich zum Vorjahr nicht mehr da war. Und es ist irgendwie eine bedrückte Stimmung aufgekommen, als über die Toten des vergangenen Jahres gesprochen wurde. Und wir müssen leider feststellen, dass sehr viele derer, die uns sehr nahe sind, die uns anvertraut sind, um die wir uns kümmern, mit denen wir zusammen schöne Projekte machen, dass viele von denen halt sterben. Im Schnitt stirbt jeden Monat mindestens ein Mensch und das hat uns eigentlich traurig gemacht, dass es uns nicht gelungen ist in dem System - in dem bestehenden Hilfesystem der Wohnungslosenhilfe -  nicht gelungen ist diese Menschen von der Straße wegzuholen. Sie sterben ja nicht primär an ihrer Alkoholsucht oder an ihrer Drogensucht, das kommt dann erschwerend hinzu, aber letztendlich sterben sie an den harten Bedingungen der Straße. Und da haben wir gesagt: Da müssen wir eigentlich dem Hilfesystem einen Baustein hinzufügen und darüber hinaus sogar: Das Hilfesystem muss so umgebaut werden, dass es einen Paradigmenwechsel gibt. Also es muss eigentlich komplett anders aufgestellt werden und es muss uns gelingen Menschen in Wohnungen zu bringen. Der Mietmarkt gibt aber keine Wohnungen her, das haben wir schnell erkannt. Wir sind ja in den 25 Jahren nicht untätig geworden sondern haben immer wieder versucht Menschen, die auf der Straße leben von dort direkt in Wohnungen zu bringen. Und so haben wir dann gesagt: Wenn der Mietmarkt keine Wohnung hergibt, dann müssen wir gucken, dass wir auf andere Weise Wohnungen bekommen. Und so haben wir angefangen mit Spendengeldern und aus den Erlösen unserer Benefitsgalerie, in der wir Kunstwerke von berühmten Künstlerinnen und Künstler verkaufen, Geld zu sammeln und Wohnungen zu kaufen. Was wir gemacht haben ist eigentlich sehr sehr einmalig, unterscheidet sich auch von dem von uns sehr sehr geschätzten anderen Ansatz in Finnland, wo es gelungen  ist mit staatlicher Unterstützung nahezu alle Wohnungslosen von der Straße zu holen. Aber es unterscheidet sich, weil in Finnland wurden Notunterkünfte, die schon bestanden umgebaut in normale Wohnungen und die wurden dann den Wohnungslosen vermietet. Was wir gemacht haben ist eigentlich noch revolutionärer, allerdings nicht so konsequent durchgezogen wie in Finnland, weil die politische Unterstützung fehlt. Was wir gemacht haben ist: Wir haben Apartments in ganz normalen Häusern des normalen Wohnungsmarktes, also in  einem normalen Wohnumfeld, haben wir gekauft und dort Obdachlose direkt von der Straße untergebracht. Obdachlose, wie man in Sozialarbeiterdeutsch sagt, mit multiplen Problemlagen. Also das bedeutet, wenn man das jetzt mal in eine Alltagssprache übersetzt, sie sind sehr stark verelendet und haben sehr sehr viele sehr große Probleme. Unser Ansatz ist zu sagen: Wohnen ist ein Menschenrecht. Wohnen kann jeder, man muss nicht jemanden beibringen zu wohnen, aber wir bieten Assistenz, wir bieten Unterstützung. Sonst würde es ja nicht heißen Housing First sondern Housing Only. Zusammen mit unserer Unterstützung, die wir bieten ist es uns gelungen, das über 90% derer, die wir von der Straße in Wohnungen gebracht haben, dort auch in Wohnungen verlieben sind. Das ist eigentlich ein sehr sehr guter Erfolg, der sich allerdings mit den Statistiken, die man weltweit hat, bei anderen Projekten auch, deckt.

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00:06:35: J: Wie kann ich mir das vorstellen? Also du hast ja gesagt, das ist aus einer eigenen Erfahrung, aus einer leidlichen Erfahrung entstanden und dass ihr überlegt habt: Wir müssen was ändern daran. Wir müssen eben - ja du hast zuerst gesagt einen Baustein hinzufügen - aber es geht ja glaube ich schon um einen Paradigmenwechsel, wie du das dann ja gesagt hast. Wie seid ihr auf diesen Ansatz gekommen? Habt ihr die Literatur durchforstet und überlegt was gibt's für Ansätze? Oder seid ihr da durch Zufall drauf gestoßen? Warum seid ihr diesem Ansatz gefolgt?

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00:07:02: H: Na ja, wenn man so lange in der Wohnungslosenhilfe tätig ist, dann stößt man nicht per Zufall darauf, da kennt man natürlich ander Systeme und andere Ansätze auch. Eine Kollegin von uns, die zugleich Dozentin an der Hochschule in Düsseldorf ist, unterrichtet auch in diesem Bereich Housing First. Die hat sich sehr intensiv damit beschäftigt und das in die Teamrunde eingebracht. Wir sind ja ein Team und entscheiden alles im Team. Und wir wollten auch nicht blauäugig jetzt dieses Projekt umsetzen, sondern haben uns dann gefragt: Wo können wir was lernen? Kann man schon mal schauen, wie das gemacht wird, dass man nicht Fehler, die vielleicht in anderen Projekten gemacht worden sind dann auch direkt wiederholt? Wir sind mit dem ganzen Team in Wien gewesen und Wien ist eine der attraktivsten europäischen Hauptstädte und dort wird Housing First konsequent umgesetzt, weil Wien eine über 100-jährige Tradition im sozialen Wohnungsbau hat. Das ist ganz außergewöhnlich und insofern ist die Ausgangslage in Wien auch anders, weil die Wohnungen, die dort für Obdachlose benötigt werden, sind schon auf dem Markt vorhanden. Das wirkt sich auf den Mietpreis aus. Wir haben in Deutschland nicht mal 10% in den großen Städten des Bestandes an Sozialwohnungen, wie sie in Wien ihn vorhanden sind. Die Entwicklung der letzten Jahre und Jahrzehnte hat dazu geführt, dass der Anteil an sozial geförderten Wohnungen immer weiter zurückgeht, weil große Wohnungskonzerne auf einmal im Zuge der Nullzinspolitik entdeckt haben, dass man mit Wohnungen nicht vordergründig Menschen unterstützt, ein Grundrecht auszuüben, nämlich das Recht zu wohnen, sondern dass man mit Wohnungen Geld machen kann. Dass man mit Wohnungen Shareholder value betreiben kann. Das ist eine Entwicklung die wir in ganz Deutschland haben und die ist verheerend. Zumal auf der anderen Seite die Konzepte um  Wohnungsnot zu beheben nicht greifen, weil einfach zu wenig gebaut wird.

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00:08:46: M: Ich hätte jetzt noch eine Frage zum Punkt, den du vorhin angesprochen hast, bezüglich der politischen Ebene. Du hast ja jetzt Beispiele genannt aus internationalen Ländern, Finnland, Österreich. Mit welchen Vorbehalten hattest du oder habt ihr immer noch zu tun auf der deutschen Ebene? Und was entgegnest du Kritiker_innen, die sich gegen dieses Konzept stellen?

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00:09:22: H: Wir haben mittlerweile dadurch, dass wir sehr viele Veröffentlichungen in der Presse hatten - angefangen von SternTv, eine Dokuserie  bei Vox mit sechs mal einstündigen Folgen über einen großen Beitrag in der Süddeutschen Zeitung, in der Zeit und so weiter - dadurch haben wir mittlerweile ein bisschen an Boden gewinnen können. Aber grundsätzlich muss man sagen und damit haben wir auch gerechnet, weil wir das wussten von denen, die auch von Housing First betreiben, von den Kollegen und Kolleginnen in Wien, aber vor allem auch von einem Forscher, von dem führenden Forscher, der sich damit beschäftigt: Professor Volker Busch-Geertsema, der auch das Projekt bei fiftyfifty und dem Housing-First-Fonds evaluiert hat. Der hat das bestätigt: Wenn man über Housing First spricht mit Menschen, dann erntet man bestenfalls Wohlwollen, dass sie dann sagen: Das ist ja eine gute Idee. Aber fast immer, wird dann gesagt: Entweder sagen die politische Entscheidungsträger Housing First funktioniert nicht oder aber die Menschen, die im sozialen Bereich arbeiten, also die sich mit Wohnungslosen beschäftigen, sagen, dass sie das schon längst machen würden. Weil dann wird Betreutes Wohnen einfach umdefiniert in Housing First. Insofern haben wir bei fiftyfifty gesagt: Wir können natürlich nicht als kleine Organisation mit einem relativ geringen Jahresumsatz, diesen - von uns politisch erstrebten - Paradigmenwechsel alleine durchführen. Das können wir nicht, aber wir können eine Argumentationshilfe liefern, dass man das machen muss, die so aussieht, dass wir sagen: wir zeigen, dass es geht. Und so haben wir bei fiftyfifty in knapp vier Jahren etwa 60 Obdachlose von der Straße in Apartments untergebracht, die wir selber eingekauft haben. Und weil der Ansatz dann im System auch über die Medienarbeit so gut dargestellt worden ist, haben andere Träger der Obdachlosenhilfe die auch ein innovatives Konzept verfolgen, haben dann bei uns nachgefragtt: Wie macht ihr das? Und so sind wir auf die Idee gekommen mit dem Paritätischen in Nordrhein-Westfalen einen Fonds zu gründen, den Housing-First-Fonds. So heisst auch die Internetseite. Und über diesen Fonds haben wir dann versucht diesen Ansatz, den wir selber bei fiftyfifty so erfolgreich durchgeführt haben, sozusagen zu exportieren. Wir haben den Ankauf von Wohnungen bei anderen Trägern in ganz Nordrhein-Westfalen haben wir unterstützt aus diesem Fond und so andere Träger dazu motivieren können, ebenfalls Housing First zu machen. Das sind insgesamt in ganz Nordrhein-Westfalen dann zu den etwa 60 Apartments, die wir von fiftyfifty gemacht haben, nochmal 76 hinzugekommen. Und das innerhalb von drei Jahren. Also das ist ein sehr sehr erfolgreicher Einsatz und das motiviert uns jetzt natürlich, die politischen Forderungen die wir haben, jetzt auch nochmal verstärkt zu formulieren. Weil wir ja jetzt nicht nur aus den Statistiken, die es weltweit gibt, sondern aus eigener Erfahrung wissen: Housing First funktioniert. Housing First rettet Leben. Und Housing First bewirkt bei denen, die davon profitieren mitunter Wunder. Es gibt z.B. einen Mann, der hat 11 Jahre von Flaschen sammeln gelebt, der hat keine Leistungen beantragt, weil er sich dafür geschämt hat. Hat ausschließlich vom Flaschen sammeln und vom  Verkaufe von fiftyfifty gelebt. Der ist jetzt in einem Housing First Projekt von Fifty-Fifty und er hat erzählt, dass er jetzt zum ersten Mal wieder Kontakt hat zu seiner Herkunftsfamilie. Dass er seine Eltern zu Weihnachten eingeladen hat, was er in all den Jahren nicht konnte, weil er sagte er habe sich geschämt seine Eltern, seine Familie in eine Notunterkunft einzuladen. Jetzt hat er eine normale Wohnung in einem normalen Haus und hat seine Eltern wieder eingeladen. Er hat beruflich wieder Tritt gefasst, der Mann ist Bürokaufmann, hat aber durch seine lange Zeit auf der Straße den Einzug der EDV in seine Arbeitswelt verschlafen sozusagen, gar nicht mitbekommen. Ist vom Jobcenter jetzt geschult worden in dem Bereich und seit einigen Jahren ist er kaufmännischer Leiter einer großen ambulanten Krankenpflegefirma, macht die ganzen Abrechnung mit den Krankenhäusern. Es ist nur ein Beispiel von ganz vielen, da könnte man noch einige Beispiele erzählen. Und selbst wenn die Menschen nur insgesamt ihr Leben stabilisiert haben und insgesamt zufriedener sind und eine bessere Tagesstruktur haben und einen besseren Sinn in ihrem Leben haben ohne das sie jetzt wieder in den Arbeitsprozess zurückkommen - was nach jahrzehntelanger Drogenabhängigkeit auch oft nicht so einfach ist - zumal die Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt immer härter werden. Also selbst, wenn es nur gelingt, dass sie zufrieden in ihrer Wohnung bleiben können, oder dass sie vielleicht, weil sie eine Wohnung haben, eine Partnerschaft finden, selbst das ist ja schon ein großer Erfolg.

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00:13:20:  J: Eine tolle Erfolgsgeschichte, die du da gerade erzählt hast. Und ja eine von vielen , wie wir das so raushören. Dazu gesellt sich weltweite Statistiken, die ja eurer Sache auch Recht geben. Ihr habt gezeigt, dass es hier in Düsseldorf funktionieren kann. Jetzt hast du gerade gesagt, dass politische Entscheidungsträger sagen das funktioniert nicht. Was bringént die denn eigentlich für Argumente ins Feld, um ihre Aussage zu stützen?

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00:13:48: H: Also mittlerweile muss man sagen, die politische Entscheidungsträger die mit uns sprechen, die stellen das nicht mehr in Frage. Das würde ja auch an Zynismus grenzen, wenn wir das seit so langer Zeit so erfolgreich machen. Also die stellen das das nicht mehr in Frage. Das Problem ist meines Erachtens, das wir gar nicht die Möglichkeit haben genügend Überzeugungsarbeit zu leisten. Also wir müssten viel öfter eingeladen werden und es gibt natürlich auch Widerstände im System und das bisherige sogenannte Stufensystem  hat natürlich auch auf der Seite der Anbieter, die das am - ich sag mal - Sozialmarkt sozusagen an bieten, hat auch gewisse Vorteile natürlich, weil es eben auch dazu dient, dass die Träger ihre Arbeit refinanzieren können. Und housing first ist ein Ansatz, also man muss halt die Träger und das ist uns ja zum Teil gelungen in dem Housing-First-Fonds, man muss die Träger davon überzeugen, dass das bisherige System eben nicht gut funktioniert, dass man weitergehen muss. Es gibt kein Argument gegen betreutes Wohnen, das kann man machen, aber es gibt eben viele Menschen, nämlich die, die dauerhaft auf der Straße sind, die man damit nicht erreicht .Und deswegen muss man Housing First auf jeden Fall machen. Und ja wir gehen halt auch noch weiter, wir sagen: es muss diesen Paradigmenwechsel geben. Also es darf nicht nur so ein Baustein sein, der hinten sozusagen drangefügt wird, sondern man muss von vornherein - wir nennen das mind shift - also es muss von vornherein im Kopf eine ganz andere Haltung da sein sowohl, was die Ansicht darüber anbetrifft, dass Menschen eben ein Recht haben zu wohnen, also auch diese politische Vehemenz, die wir da vertreten, als auch in der Betreuung der Klientinnen und Klienten. Wir haben dazu zusammen mit der Hochschule in Münster mit dem Professor Stephan Bartheigens einen Ansatz entwickelt, wie eine sozialarbeiterische Betreuung unter den Bedingungen von Housing First aussehen muss. Und diejenigen, die über den Housing-First-Fonds gefördert werden, die Träger die davon.profitieren, die verpflichten wir auch daran teilzunehmen. Das machen sie im übrigenn sehr gerne. Alle die daran teilgenommen haben, haben gesagt, dass das ein sehr großer Gewinn ist. Also wir von fiftyfifty sind sehr niederschwellig. Wir haben eine Beratungsstelle mit einem Café dabei und da kommen die Leute halt so rein, wie sie möchten, verweilen dort vielleicht einige Stunden am Tag und empfinden das als Familie sozusagen, als Familienersatz.Und die Klientinnen und Klienten, die duzen uns, also das ist ein sehr niederschwellige Ansatz. Deswegen waren wir auch prädestiniert eigentlich in unserer sozialen Arbeit, die wir vornehmen Housing First zu machen. Das ist vielleicht in anderen Organisationen nicht so, wo mehrere Hierachieebenen gezogen sind. Und insofern ist es, glaube ich, ganz gut in einem Seminar darüber nachzudenken, wie eine Betreuung unter Housing First Bedingungen aussehen muss. Ich will da mal eine kleine Anekdote zu sagen: Ich bin irgendwann mal zu einem Klienten nach Hause gegangen, der ist sehr sehr viele Jahre auf der Straße gewesen und niemand hat geglaubt, dass er in einem normalen bürgerlichen Haus wohnen kann. Und das hat so gut geklappt, dass der Makler, der uns die Wohnung vermittelt hat, uns angerufen hat und gesagt hat: "Das hat ja so toll geklappt,wir haben da noch eine andere Wohnung, möchtet ihr die auch haben?" Also die Wohnungswirtschaft ist mittlerweile weiter als die Politik und zu diesem Mann bin ich dann nach Hause gegangen, zu diesem Obdachlosen, hab dann geklingelt, er hat die Tür einen kleinen Spalt aufgemacht und dann habe ich gesehen, dass der mich nicht reinlassen wollte. Es gab irgendwie einen Grund warum der mich nicht reinlassen wollte. Und ich habe das dann problematisiert, hab gesagt was ist los alles? Ist alles in Ordnung bei dir in der Wohnung? und dann hat er mich am Ende doch reingelassen und in seinem Hausflur standen zwei leere Kisten Bier. Dafür hat er sich geschämt.Und das ist eben dieser andere Ansatz bei Housing First. Es ist überhaupt kein Problem. Fast alle bürgerlichen Menschen trinken abends Alkohol. Und dadurch, dass Obdachlose in Wohnungen kommen, kriegen sie auch meistens - das ist natürlich das, was wir sozialarbeiterisch herstellen müssen - eine Tagesstruktur. Müssen ihrem Leben halt eben einen anderen Sinn geben.und den Tag anders ausführen. Was wir verhindern müssen ist, dass Obdchlose, wenn sie eine Wohnung bekommen, dann in ihrer Wohnung Platte machen. Das geht ja auch. Oder die Szene, die sich sonst auf der Strße treffen, sich dann Abends eben in der Wohnung versammeln. Da muss man natürlich gucken. Und wir haben da einen sehr erfolgreichen Ansatz: Erstens der Verkauf von fiftyfifty gibt eine Tagesstruktur und einen Kontakt zur bürgerlichen Mitte und gleichzeitig können sie damit auch Geld verdienen. Und wir haben ein zweites Konzept, das gibt's auch mittlerweile in anderen Städten, zusammen mit einem Kulturzentrum in Düsseldorf eingeführt, das nennt sich Straßenleben. In diesem Konzept Straßenleben zeigen vor allen Dingen diejenigen die im Housing First Projekt eine Wohnung bekommen Touristinnen und Touristen die attraktive schöne Landeshauptstadt Düsseldorf von einer ganz anderen Seite, nämlich von unten. Sie zeigen die Brücken unter denen Obdachlosen schlafen, sie zeigen Orte an denen Prostitution stattfindet, Beschaffungsprostitution oder an denen Drogen gedealt werden. Sie zeigen wo Obdachlose kostenlos ein Essen bekommen und so weiter. Und die sind extrem gut gebucht, die sind quasi immer ausgebucht. Auch weil viele Prominente schon mitgegangen sind und deswegen sehr viel in den Medien darüber zu lesen war. Weil die Toten Hosen sind mitgegangen, Fortuna Düsseldorf ist mitgegangen, um nur zwei Beispiele zu nennen. Und bei diesen Stadtführungen, die die ehemals Obdachlosen, also die Housing First Bewohner durchführen, da gelingt etwas, was sonst vielleicht viel schwieriger gelingt. Nämlich das, was in der Gesellschaft als defizitär oft beurteilt wird, nämlich Armut und Obdachlosigkeit, wird auf einmal zu einer Kompetenz. Das ist etwas was den Obdachlosen, die das furchführen ein großes Selbstbewusstsein gibt und das ist auch in großer Halt in ihrem Leben, dass sie schaffen diese Wohnung zu behalten, weil sie erstens eine sinnvolle Tätigkeit haben und zweitens das was gesellschaftlich verachtet wird, einen Wert bekommt und drittens, weil sie auch Geld verdienen.

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00:19:16: M: Du hast es schon erwähnt und auch erfolgreiche Beispiel oder positive Reaktion dargelegt, bezüglich der Akzeptanz eben von solchen Wohnungen in einem großen Wohnblock.ein Ansatz von Housing First es ja, dass die Obdachlosen nicht zentriert und oder in einem großen Wohnblock Zusammenleben, sondern eben Wohnungen beziehen, die in sogenannten ganz normalen Wohnhäusern gelegen sind. Wie reagieren andere Parteien in diesem Mehrfamilienhäusern, wenn sie davon gehört haben, dass euer Housing-First-Fonds eine Wohnung in dem Haus gekauft hat?

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00:19:49: H: Ja, das ist eine sehr gute Frage. Die auch den Ansatz, den wir betreiben, noch mal unterstreicht. Es ist nämlich so, wenn wir z.B. mit Medienvertreterinnen und -vertretern in eine Wohnung gehen, damit darüber berichtet werden kann, dann ist es ein absolutes Tabus, dass die Adresse kommuniziert wird. Also das erwarten wir, das machen wir deutlich, und das ist bisher auch immer gelungen. Wenn ihr recherchieren würdet, wo die Wohnung die wir gekauft und vermiete haben liegen, ihr würdet das nicht rausfinden. Und das ist das, was wir den Obdachlosen mit auf den Weg geben: In dem Moment wenn sie in die Wohnung einziehen kann es sein, wenn sie das entsprechend selber hinbekommen, dass die bei Null anfangen, dass sie die Chance haben komplett von vorne anzufangen, weil niemand in dem Haus weiß, dass die Person vorher obdachlos war. Niemand. Das ist die beste Integration, die überhaupt denkbar ist. Natürlich muss man dennnoch sagen, wir haben es mit Menschen - ich habe es ja gerade schon in sozialarbeiterdeutsch ausgedrückt - wir haben es mit Menschen zu tun, die multiple Problemlagen haben, um es mal euphemistisch zu umschreiben. Und das gelingt nicht immer. Es kommt schon mal vor, dass es zu Vorfällen kommt, die in der Hausgemeinschaft zu Problemen führt. Und da ist es dann ganz wichtig, dass man eine professionelle Krisenintervention hat, was mir bei fiftyfifty betreiben. Und, dass man dann auch offen mit der Situation umgeht. Dann muss man auch die Situation der Hausgemeinschaft gegenüber erläutern und muss auch um Verständnis bitten und dafür sorgen, dass es natürlich nicht mehr vorkommt. Das machen wir aber erst dann, wenn ein Problem aufgetaucht ist. Solange wie keine Probleme auftauchen, weiß niemand in dem Haus, dass die neue Bewohnerin oder der neue Bewohner ein Klient von fiftyfifty ist. Und in den meisten Fällen bleibt das auch geheim, wird das niemand mitbekommen. Das ist etwas, was uns eigentlich auch stolz macht bei fiftyfifty und niemand hätte erwartet, dass so was gelingt. Also es gibt viele Ansätze, wie z.B. der in Finnland, dass man sagt: Okay, wir kaufen ganze Häuser, meistens ja in benachteiligten Stadtteilen, und bauen die dann um für Obdachlose. Und hat sozusagen eine Konzentration von Menschen, die Probleme haben, an einem Ort. Und das Verhalten untereinander ist auch ein ganz anderes, wenn man halt in einem Haus ist mit vielen - ich sag jetzt mal: Kumpels von der Straße - die man sonst schon kennt, dann ist das Verhalten ein anderes als wenn man jetzt einen Nachbarn sieht, den man eben nur so mal kennengelernt hat, weil man sich im Hausflur begegnet.

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00:22:06: J: Ich finde, es wird in all deinen Aussagen deutlich. dieser housing first Ansatz eben auch immer eine Begleitung mit sich bringt und eben nicht dieses Houses Only. Ihr seid da, aber es ist nicht dieser Druck da,dass mir der Sozialarbeiter sozusagen jederzeit was wegnehmen kann, sondern ich unterliege dem normalen Mietrecht, sag ich jetzt mal, dem alle unterliegen und auch die Situation, die du gerade geschildert hast, finde ich, das kennt ja der eine oder andere von uns ja auch aus normalen Hausgemeinschaften. Ja, da gab es immer mal laute Musik oder irgendwelche Verfehlung und das beste Mittel ist eben die Kommunikation und wenn die dann eben professionelle auch noch geleitet wird, klingt das nach einem sehr vielversprechenden Ansatz. Ich würde gerne noch mal, dass vielleicht unsere Hörer_innen auch ein Gefühl dafür kriegen, wie läuft so ein Prozess ab? Also vielleicht mal von der Straße in die Wohnung, wie werden die Menschen ausgewählt? Werden die überhaupt ausgewählt oder ist das auch ein Prozess der sich so nach und nach ergibt? Ich kann mir vorstellen, dass das auch sehr erstrebenswert ist und sich das rumspricht, dass ihr da solche Leistung bringt. Wie kann man sich das vorstellen?

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00:23:11: H: Man könnte jetzt als Träger, also so wie fiftyfifty, könnte man jetzt um Housing First in der Öffentlichkeit und bei den Medien propagieren, könnte man sagen: Okay, wir gucken jetzt dass wir von unseren vielen Klientinnen und Klienten die unterbringen von denen wir erwarten, dass sie am wenigsten Probleme machen. Aber genau das machen wir nicht. Das Kriterium der Auswahl das wir haben heißt Negativauswahl, das heißt, wir gucken wer ist am stärksten verelendet, wer ist in der größten Gefahr zu versterben, wer hat die meisten Probleme. Nach diesen Kriterien bringen wir die Menschen unter. Und trotzdem funktioniert es halt. Natürlich muss man sagen, dass wir bei einer so großen Wohnungsnot, wie wir sie in Düsseldorf haben, aus eigener Kraft natürlich nicht genug Wohnungen bereitstellen können. Deswegen sind wir auch im Gespräch mit der Politik, bisher leider vergebens, die stadteigene Wohnungsbaugesellschaft verfügt über 9000 Wohnungen in Düsseldorf und wir wollen halt, dass wirfreiwerdende Apartments auch für unsere Leute bekommen. Die meisten großen Städte haben ein sogenanntes Handlungskonzept Wohnen. Dieses Handlungskonzept wohnen sieht in der Regel - das ist in den meisten Städten gleich - vor, dass bei großen Neubauvorhaben etwa 30% an Menschen vergeben wird, die einen Wohnberechtigungsschein haben. Jetzt muss man wissen, dass ein Wohnberechtigungsschein heutzutage in Nordrhein-Westfalen zum Beispiel, jeder zweite Mensch hat. Weil die Kluft zwischen den immer teurer werdenden Mieten und dem Einkommen, die wird immer größer. Und insofern ist Wohnungsnot größer und insofern ist der Kreis derer, die berechtigt sind einen Wohnberechtigungsschein zu beantragen, immer größer. Darin werden dann die Obdachlosen komplett vergessen. Deswegen fordern wir im Verbund mit anderen auch eine Quote innerhalb der Quote. Wir müssen innerhalb dieser Quote von 30 %  auch eine Quote für Menschen haben, die von der Straße kommen. Weil wir von fiftyfifty können ja das Problem über Housing First nicht alleine lösen. Es gibt ja viel zu wenig Wohnungen, wir können ja nicht alle Wohnungen, die benötigt werden, selber ankaufen. Im privaten Segment passiert das ja ansatzweise, aber wir müssen vor allen Dingen erwarten, dass in dem politischen Bereich, dass die die Chancen erkennen, die mit housing first verbunden sind., dass sich das wirklich durchsetzt irgendwann. Dass sie, so wie es auch in Wien passiert, Wohnungen an Obdachlose vergeben, dazu müssen aber erstmal Wohnungen da sein, die müssen gebaut werden. Das ist sehr sehr wichtig. Und bauen, um der Bodenspekulation entgegenzuwirken, sind wir der Auffassung von fiftyfifty, muss der Staat, muss die Kommune selber machen.

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00:25:32: M: Hubert, du hast verschiedene Dinge gesagt, auf die dich gerne eingehen würde. Ich habe tatsächlich zwei konkrete Fragen, die scheinbar nicht so wirklich zusammen hängen, aber vielleicht doch. Die eine Frage ist du hast dieses Beispiel genannt mit dem Mann der es geschafft hat von der Straße, wo er durch Sammeln von Flaschen gelebt hat, der keine Bezüge annehmen wollte, es geschafft hat von der Wohnung dann auch noch in in den Arbeitsmarkt zu gehen. Ich frage mich dann aber bei so einer Person, die keine Last werden will, gibt's da auch so Reaktionen, die sagen ich möchte das nicht machen, ich möchte nicht, dass so viel - auch wenn das ein Recht ist zu wohnen - dass so viel für mich getan wird? Also diese Perspektive. Und dann ist noch eine Frage bezüglich der Kunst: Es geht hier viel um Haltung um Akzeptanz, auch in der Gesellschaft, dass diese Probleme gesehen werden und ihr habt großen Kontakt mit Künstler_innen, wie du das immer wieder auch in deinen Ausführungen gesagt hast, wie ist es dazu gekommen?

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00:26:25: H: Also zu der ersten Frage: Es gibt bei den Wohnungslosen, die wir unterbringen, ein extremes  Gefühl der Dankbarkeit. Und wenn sie so lange auf der Straße sind, dann gibt es auch ein extremes Gefühl dafür: Okay, das ist jetzt meine letzte Chance. Bei uns jeder hat immer mehrere Chancen, aber es gibt dieses Gefühl dafür: Jetzt habe ich es endlich geschafft, endlich hat mir jemand eine Wohnung gegeben, endlich kann ich wohnen. Und das führt ja auch dazu, dass man dann zum Beispiel guckt: Wie streiche ich die Wände an? Jeder der in eine Wohnung einzieht hat ja ein Anrecht darauf vom Jobcenter, dass eine Erstausstattung angeschafft wird. Die kriegen aber von uns darüberhinaus noch 400 Euro on top, wo sie ganz persönliche Sachen einkaufen können, damit sie aus dieser Wohnung eine eigene individuell gestaltete Wohnung machen können.

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00:27:06: M: Ein eigenes Heim, wo sie sich wohlfühlen.

00:27:13: H: Wenn man das nicht kennt, das ist ein fundamental anderes Gefühl. Wenn ein Obdachloser in eine Notunterkunft kommt, dann darf er sowieso ja nur nachts da bleiben und muss dann tagsüber wieder raus auf die Straße. Wenn er in ein betreutes Wohnen kommt dann, weiß er ja das ist nur auf Zeit. Ich muss irgendwann wieder hier raus, weil ich werde betreut für eine bestimmte Zeit um wohnfähig, wie man das so schön sagt, zu werden. Muss dann gucken, dass ich eben in eine andere Wohnung ziehe, die es aber nicht gibt und dann kommt man wieder auf die Straße. Die Forscher nennen das Drehtüreffekt. Notunterkunft, betreutes Wohnen und danach wieder auf die Straße. Dieser Prozesse geht immer weiter, immer weiter ,der kann sich über Jahrzehnte so hinziehen. Und das ist ein fundamental anderes Gefühl, wenn man sagt:Das ist jetzt meine Wohnung, da kann mich niemand rauswerfen, es sei denn ich verstoße gegen Auflagen. Also so wie der nach wie vor gute Mieterschutz, den wir in Deutschland haben, für unsere Klientinnen und Klienten spricht und man ihnen die Wohnung nicht mehr wegnehmen kann. Nur muss man sagen,müssen sie auch ihre Pflichten erfüllen. Wenn jemand in eine Wohnung einzieht, dann sagen wir immer ein bisschen salopp: Du kannst deine Wände violett oder schwarz nstreichen. Wenn du unbedingt willst, kannst du jeden Abend Whisky trinken oder was auch immer. Du kannst dir 25 Hamster halten, aber du darfst nicht laut sein, musst den Müll trennen und du darfst dein Fahrrad nicht in den Flur stellen. Das ist Mietrecht! Was in den vier Wänden passiert, interessiert uns erstmal nicht. Natürlich freuen wir uns über jede Klientin und jeden Klienten, der für sich persönlich Fortschritte macht und der glücklich ist, aber zunächst mal interessiert uns das nicht. Zunächst mal geht es nur darum, dass sie sich in die Hausgemeinschaft Mannschaft einfügen und dort den sozialen Frieden nicht stören. Insofern erinnere ich daran, was ich vorhin gesagt habe. Wenn jemand nicht gegen diese Grundsätze verstößt, dann wird auch gar nicht deutlich, dass das einer ist, der von der Straße kommt.

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00:28:54: J: Aber gleichzeitig habe ich eben das Wissen und die Möglichkeit jederzeit meiner Wohnung abzuschließen und eben für mich zu sein. Und zu wissen: Hier kommt jetzt auch keiner rein, den ich nicht reinlassen möchte.

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00:29:12: H: Das ist glaube ich auch eine sehr wichtige Erfahrung für Menschen, die lange in Notunterkünften gewohnt haben, weil dort alle Gemeinschaftsräume, wie Küche z.B. und auch so intime Orte wie das Bad und das WC von mehreren Menschen benutzt werden und man eben die Tür nicht hinter sich zumachen kann. Und wenn dann beispielsweise Menschen ein Alkoholproblem haben oder psychische Probleme, dann ist es oft auch sehr wichtig, dass man Rückzugsorte hat, dass man auch mal für sich alleine sein kann. Das ist sehr sehr wichtig. Alleine sein für sich, ja, aber nicht einsam sein, das ist dann der Spagat, den wir dann in der Betreuung schaffen müssen. Warum können wir das überhaupt machen bei fiftyfifty? Zwar nicht ausreichend, aber doch immerhin im großen Ausmaße ist halt die Unterstützung die wir durch Spenderinnen und Spender bekommen, aber vor allen Dingen durch Künstler. Wir haben seit Anbeginn, seitdem es die Straßenzeitung fiftyfifty gibt, gibt es auch unsere Benefitsgalerie, die mittlerweile online ist uner fiftyfifty-galerie.de. Die Künstlerinnen und Künstler leisten einen sehr wichtigen Beitrag um housing first zu finanzieren. Ein Künstlerehepaar hat eine ganze Wohnung finanziert, in dem sie einfach das Geld dafür gegeben haben, aber in der Regel spenden sie halt Kunstwerke. Und die Kunstwerke verkaufen wir und werden dadurch, dass wir die mittlerweile online verkaufen - und, dass es alles in der Regel weltberühmte Künstler sind - wie z.B. Gerhard Richter, Thomas Ruff, Günther Uecker, Thomas Struht und so weiter - werden dann Editionen dann auch sehr schnell verkauft. Werden gut nachgefragt und wir werden dadurch in die Lage versetzt, dass wir für regional begrenzte Projekte spenden in ganz Deutschland und sogar international. Weil wir haben Kundinnen und Kunde für die Galerie auf der ganzen Welt. Wenn etwa der berühmte Fotograf Thomas Ruff, der alle zwei Jahre treu macht, wenn der eine

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00:30:54: Edition spendet, 80 Fotos, dann kostet ein Foto in der Regel 1000 bis 1500 Euro. Dann haben wir sozusagen in einem Schlag eine Wohnung finanziert. Also die Künstler leisten wenn einen sehr sehr wichtigen Beitrag dazu, dass wir die Projekte finanzieren können. Und dass wir damit über die Region Düsseldorf, Rheinland, Ruhrgebiet hinaus in ganz Deutschland und sogar in anderen Städten der ganzen Welt in Europa finnzielle Mittel aquirieren können. Aber es gibt noch einen anderen Aspekt, der ist mindestens genauso wichtig und der verleiht dem was wir tun, wenn man so will, eine Art Ewigkeitscharakter. Es gibt viele Künstlerinnen und Künstler, die das soziale Anliegen, was wir vertreten, nämlich Housing First Obdachlosenhilfe in ihren Kunstwerken umsetzten. Und diese Kunstwerke, die werden in Generationen, wenn es das Projekt fiftyfifty mit ziemlich großer Sicherheit gar nicht mehr gibt, werden die immer noch ind Museen gezeigt werden und angeschaut werden. Und so tragen die Künstlerinnen und Künstler mit dem was sie für uns tun zum gesellschaftlichen Diskurs bei. Der Volksmund sagt zurecht: "Ein Bild sagt mehr als tausend Worte", also das ist glaube ich sehr sehr wichtig, dass wir eben mit dem Thema, was wir vertreten in die Wohnzimmer unserer Kundinnen und Kunden kommen und dadurch auch

00:30:57: durch dieses Kunstwerk immer wieder an das, was wir vertreten diese Menschen auch erinnern.

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00:32:13: J: Toll zu sehen, wie da Kunst auch an Themen der Sozialen Arbeit andockt und es sich gegenseitig auch befruchtet an guten Ideen, Gedanken - Stichwort Paradigmenwechsel -, ja auch ein Medium, ein  Kanal diesen Paradigmenwechsel voranzutreiben. M: Ein sehr wichtiger auch. J: Auf jeden Fall ein sehr wichtiger. Lieber Hubert, mit Blick auf die Zeit müssen wir leider feststellen, dass diese im Fluge vergangen ist und wir kommen zu unserer letzten Frage und vielleicht rechnest du schon damit, wenn du die ein oder andere Folge s_innpodcast dir schon angehört hast. Wir haben es uns zur Angewohnheit gemacht am Ende unsere Gäste mit einer Frage zu konfrontieren und zwar die Rubrik Lieblingsmensch. Und zwar geht's darum: Welchen Menschen würdest du unseren Hörer_innen ans Herz legen? Mit wem sollten sich unsere Hörer_innen mal beschäftigen, Zeit verbringen? Wen würdest du da nennen?

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00:33:07: H: Ja, natürlich habe ich damit gerechnet. Ich könnte auch viele Vorbilder nennen, die für mich wichtig sind, zum Teil sind sie auh schon verstorben,vielleicht Janusz Korczak, aber das will ich gar nicht tun. Was ich sagen will ist, die Obdachlosigkeit ist das größte soziale Problem in reichen Gesellschaften allemal, das wir haben. Hat auch unser Sozialminister Laumann gesagt. Und Obdachlose gibt es in nahezu jeder Stadt und unser Lieblingsmensch sollte der sein, der am wenigsten beachtet wird, der auf der Straße sitzt oder an der Straße steht und an dem die Leute vorbeigehen. Weil Obdachlosen zu helfen ist gar nicht so schwer, man muss einfach nur mal hinschauen, ein nettes Lächeln, ein nettes Wort und einfach mal eine Zeitung abkaufen oder zwei, drei Euro geben. Und so kann man die Welt sozusagen jeden Tag ein bisschen freundlicher machen. Im Talmud steht ja,das ist einer meiner liebsten Sprüche: "Wer ein einziges Leben rettet, rettet die ganze Welt." Das können wir tun, wir alle können die Welt retten indem wir einen einzelnen Obdachlosen jeden Tag ein bisschen glücklicher machen.

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00:34:12: M: Vielen Dank, Hubert für diesen inspirierenden Schlusssatz und das nehme ich auch mit dem Herzen, auch noch mal in Anbetracht, dass jeder etwas machen kann. Vielen Dank auch für diesen facettenreichen Einblick in deine Arbeit. Du siehst wir waren beide sehr fasziniert und hätten auch wahrscheinlich noch sehr lange sprechen können

00:34:27: oder dir zuhören können. Das war's wieder mit s_innzeit. Wenn ihr, liebe Zuhörer_innen Interesse an unserer eigenen Arbeit habt

00:34:35: oder noch mehr Informationen über unseren Podcaster erhalten möchtet, dann folgt uns auf Instagram unter transfernetzwerk_sinn.

00:34:44: Wenn ihr Interesse an der Arbeit mit Fifty-Fifty Housing First habt, dann schaut in die Beschreibung in den Links rein, da erhaltet ihr alle Informationen auch zu Hubert Ostendorf.

00:34:55: Unsere nächste Folge erscheint am 22 Februar, bis dahin gilt: Nutzt eure Zeit s_innvoll! Tschüss!

00:35:02: J: Tschüss!

Über diesen Podcast

Soziale Ungerechtigkeit, spannende Konzepte aus der Wissenschaft und innovative Lösungsansätze für soziale Herausforderungen – all das behandelt s_innzeit, der Wissenschaftspodcast von s_inn!

https://www.s-inn.net
sinnzeit@katho-nrw.de

von und mit Marina-Rafaela Buch, Jens Koller, Sinem Malgac, Stephan Post, Ariadne Sondermann, Lisa Koopmann

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